Gelegentlich kann es vorkommen, daß man, etwa bei Facebook, an eine Veganerin gerät, die von einer Art Missionsbefehl umgetrieben wird. Als ich mich neulich renitent zeigte und meinen Fleischverzehr allenfalls mäßigen wollte, beschimpfte mich die Missionarin, die mir zunächst gütigerweise helfen wollte, zu einem „wirklichen Menschen“ zu werden, als „Mörder“.
Der Unwille, hinsichtlich der Zumessung von Rechten zwischen Menschen und Tieren zu unterscheiden, spricht auch aus dem von der Zeit-Redakteurin Iris Radisch und ihrem Ehemann Eberhard Rathgeb herausgegebenen Buch ‚Wir haben es satt! Warum Tiere keine Lebensmittel sind’, das Ellen Kositza in der aktuellen Ausgabe der Sezession einer profunden und zugleich augenzwinkernden Kritik unterzieht.
Nebenbei bemerkt, erinnere ich mich, wenn ich an gemeinsame Mahlzeiten mit Ellen Kositza denke, an keine großen Fleischberge, sondern an Kartoffeln und Gemüse auf ihrem Teller, so daß sie einer bloß interessegeleiteten Argumentation unverdächtig ist – dies sehr im Gegensatz zu mir, der ich (neben Schokolade und Marzipan) am liebsten Fleisch, Wurst und Fisch verspeise, weshalb ich mich besonders um (wenigstens theoretische) Neutralität und „Intersubjektivität“ bemühen muß.
Starke Gegner: Ernährungsphysiologen
Die Argumente der Veganer, also der radikalen Vegetarier, die auch den Verzehr von Milch und Eiern, darüber hinaus oft die Verwendung sämtlicher Tierprodukte ablehnen, lassen sich in solche unterteilen, die noch anthropozentrisch bestimmt sind, etwa die Folgen der Ernährung für den Menschen in den Mittelpunkt stellen, und in rein tierethische Erwägungen, die zum Teil religiös grundiert sind.
Erstere zielen entweder auf die Gesundheit des einzelnen oder auf die Welternährung ab, die durch allgemein vegane Ernährung besser gewährleistet wäre. Beide Argumentationslinien bestärken aber lediglich den bereits Überzeugten in seiner Überzeugung. Ernährungsphysiologisch ist tierisches Eiweiß hochwertiger als pflanzliches, so daß eine vegane Ernährung bei Erwachsenen durch Zusatzprodukte (Calzium und Vitamin B12) ergänzt werden sollte; für Kinder wird, etwa von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, davon dringend abgeraten.
Aber auch der Verweis auf die Welternährungssituation ist problematisch: Zwar wird die Abholzung von Wald zum Zwecke der Massentierhaltung zu Recht kritisiert, aber die Umrechnungen, wieviel Getreide sich auf welchem Hektar Weideland anbauen ließe, sind höchst umstritten. Es ist ja nicht so, daß die Tiere, deren Fleisch „die Reichen“ (in den Industrieländern) verzehren, „den Armen“ unmittelbar das sonst erzeugbare Getreide wegfressen, schließlich ernähren sie sich zu einem hohen Prozentsatz von pflanzlichen Produkten, die für Menschen ungenießbar sind; zudem sind viele Weideflächen aus klimatischen Gründen nicht zum Anbau von Pflanzen geeignet. Die Berechnungen, wie viele Menschen sich unter rein veganen Bedingungen ernähren ließen, sind äußerst spekulativ.
Veganismus als kleiner Bruder der Misanthropie
Noch fragwürdiger sind die tierethischen Überlegungen: Da das rationalistische Argument, Tieren mangele es an Bewußtsein und Verstand, erlauben würde, Kleinkinder oder geistig Behinderte zu essen, während die Verschrottung intelligenter Computer im Gegensatz dazu gewichtige ethische Fragen aufwürfe, berufen sich Tierethiker heute eher auf die Leidensfähigkeit. Gegen dieses „pathozentrische“ Argument spricht jedoch auch mancherlei: So läßt sich Leid nicht allgemeinverbindlich messen, und ein blitzschnell geschlachtetes – nicht qualvoll geschächtetes – Tier leidet zweifellos weniger als ein schwerkranker Mensch, der jahrelang dahinsiecht und gegen seinen Willen am Leben erhalten wird. Zudem zeigen sogar Pflanzen meßbare Regungen, wenn man ihnen Blätter abschneidet, so daß man sich ethisch korrekt nur „frugan“, also von Nüssen, Obst und Samen, ernähren dürfte – allerdings spräche dann auch nichts gegen Milch und Eier oder auch gegen eine Züchtung hirn- und empfindungsloser Labortiere.
Schließlich bleiben religiöse Vorstellungen wie die „Beseeltheit“ auch der Tiere, die aber nur die jeweils Gläubigen akzeptieren können. Und wer sich allgemein „biozentrisch“ auf die Natur beruft, wird dort überall das Prinzip des Fressens und Gefressen-Werdens finden. „Natürlich“ ist gerade nicht die Solidarität aller Wesen wie in der Mitleidsethik Schopenhauers, sondern eine ethische Hierarchisierung von den „Nächsten“ zu den „Fernsten“.
Ich will hier nicht verallgemeinern, aber manchmal habe ich den Eindruck, daß sich ein besonders eifriger Veganismus gut mit einer gewissen Misanthropie verträgt: Die eingangs erwähnte „Missionarin“ ist nebenbei auch auf Partnersuche, weist aber darauf hin, daß man ihr mit Kinderwünschen bloß fernbleiben solle, schließlich sei sie mit ihrem Tier-Engagement völlig ausgelastet. Falls ihr aber doch einmal ein „Mißgeschick“ unterlaufen sollte (was ich für unwahrscheinlich halte), würde sie „sofort abtreiben“.