Der Innenausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags ist am Montag zu einer Sondersitzung zusammengekommen, um über den schweren Brandanschlag vom 11. Mai auf Sanitäter und Polizisten bei einer Wohnungskontrolle in Ratingen zu beraten. Als Polizei und Feuerwehr die Wohnungstür eines 57jährigen Ratingers öffnen wollten, wurde eine Polizistin mit einer brennbaren Flüssigkeit überschüttet. Dann kam es zu einer Explosion, bei der mehrere dutzend Einsatzkräfte verletzt wurden, viele davon schwer und einige lebensgefährlich.
Zwei Polizisten mußten brennend aus dem Gebäude fliehen und erlitten schwere Verbrennungen von bis zu 80 Prozent der Hautfläche. Der nur leicht verletzte Tatverdächtige sitzt wegen versuchten Mordes in neun Fällen in Untersuchungshaft und soll in der kommenden Woche psychiatrisch untersucht werden. Bislang schweigt er zu der Tat. Die Bundesanwaltschaft stuft den Anschlag auf die Einsatzkräfte derzeit nur als Prüfvorgang ein.
Vor diesem Hintergrund rief die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Parteien im Vorfeld der Sondersitzung dazu auf, den Brandanschlag von Ratingen nicht für „parteipolitische Ränkespiele“ zu mißbrauchen. „Daß sich Politiker über den Stand der Ermittlungen informieren, gehört zu ihren Aufgaben. Aber die Art und Weise, wie es zu der Sondersitzung gekommen ist, deutet darauf hin, daß es einigen Politikern nicht nur um ihr Mitgefühl mit den schwerverletzten Einsatzkräften geht, sondern auch darum, den Innenminister aus parteipolitischen Motiven unter Druck zu setzten. Uns hat das zutiefst verstört“, sagte der GdP-Landesvorsitzende Michael Mertens am Sonntag. Die Sondersitzung war von der SPD-Fraktion beantragt worden.
„Die sind noch nicht über den Berg“
Auch Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) zeigte dafür kein Verständnis. Die Worte, die er zu Sitzungsbeginn fand, glichen einer Ohrfeige für die SPD-Fraktion: Es sei ja „okay“ und deren Recht, wenn eine Oppositionsfraktion eine Sondersitzung beantrage. „Ich will auch aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Aber ich fühle mich heute nicht sehr wohl, daß wir, während Menschen um ihr Leben ringen, jetzt politisch darüber diskutieren, wer wo wann wie was richtig oder falsch gemacht hat.“ Tausende Mitglieder der Blaulicht-Familie seien noch immer geschockt und würden trauern. Mutmaßungen „helfen überhaupt nicht“, sagte der CDU-Politiker. „Ich bin da immer noch fassungslos. Ich verstehe es einfach nicht.“ Dann legte er seinen Fokus auf die Unterstützung der an „dem schrecklichen Einsatz“ Beteiligten und ihrer Familien. „Und vielleicht betet ja auch der eine oder andere für sie.“ Drei lebensgefährlich verletzten Einsatzkräfte, die beiden Polizisten und ein Rettungssanitäter, „sind noch alle nicht über den Berg“.
In der Sache aber erbrachten seine Ausführungen nur wenig Neues. Erstmalig bezifferte Reul die Gesamtzahl der Verletzten auf 35. Er bestätigte, daß in der Wohnung Material aus der sogenannten Corona-Protestszene gefunden wurde. „Ob diese Haltung handlungsleitend war, wissen wir nicht“, schränkte Herbert Reul jedoch sofort ein. „Er hatte es da liegen. Was das heißt, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.“
Gegen die Polizei gerichtete Vorwürfe, sie sei zu wenig vorbereitet in diesen Einsatz gegangen, wies Herbert Reul zurück: Der Tatverdächtige sei zuvor nur wegen kleinerer Tätlichkeiten wie Ohrfeigen gegen seine Nachbarn auffällig gewesen. Und bei dem Haftbefehl gegen ihn, der vollstreckt werden sollte, habe es sich um eine Ersatzhaft wegen einer nicht beglichenen Geldstrafe gehandelt. Damit war keine „erhebliche Gewalt“ zu erwarten gewesen. Die Vollstreckung eines Ersatzhaftbefehls sei „tägliches Brot der Polizei“. Auf die Nachfrage, ob die Tat vorbereitet war, sagte der Minister: „Was wir gesagt haben, ist alles, was wir wissen. Ob er was geplant hatte, können wir heute nicht beantworten.“
SPD verteidigt Sondersitzung
Die SPD-Fraktion verteidigte die von ihr beantragte Sondersitzung gegen die Kritik: „Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn so eine grausame Tat stattgefunden hat“, sagte deren Abgeordnete Elisabeth Müller-Witt. Vorwürfe seien „fehl am Platz“, betonte die in Ratingen lebende Abgeordnete. „Aber Information ist wichtig, damit sich nicht Mutmaßungen und Gerüchte durch die Landschaft wälzen.“ Ihr Fraktionskollege Andreas Bialas sprach davon, daß der Angriff auf die Einsatzkräfte nicht für Parteipolitik mißbraucht werden dürfe. „Gleichwohl ist das Thema ein politisches.“
Zu einer politischen Debatte waren die meisten Ausschußmitglieder am Montagmorgen jedoch nicht bereit. Christos Katzidis, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion und ehemaliger Polizist, erinnerte sich an zwei ähnliche Einsätze in den 90er Jahren, an denen er beteiligt war, die aber „zum Glück glimpflich ausgegangen sind“. Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, betonte die Notwendigkeit der „vollen Hilfestellung“ für die Opfer und ihre Familien. Andreas Keith, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion, plädierte dafür, die Polizei „in Ruhe und Sachlichkeit“ die Hintergründe ermitteln zu lassen „und der Täter dann mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft wird“.
Lediglich Julia Höller (Grüne) fokussierte sich schnell darauf, daß es „noch nicht bestätigte Hinweise“ gebe, „daß der Angreifer aus dem Bereich der Verschwörungsnarrative kommt“. Diese Szene sei „eng verwoben mit dem Rechtsextremismus und insbesondere mit der Reichsbürger-Szene“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „Sollte sich bestätigen, daß der Täter ein Teil dessen ist, ist dieser Vorfall auch ein Beleg dafür, welches Gewaltpotential in dieser Szene liegt.“ Höllers Ausführungen blieben aber die einzige politische Äußerung der rund einstündigen Sondersitzung. Und darauf einsteigen wollte an diesem Tag niemand. (wp)