KAFF-RAMBEL. Es geht um alles oder nichts: Bis auf zehn Kilometer soll sich das Panzerkontingent der Regierungstruppen von Süden nach Maarat an-Numan vorgekämpft haben. Wie zuvor die Ortschaft Hiesch liegt nun auch die kleine Siedlung Psidah entlang der Autobahn unter heftigem Beschuß durch Kampfflieger und Hubschrauber. Die Bombardierung ist massiv. Einige der dunklen Rauchwolken steigen Hunderte Meter hoch in den Himmel. Ob es auch – wie in westlichen Medien seit kurzem berichtet – Streubomben sind, die hier zum Einsatz kommen, spielt für Rebellen und Zivilisten keine Rolle: „Uns ist es egal, womit wir getötet werden.“
Nur eines erscheint klar: Die frühere 91.000-Einwohner-Stadt Maarat an-Numan im Norden Syriens ist kein sicherer Ort mehr. Das gesamte Stadtgebiet liegt tagsüber unter schwerem Feuer. Mittlerweile sollen so gut wie alle Zivilisten ihre Häuser verlassen haben. Tatsächlich ist bis auf die Kämpfer niemand in den Straßen zu sehen. Nach wie vor belagern sie die beiden letzten Armeestützpunkte Wadi Deph und Hamedia.
Zufluchtsort für Tausende
Mit einer Ambulanz geht es hinaus aus dem Hexenkessel. Die bittere Ironie: Ausgerechnet das vor neun Wochen noch so heftig umkämpfte Kaff-Rambel (Kafr Nbel, zehn Kilometer westlich) wurde zum Zufluchtsort für Tausende. Leere Häuser und Moscheen werden bereitgestellt. Freiwillige verteilen Brotrationen an die Familien.
Und es gibt sie auch hier: Junge Männer, die selbst für hiesige Verhältnisse als „verrückt“ gelten. Der bekannte Aktivist Achmed Dschalal ist mit Freunden der Freien Armee auf einem klapprigen Geländewagen an die Front gefahren. Die einen schossen mit ihrer Flak, der andere mit seiner Kamera. Es sind Aufnahmen, die es in sich haben: Die Explosionen auf der anderen Seite der Berghänge, wo sich die Autobahn befindet, sind atemberaubend. Als würde ein Vulkan in die Luft fliegen, dehnen sich die grauen Aschewolken in alle Richtungen aus. Die Erschütterungen waren auch in Kaff-Rambel deutlich zu spüren.
Viele Bomben explodieren nicht
Und noch etwas fällt auf: Die verstreuten Gelände-Einheiten der Rebellen werden kaum in Mitleidenschaft gezogen. Im Zielen scheinen die feindlichen Piloten nicht sonderlich gut. Ebenso wie die Technik: Mindestens ein Fünftel der Bomben bleibt wie Früchte eines Baumes liegen, ohne zu explodieren. Damit klart sich langsam ein diffuses Bild auf, das in den letzten Wochen der Kriegserlebnisse in Syrien entstanden war: Die syrische Armee mag noch so reich an Soldaten und Material sein – die technische und logistische Ausstattung ist jedoch nicht auf dem neuesten Stand. Überbleibsel aus Sowjetzeiten. Wer sein Ziel nicht treffen kann, feuert auf blauen Dunst in die Landschaft. Ein koordinierter Massenmord ist das keineswegs – aber dennoch tragisch für die Zivilbevölkerung, die tatsächlich einen hohen Blutzoll zahlt. In Damaskus dürfte sich die Trauer eher in Grenzen halten angesichts der Tatsache, daß es unter den sunnitischen Arabern der Provinz Idlib nur wenige gibt, die den Aufstand nicht aktiv oder passiv unterstützen.
Kaff-Rambel am Morgen: Ein dumpfer Schlag schreckt die 25.000-Einwohner-Kleinstadt auf. So fern von allem aktuellen Geschehen man auch zu sein schien: Zwei Bomben eines Kampffliegers haben ein zweistöckiges Wohnhaus zum Einsturz gebracht. Galt die Attacke der Waffenschmiede 300 Meter weiter? „Nein“, rufen die aufgebrachten Einwohner. Präsident Assad sei „ein Krimineller“.
Schon vor der Entscheidungsschlacht um Maarat an-Numan habe es in unregelmäßigen Abständen wahllose Angriffe gegeben, obwohl die Kämpfer längst abgezogen waren. Mit zwei Baggern können die Helfer nur noch Leichen aus den Trümmern bergen: Drei Männer, drei Frauen und ein Mädchen. Zunächst hatte es geheißen: 20 Opfer. Zum Sonnenuntergang versammeln sich rund 100 Einwohner in der zentralen Moschee uum Totengebet. Unter klarem Sternenhimmel werden die „Märtyrer“ zwischen den Olivenhainen am Stadtrand verbuddelt. Frauen sind nicht zugelassen – gemäß islamischer Tradition, deren Ursprung niemand genau begründen kann.
Panik, wenn Geräusche am Himmel zu hören sind
Bereits gestern hatte eine Bombe zwei Kinder und eine Frau getötet. So ist es nicht verwunderlich, daß die ersten Flüchtlinge weiterziehen – in die Berge. In einer Erdhöhle wohnen 16 Personen aus drei Familien. Auf dem Gelände der byzantinischen Szardschella-Ruinen haben sich 50 Menschen aus fünf Familien notdürftig eingerichtet. Voller Panik verkriechen sie sich, sobald Geräusche vom Himmel zu vernehmen sind. Und in der Tat: Es gibt bessere Gefühle als jenes, nicht mehr Herr der eigenen Lage zu sein.