Maximal zwei Prozent der Bevölkerung stellen die Alawiten im Libanon. Anders als im Nachbarland Syrien haben sie hier nichts zu sagen. Bis an die Zähne bewaffnet, im Bürgerkrieg als „Rote Ritter“-Miliz bekannt, haben sie ihr Überleben im Tripolitaner Viertel Dschabal Mohsen sichern können. Ihre 1990 vollzogene Entwaffnung haben sie in den vergangenen Jahren schrittweise rückgängig gemacht.
Mithilfe der „Arabischen Demokratischen Partei“, einst radikal panarabistisch und sozialistisch, versuchen sie darüber hinaus, politischen Einfluß zu generieren. Der 30jährige Parteisprecher Ali Fedda stellt sich am Rande einer Sitzung des Politbüros den Fragen der JUNGEN FREIHEIT.
Alle Gesprächspartner von der Straße berichten, wie unzufrieden sie mit der Lage im Land seien. Dennoch beteiligen sie sich gleichzeitig am Haßtrommeln gegen die jeweils andere Konfessionsgruppe. Wie paßt das zusammen?
Fedda: Ja, es stimmt. Vor allem die Jugend im Libanon ist unzufrieden. Das Problem ist, daß unsere Leute nur auf ihre religiösen Führer hören. Es gibt keine libanesische Nation. Wir hoffen, daß sie in Zukunft entstehen wird.
Auf welche Weise beteiligen Sie sich an der Verwirklichung dieses Ziels?
Fedda: Wir unterstützen beispielsweise die Zivilehe, so wie sie dieses Jahr im Libanon erstmals vollzogen worden ist. Nach meinem Wissensstand hat in diesen Tagen bereits die dritte Eheschließung dieser Art stattgefunden: In Beirut haben ein christlicher Mann und eine sunnitisch-muslimische Frau geheiratet. Das widerspricht der Scharia, aber auch dem Willen der Patriarchen.
Sah die Zielstellung Ihrer Partei schon immer so aus?
Fedda: Als wir uns 1982 im Bürgerkrieg gegründet haben, ging es darum, eine Vertretung für die Alawiten zu schaffen. Aber die säkulare Republik, so wie wir sie in Syrien haben, war schon damals unser Vorbild.
„Sonst endet alles wie im Irak“
Sind Sie der Ableger von Assads Baath-Partei im Libanon?
Fedda: Nein. Im Gegensatz zu den Baathisten in Syrien lehnen wir den Sozialismus heute ab und unterstützen eine liberale Marktwirtschaft. Aber für Syrien ist Präsident Assad die einzige Alternative, um das Land am Leben zu erhalten. Sonst endet alles wie im Irak.
Wünschen Sie sich die syrische Armeepräsenz zurück, wie sie bis 2005 bestanden hat?
Fedda: Wir setzen uns nur gegen die Lügen zur Wehr, die Syrer hätten hier Verbrechen begangen. Dafür gibt es keine Beweise. Ansonsten haben wir eine libanesische Armee, die einfach nur gestärkt werden muß, um alle Bürger gleichermaßen zu schützen.
Was bräuchte das Land noch?
Fedda: Offene Verhältnisse. Die letzte Volkszählung gab es 1997. Die Zahl unserer offiziell vier Millionen Einwohner stammt von damals. Sie dürfte jetzt viel höher sein. Auch wegen der inoffiziell 1,8 Millionen Syrer, die bei uns untergekommen sind.
„Die Hisbollah und der Iran sind sehr stark hier“
Ist die Sorge der Etablierten nicht berechtigt, wonach die Feststellung einer veränderten demografischen Lage dazu führe, daß der Konfessions-Proporz bei der Postenverteilung infrage gestellt würde?
Fedda: Wir in Dschabal Mohsen setzen doch Akzente: Ja, 70 Prozent hier sind Alawiten. Aber wir haben neben uns 20 Prozent Sunniten, 5 Prozent Christen und 5 Prozent Schiiten.
Die Bombenanschläge vom 23. August beweisen, wie stark der Haß ausgeprägt ist. Offiziell werden Personen aus dem Umkreis der syrischen Führung verantwortlich gemacht …
Fedda: Wir sehen es so, daß der saudische Geheimdienst hinter diesen Aktionen steckt. Sie wollen im Libanon ein Chaos kreieren, wie es in Syrien bereits herrscht. Die Hisbollah und der Iran sind sehr stark hier. Würden die Sunniten zu den Waffen greifen, könnte deren Position geschwächt werden.
„Wir Araber durchleben eine Phase der Gewalt und Unsicherheit“
Haben Sie dafür Beweise?
Fedda: Geheimdienstaktivitäten können Sie als Außenstehender nicht belegen. Sie können nur denken und hinterfragen.
Die libanesische Problemlösung ist im ausländischen Bewusstsein stets mit Gewalt verbunden. Warum hat man das Modell der friedlichen „Zedernrevolution“ von 2005 nicht fortgeführt?
Fedda: Mit dieser so genannten „Zedernrevolution“ haben doch unsere heutigen Probleme alle angefangen. Nach dem Abzug der Syrer nahmen Kriminalität und Straßenkämpfe zu. Und heute besteht Uneinigkeit darüber, wie es politisch weitergehen soll.
Im „Arabischen Frühling“ sehen Sie also auch nichts Positives?
Fedda: Was für ein fauler Frühling soll das denn sein? Nirgendwo ist etwas Gutes entstanden. Wir Araber durchleben eine Phase der Gewalt und Unsicherheit.
Wird der Krieg auch nach Libanon zurückkommen?
Fedda: Wenn die Lage so bleibt, dann ja.