Zwölf geharnischte Wächterfiguren stützen sich auf ihre Schwerter und blicken ernst weit ins Leipziger Land. Seit zwei Jahren werden sie nachts angestrahlt, was die steinernen Plastiken noch eindrucksvoller erscheinen läßt. 91 Meter hoch ist das Völkerschlachtdenkmal, das an die Toten der ersten großen Massenschlacht der Menschheitsgeschichte erinnert. Im Oktober 1813 standen sich auf den Feldern rund um Leipzig mehr als eine halbe Million Soldaten aus fast ganz Europa gegenüber, über 100.000 wurden in der dreitägigen Schlacht getötet oder verwundet.
Sächsischer Anpassungsfähigkeit, „Fischelanz“ ist es zu danken, daß das Völkerschlachtdenkmal im Oktober kommenden Jahres sein 100jähriges Bestehen feiern kann. Denn weder die Einheitssozialisten noch die ihnen nach der Wiedervereinigung folgenden Sozialdemokraten im Leipziger Rathaus wußten mit dem schwarzen Koloß im Süden der Messestadt so richtig etwas anzufangen.
Und vielleicht wäre es dem einen oder anderen Politiker gar nicht so unrecht gewesen, wenn die in den Katakomben des Denkmals verschanzte Wehrmachtseinheit im April 1945 noch über den Führergeburtstag hinaus gekämpft hätte, statt angesichts der angedrohten Bombardierung der Amerikaner die Waffen zu strecken.
Denkmal unter sowjetischen Schutz gestellt
Die folgenden russischen Truppen beabsichtigten ebenfalls, das martialische Denkmal in die Luft zu jagen. Aber dann teilten ihnen Leipziger mit, daß es auch an ihre im Kampf gegen Napoleon gefallenen Landsleute erinnert. Und unter sowjetischen Schutz gestellt, vermochte auch ein Geschichtsklitterer wie Walter Ulbricht dem „Koloß von Leipzig“ nichts mehr anzuhaben.
So überdauerte es die Zeiten und wurde in den vergangenen Jahren sogar mit Steuergeldern saniert. Daß es dazu kommen konnte, ist dem früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) und dem Leipziger Schriftsteller Erich Loest zu verdanken, die die Öffentlichkeit für dieses europäische Denkmal und seinen schlechten Bauzustand sensibilisierten, vor allem aber dem 1998 gegründeten Förderverein Völkerschlachtdenkmal.
Dieser sammelt bis heute nicht nur eifrig Spenden, sondern machte auch den nötigen Druck, indem zum Ziel erklärt wurde, daß das bröckelnde Monument bis zur Zweihundertjahrfeier der Völkerschlacht Mitte Oktober 2013 saniert sein werde. Charmant stellte Vereinsvorsitzender Klaus-Michael Rohrwacher vor zwei Jahren in der Leipziger Volkszeitung die Frage: „Wollen wir 2013 ein komplett saniertes Denkmal, oder wollen wir uns blamieren?“
Initiative ging vom Architekten Clemens Thieme aus
Sachsen hat sich mit diesem Denkmal lange schwergetan. Bei der Befreiung Europas von der französischen Fremdherrschaft stand ihr König zu lange auf der falschen Seite. Zwar wurde bereits 1814 in Leipzig ein Verein gegründet, der das Gedächtnis der Völkerschlacht bewahren wollte, und auch der Dichter Ernst Moritz Arndt regte an, ein nationales Denkmal „groß und herrlich wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom zu Köln“ zu errichten, aber der sächsische König in Dresden war von diesen Ideen alles andere als begeistert. Zu sehr schmerzten die ihm von den Preußen diktierten Gebiets- und Bevölkerungsverluste.
Erst mit dem Engagement des Leipziger Architekten Clemens Thieme und des von ihm gegründeten Deutschen Patriotenbundes kann das „Völkerschlacht-Nationaldenkmal“ errichtet werden. Es gelang dem Leipziger Bürgertum, deutschlandweit 3,5 Millionen Mark zu sammeln. In 15 Jahren entsteht für sechs Millionen Mark (31 Millionen Euro) das 300.000 Tonnen schwere Denkmal aus Stampfbeton und vorgeblendeten Granitporphyrblöcken.
Staatsakt mit internationalen Gästen geplant
Als Baumeister des Denkmals gelten der Berliner Bruno Schmitz, von dem der Entwurf stammt und der auch das Kyffhäuserdenkmal in Thüringen schuf, und Clemens Thieme, der bei der Umsetzung letztlich das Sagen hatte. „Ich bin ja nur noch Ihr Zeichner“, soll der verärgerte Schmitz nach einer der zahlreichen Diskussionen entnervt gerufen haben. Auch mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. gab es Ärger, als dieser zur Einweihung des Denkmals am 18. Oktober 1913 erschien, von Thieme aber ignoriert wurde. Der begann seine Weiherede mit „Deutsche Brüder, deutsche Schwestern“. Den sächsischen König dürfte das amüsiert haben, er verlieh Thieme den Titel eines Geheimrates.
Seitdem haben die unterschiedlichsten Systeme versucht, das Denkmal für ihre politischen Ideologien zu nutzen. Inzwischen ist aus der Stätte des Gedenkens an die Toten der Völkerschlacht ein „Mahnmal für Frieden, Freiheit, Völkerverständigung und europäische Einheit“ geworden. Der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig kommentierte das in einem Zeitungsbericht ahnungsvoll mit dem Satz: „Dieses Denkmal wird immer ein Mahnmal gegen Fremdherrschaft bleiben, egal, wieviel geschichtspolitische Narrheit daran herumwerkelt!“ Auf die Interpretationen im kommenden Oktober darf man gespannt sein. Geplant ist ein Staatsakt mit internationalen Gästen.
JF 52/12