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Soziale Zeitenwende: Nicht beim Bürgergeld kleben bleiben

Soziale Zeitenwende: Nicht beim Bürgergeld kleben bleiben

Soziale Zeitenwende: Nicht beim Bürgergeld kleben bleiben

Faulenzen statt arbeiten (Symbolbild): Das Bürgergeld liefert einigen Empfängern einen Anreiz, es sich in der sozialen Hängematte gemütlich zu machen
Faulenzen statt arbeiten (Symbolbild): Das Bürgergeld liefert einigen Empfängern einen Anreiz, es sich in der sozialen Hängematte gemütlich zu machen
Faulenzen statt arbeiten (Symbolbild): Das Bürgergeld liefert einigen Empfängern einen Anreiz, es sich in der sozialen Hängematte gemütlich zu machen Foto: picture alliance/dpa/TASS | Donat Sorokin
Soziale Zeitenwende
 

Nicht beim Bürgergeld kleben bleiben

Momentan herrscht beim Bürgergeld wenig Druck, wieder eine Beschäftigung aufzunehmen. Gleichzeitig gibt es vergleichsweise viel Geld für die Leistungsempfänger. Das setzt falsche Anreize zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Ein Kommentar von Ulrich van Suntum.
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Die Sprüche klingen markig: „Wer nicht mitzieht und sich allen Angeboten verweigert, muß mit härteren Konsequenzen rechnen“, so etwa der sozialdemokratische Arbeitsminister Hubertus Heil. Den Mißbrauch des Bürgergeldes will er künftig mit Leistungskürzungen bekämpfen, wenn auch nur für zwei Monate. Die CSU fordert sogar unbefristete Streichungen für Arbeitsverweigerer. Und Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegener (CDU) bringt stufenweise ansteigende Kürzungen des Leistungsbezugs ins Spiel: „Beim vierten Mal geht er arbeiten“, ließ er sich zitieren.

Vor kurzem klang das noch ganz anders. Hat nicht die Ampel das Bürgergeld deshalb eingeführt, um zu harte Anforderungen an die Leistungsempfänger zu vermeiden? Prompt kommt von linker Seite auch bereits Kritik. Heils zaghafter Ansatz für höhere Arbeitsanreize sei menschenunwürdig und verstoße gegen die Verfassung, so heißt es bei Grünen und Sozialverbänden, aber auch innerhalb seiner eigenen Partei. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht 2019 enge Grenzen für Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer gesetzt.

Mehr als eine 30prozentige Kürzung ist demnach kaum möglich, schon gar nicht auf Dauer. Dabei sind von den 4,5 Millionen Bürgergeld­empfängern 3,9 Millionen erwerbsfähig, nur ein gutes Fünftel (22 Prozent) von ihnen geht jedoch auch einer Erwerbstätigkeit nach. Das verschärft nicht nur den Personalmangel auf dem Arbeitsmarkt, es kostet den Steuerzahler auch viel Geld. Auf nicht weniger als 38,7 Milliarden Euro schätzt die Ampel den Gesamtaufwand für das Bürgergeld in diesem Jahr.

Das ist ein neuer Rekordwert, der rein rechnerisch rund elf Prozent der Steuereinnahmen des Bundes entspricht. Zwar tragen die Kommunen einen Teil der Kosten, aber das macht die Sache kaum besser. Was also tun?

Könnte das die Lösung sein?

Ein aktuelles Gutachten im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums glaubt darauf eine Antwort gefunden zu haben. Gemeinsam mit dem Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) schlägt das Münchener Ifo-Institut darin eine deutliche Erhöhung der Zuverdienst-Möglichkeiten für Bürgergeldbezieher vor. Bisher bleiben die ersten 100 Euro im Monat anrechnungsfrei, höhere Zuverdienste führen aber zu erheblichen Kürzungen des Regelsatzes. So verbleiben den Leistungsbeziehern von einem Zusatzeinkommen bis 520 Euro effektiv nur 20 Prozent, erst für darüber hinausgehende Verdienste sind es dann 30 Prozent.

Damit sollen Anreize gesetzt werden, möglichst eine Vollzeitbeschäftigung und nicht nur einen Minijob anzustreben. Über 1.000 Euro ist dann ganz Schluß mit dem Bürgergeldanspruch, was die Gutachter nun ändern wollen. Sie schlagen vor, den 30-Prozent-Bereich auf 2.000 Euro zu verdoppeln und auch darüber hinausgehende Einkommen nicht vollständig anzurechnen. Damit wären wesentlich höhere Zuverdienste möglich, was zusätzliche Arbeitsanreize schaffen soll.

Allerdings würden auch viele Erwerbstätige, die bisher kein Bürgergeld beziehen, dadurch Ansprüche erhalten. Im Ergebnis erhoffen sich die Forscher zusammen mit einigen weiteren Erleichterungen eine Steigerung der Erwerbstätigkeit um bis zu 157.000 Personen. Niemand werde dabei schlechter gestellt als bisher, und der Staat könne sogar mit einer halben Milliarde Mehreinnahmen rechnen.

Mehrheit der Bürgergeld-Empfänger hat einen Migrationshintergrund

Das klingt wie Schlaraffenland-Ökonomie, und tatsächlich ist hier erhebliche Skepsis angebracht. Nicht nur sind die erhofften Effekte ziemlich mickrig angesichts der gewaltigen Dimension des Problems. Die Lösung behandelt zudem Haushalte mit und ohne Kinder teilweise ungleich, da die Reform sonst zu teuer würde. Das könnte verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen, wie die Gutachter selbst einräumen. Zudem können beziehungsweise werden ganze Gruppen von Leistungsempfängern kaum auf die neuen Anreize reagieren, was im Gutachten ebenfalls freimütig eingestanden wird.

Das betrifft insbesondere die Migranten, die entweder gar nicht arbeiten dürfen oder denen die Voraussetzungen dafür fehlen. Nicht weniger als 62 Prozent der erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger haben aber einen Migrationshintergrund. Für ihre Integration in den Arbeitsmarkt leisten die Vorschläge also nichts, obwohl gerade dies ein Hauptanliegen jeder Reform sein sollte.

Eine wirkliche Lösung müßte daher anders aussehen. Die Politik befindet sich hier in einem Konflikt zwischen verschiedenen Zielen: Es soll einerseits sozialverträglich, aber auch möglichst unbürokratisch und zugleich arbeitsmarktdienlich zugehen. Dementsprechend gibt es drei grundsätzliche Ansätze, die man als „magisches Dreieck der Sozialpolitik“ bezeichnen kann.

Warum nicht wenigstens gemeinnützig betätigen?

Was wir derzeit haben, ist die sozialdemokratische Variante: Wenig Druck und vergleichsweise viel Geld für die Leistungsempfänger, aber eben auch kaum Arbeitsanreize. Italien steuert dagegen derzeit in eine ganz andere, nämlich die liberale Richtung. Dort soll das Bürgergeld für Erwerbsfähige unter 60 Jahren ganz abgeschafft werden. Das hat starke Arbeitsanreize und wenig Bürokratie, aber eben für viele vermutlich auch materielle Not zur Folge.

Die dritte Möglichkeit ist die konservative Variante des „Förderns und Forderns“. Sie lag ursprünglich der Hartz-IV-Idee zugrunde und kombiniert ein hohes Niveau der Ersatzleistungen mit starkem Druck auf die Leistungsempfänger, sich dafür auch irgendwie in den Arbeitsmarkt einzubringen. Dafür muß man dann eben viel Bürokratie und wenig Freiheiten für die Betroffenen in Kauf nehmen.

Viel spricht dafür, sich hierzulande eher in die konservative Richtung zu bewegen, statt alles noch ein bißchen sozialdemokratischer zu machen. Denn eines haben die Bürgergeldempfänger im Überfluß, nämlich Freizeit. Warum also nicht von ihnen verlangen, sich wenigstens gemeinnützig zu betätigen? Alternativ könnte man ihnen auch Aushilfstätigkeiten in der gewerblichen Wirtschaft zuweisen. Das dürfte Neigung und Chancen erhöhen, vielleicht doch einen richtigen Job anzunehmen, gerade auch bei den Migranten. Und es würde die Steuerzahler kaum Geld kosten, sondern sie sogar entlasten.

JF 3/24

Faulenzen statt arbeiten (Symbolbild): Das Bürgergeld liefert einigen Empfängern einen Anreiz, es sich in der sozialen Hängematte gemütlich zu machen Foto: picture alliance/dpa/TASS | Donat Sorokin
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