Es klingt verführerisch einfach: Deutschland stellt seine Zahlungen an die Europäische Union aus Gründen des nationalen Notstands so lange ein, bis die Schäden beseitigt sind, die die Flutkatastrophe verursacht hat. Dem widerspricht natürlich geltendes internationales Recht, auf das später im umgekehrten Falle nicht mehr verwiesen werden könnte. Wesentlich gemäßigter erscheint dagegen die Forderung, EU-Gelder verstärkt zur Finanzierung der Flutschäden anzufordern. Aber auch hier ist Vorsicht geboten und der vermeintliche finanzielle Vorteil gegen die zwangsläufig damit verbundenen Nachteile sorgfältig abzuwägen. Zunächst ist bereits nach bestehendem EU-Recht die Europäische Union zu einigen durchaus ansehnlichen Finanzhilfen verpflichtet. Dies betrifft nicht nur die Ernteschäden der sächsischen Bauern, sondern auch die Möglichkeit, zuvor zugesagte Strukturbeihilfen der EU kurzfristig um eine sogenannte „Leistungsreserve“ zu erhöhen. Die großherzig anmutende Zusage des EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi, Deutschland könne umgehend von der EU etwa 1,2 Milliarden Euro für die Flutschäden erhalten, ist daher eine blanke Selbstverständlichkeit. Die deutschen Problemregionen erhalten in der laufenden Finanzierungsperiode der Jahre 2000 bis 2006 insgesamt 28 Milliarden Euro aus dem Strukturhilfefonds der EU. Die Leistungsreserve, sozusagen der zulässige Überziehungsspielraum dieser Finanzzusagen, beträgt vier Prozent und das sind genau die großzügigen Hilfeversprechen der EU von knapp 1,2 Milliarden Euro. Die EU-Kommission läßt es sich aber darüber hinaus nicht nehmen, die Flutkatastrophe auszunutzen, um ihre eigenen Interessen zu fördern. In diesem Fall ist es die Ausweitung ihrer Budget- und damit Einflußmöglichkeiten. Prodi verkündet mit Pathos: „Wir haben die Pflicht, sichtbare und starke Signale für eine europäische Solidarität zu setzen.“ Dazu möchte er einen Katastrophenschutzfonds einrichten, der im EU-Haushalt mit 500 Millionen bis zu einer Milliarde Euro ausgestattet werden soll. Offiziell kann dieser Betrag erst im nächsten Jahr im EU-Budget ausgewiesen werden, zugreifen dürfen die betroffenen Länder aber schon in diesem Jahr. Zudem steht er nicht nur den bestehenden 15 Mitgliedsstaaten, sondern auch den zukünftigen Mitgliedsländern auf Antrag zur Verfügung. Die Tschechei, Slowakei und Ungarn sind demnach zum Zugreifen eingeladen. Die Finanzierung des geplanten EU-Katastrophenschutzfonds wird aller EU-Erfahrung nach zu zusätzlichen Beitragsbelastungen der Mitgliedsstaaten führen. Selbst unter Berücksichtigung der momentan zu erwartenden hohen Mittelzuflüsse nach Deutschland kann die langfristige Rechnung für das mit dem höchsten Beitragsanteil belastete Land der EU nur negativ sein. Zwar hat sich der Finanzierungsanteil Deutschlands in den letzten zehn Jahren von einem Drittel auf knapp ein Viertel der EU-Gesamtausgaben verringert, die enormen Kosten, die Deutschland für den Aufbau der DDR-geschädigten Länder aufzubringen hat, sind aber immer noch nicht hinreichend in der deutschen Beitragsbelastung berücksichtigt, wie selbst die EU-Kommission einräumt. Die bei Regierungsantritt geäußerte Absicht des amtierenden Bundeskanzlers, die Nettozahlungen Deutschlands kräftig zu senken, hat er aber jüngst nicht nur bis in das Jahr 2006 verschoben – in diesem Jahr soll der Verteilungsschlüssel neu verhandelt werden -, durch die Übernahme des neuen Aufgabengebiets „Katastrophenschutzhilfe“ werden die Erfolgsaussichten auch noch kräftig geschmälert. Eine andere Lösung könnte die Umverteilung in den Füllhörnern der EU-Wohltaten sein. So wäre es prinzipiell denkbar, daß der Katastrophenschutzfonds aus Teilen der Strukturhilfefonds oder des Agrarsubventionsfonds finanziert wird. Für letzteres stünde allerdings der Kanzlerkandidat der Union kaum zur Verfügung. Bei seinem jüngsten Treffen mit Frankreichs Präsidenten beförderte er Chirac wegen dessen Haltung in Agrarfragen zum „Patron der deutschen Bauern“. Auch die anderen Parteien trauen sich nicht, an dem französischen Privileg hoher EU-Agrarzuschüsse zu rütteln. Für ein Anzapfen des Strukturhilfefonds dürften die Mehrheiten in der Europäischen Union noch dünner angesiedelt sein. Einmal geschaffene Pfründe lassen sich eben nur schwer wieder rückgängig machen. Unabhängig von der Finanzierungsproblematik bedeutet die Einführung eines europäischen Katastrophenschutzfonds wieder einmal einen Verstoß gegen das Grundprinzip der Subsidiarität. Danach haben die Mitgliedsstaaten der EU alle Angelegenheiten selbst zu regeln, zu denen sie in der Lage sind. Für Deutschland entwickelt es sich immer mehr zum – im wahrsten Sinne des Wortes – Armutszeugnis, daß ein regionaler Schaden in Höhe von etwa zwei Prozent der Summe der öffentlichen Haushalte nicht aus eigener Anstrengung und nationaler Vorsorge behoben werden kann. Wenn da schon nach einer europäischen Regelung gerufen wird, ist der Weg zum europäischen Superwohlfahrtsstaat unter dem Deckmantel der Solidarität freier denn je. Der Katastrophenschutzfonds mutiert damit zum Katastrophenfonds, der den Damm zur totalen Bevormundung aus Brüssel weiter aufweicht.