Eigentlich wollten sich die Piraten im November vor allem um Inhalte streiten und die Bundestagswahl vorbereiten. Eigentlich. Stattdessen ist die Partei wenige Tage vor dem Parteitag um einen skurrilen Streit reicher, den es so wohl nur bei den Piraten geben kann. Im September veranstaltete die Partei in Bielefeld eine „Flauschcon“, um so für ein etwas zivilisierteres Miteinander zu werben. Ein Bällebad wurde aufgebaut, Ledersofas geordert und Essen bestellt. Knapp 200 Piratenmitglieder beteiligten sich an dem Wohlfühlkongreß. Die gute Laune hielt allerdings nur bis zum Eintreffen der ersten Rechnungen.
Statt der vorgesehenen 2.400 Euro sollten plötzlich 28.000 gezahlt werden. Allein das Bällebad und ein falsch verklebter Teppich schlagen mit fast 8.000 Euro zu Buche. So recht verantwortlich fühlt sich dafür allerdings niemand. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen winkt ab. Schuld sei ein „Rene“. Der habe mit einer Visitenkarte der Piraten immer neue Bestellungen ausgeführt. Nun will ihn keiner mehr kennen. Für die chronisch finanzschwache Partei, bei der mehrere tausend Mitglieder keine Beiträge zahlen, ist das eine Katastrophe. Auch der Parteitag am Wochenende in Bochum wird mindestens 30.000 Euro kosten.
Es fehlt eine klare Positionierung
Und ob dieser wirklich die bereits mehrfach angekündigte thematische Ausweitung des Parteiprogramms mit sich bringt, ist bisher noch völlig unsicher. Zu sehr hat der Streit zwischen dem Politischen Geschäftsführer Johannes Ponader und den anderen Mitgliedern des Bundesvorstands die Partei in den vergangenen Wochen gespalten. Ponader hatte mit seinen öffentlichen Auftritten für Unmut gesorgt und so auch den Rücktritt seines Vorstandskollegen Matthias Schrade provoziert. Bereits jetzt gibt es Gerüchte, ein Teil der Partei könne in Bochum auf eine Neuwahl des Vorstandes drängen, der kaum länger als sechs Monate im Amt ist. Für neue inhaltliche Positionen bleibe so kaum Zeit. Ein Kompromiß wäre eine vorgezogene Vorstandswahl Anfang 2013.
Die Zeit drängt. Während die Piraten in den Umfragen um die fünf Prozent liegen und derzeit öffentlich vor allem mit Randthemen wie der Drogenpolitik oder dem Urheberrecht in Erscheinung treten, fehlt in anderen Politikfeldern eine klare Positionierung. Um das zu ändern, haben die Mitglieder Hunderte Anträge und Positionspapiere zur Abstimmung vorgelegt und damit mehr als 1.400 Seiten gefüllt. Während sich dabei beispielsweise zum Überwachungsstaat, bisher eines der Kernthemen, lediglich fünf Anträge finden, sind es zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik weit über 100. Abgestimmt werden sollen jedoch nur die beliebtesten.
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In eigener Sache
Die Piratenpartei hat unserem Redakteur Henning Hoffgaard die Akkreditierung für den Bundesparteitag verweigert. Sie will ihn nur als Gast dulden und ihm keinen Zugang zu den Pressearbeitsplätzen gewähren. Die JUNGE FREIHEIT hat gegen diese Einschränkung der Berichterstattung Protest eingelegt.
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Die wichtigsten Anträge
Wirtschaftspolitik:
– Bedingungsloses Grundeinkommen
– Bundesweiter Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde
– Abschaffung der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger
– Verbot von Aufsichtsratsmitgliedschaften für Mandatsträger
– Teilweise Vergemeinschaftung der Schulden von EU-Staaten
Innenpolitik:
– Verbot von sogenannten Staatstrojanern
– Abschaffung des Verfassungsschutzes
– Ausweitung des Asylrechts
– Abschaffung der Residenzpflicht für Asylbewerber
– Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene
Religion:
– Abschaffung des Religionsunterrichtes zugunsten eines Ethikunterrichtes
– Streichung von Gottesbezügen aus dem Grundgesetz
– Streichung aller Subventionen und Steuervorteile für Religionsgemeinschaften
– Verbot der religiösen Beschneidung von Jungen
– Entfernung aller religiösen Symbole aus öffentlichen Einrichtungen
Außenpolitik:
– Einschränkung von Rüstungsexporten und Militärhilfen
– Mehr Ausgaben für Entwicklungshilfe
– Ächtung der Todesstrafe weltweit
– Stärkung der Vereinten Nationen
Sonstiges:
– Abschaffung der Zeitumstellung
– Förderprogramm für Zeitreisen
– Erlaubnis der aktiven Sterbehilfe
– Einschränkung der Massentierhaltung
– Ablehnung eines allgemeinen Tempolimits
JF 48/12