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Die Rückkehr der Nation

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Die Rückkehr der Nation

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Man wird annehmen dürfen, daß „Europa“ auf eine politisch evolutionäre Weise zu tendenziell rechten, also präsidialen oder autoritär demokratischem Staatsverständnis gelangen wird – und dies nicht etwa aus Gründen einer allerorten mystifizierten rechten Gefahr, sondern in Konsequenz des Handelns gerade jener, die sich, vorzugsweise in den Führungsgremien der EU, als Siegelbewahrer der Demokratie geben.

Die Schulden-, Finanz- und Eurokrise, die den Kontinent existentiell getroffen hat, ist im weitesten Sinne das Ergebnis einer verhängnisvollen Politik von Jahrzehnten. Der für die Demokratien erforderliche Grundkosens der Kräfte, bislang leidlich stabil, dürfte nur zum Geringeren Ausdruck eines Bürgerbewußtseins sein; zum größten Teil wurde er durch die Garantie einer staatlich alimentierten Wohlfahrt erkauft, die die Vorkriegszeit so noch nicht kannte, die im Kalten Krieg jedoch forciert wurde, nicht zuletzt um innerhalb der großen Systemauseinandersetzung sozial zu punkten und zu werben: Wohlstand statt Sozialismus!

Stabilität durch Teilhabe am Konsum

Immer größere Gewinne für immer wenigere, dabei aber noch die Garantie eines passablen Standards für die dem Klassenkampf entwöhnte und wohlgenährte Arbeiterschaft zu gewährleisten, das kostet eine Menge in Transfergesellschaften, die aus Effizienzgründen immer weniger Produzierende brauchen, aber die freigesetzte Hälfte wenigstens als Verbraucher mitziehen wollen. Westliche Demokratien waren bislang stabil, weil sie Unternehmern und Hochfinanz liberalistisch satte Dividende ermöglichten, der Arbeiter- und Angestelltenschaft aber ein Milieu erlaubten, in dem Urlaubs- und Weihnachtsgelder sowie regelmäßige Mittelmeerferien einen kleinbürgerliche Zufriedenheit erzeugten.

Schönwetterdemokratie mag ein strapazierter Begriff sein, gleichwohl trifft er den Kern der Sache. Spätestens nach dem Untergang des Sozialismus ist der Bürgersinn auf ein reines Geldverhältnis zwischen Staat und Wählern reduziert worden, also auf einen sachlich-kühlen Klientelismus. Was die Krise jetzt hervorbringt, ist ein Korrektiv, mit dem es sich so komfortabel wie bisher kaum weiterleben lassen wird.

Schwer vorstellbar, daß griechische, portugiesische und spanische, alsbald dann italienische und französische Regierungen weiter in einer Laisser-faire-Demokratie lavieren können, wenn die Spardiktate greifen, zumal die Bürger sich immer weniger mit dem Parlamentarismus identifizieren, mit dem nationalen allenfalls in traditionellen Restbeständen, mit dem des Europaparlaments gleich gar nicht.

Der geschmähte Nationalstaat kommt zurück

Fatalerweise werden Bürgerrechte und Pluralismus kaum mehr als historische Errungenschaften erlebt, weil der Durchschnittsbürger, reduziert auf den Konsumenten („Ich bin doch nicht blöd!“), ihrer immer weniger bedarf, wenn er im Panoptikum von Warenfetischismus und Medienschwachsinn degeneriert. Keine Spur mehr vom Citoyen! Die Wahl zwischen zwei Flachbildschirmen dürfte vielen wichtiger erscheinen als die zwischen zwei Parteien, insofern es überhaupt noch Markierungslinien zwischen denen gibt. Alles ist Mitte, also mittelmäßig, also lau und beliebig. Menschenketten gegen Atomkraft, Massentierhaltung und rechte Gewalt muten an wie der putzig-folkloristischer Rest dessen, was an couragierter Positionierung übrig blieb.

Mag aber wohl sein, die anstehenden Konflikte sorgen für Erfrischung. Greift die soziale Einschränkungspolitik erst erlebbar zu, sieht der Mensch seine Lebensumstände wieder kontrastschärfer an. Vielleicht entsteht dann, was es lange nicht mehr gab, politische Bewegung. Der Wunsch nach Identität stiftenden Persönlichkeiten oder wenigstens solchen, an denen man sich abarbeiten kann, ist deutlich. Das Operettenheldentum zu Guttenbergs gab davon nur einen Vorgeschmack und ließ ahnen, daß selbst peinliche Gestalten zu Symbolfiguren aufsteigen können, wenn sie nur als Alternative zum gängigen „Establishment“ mit seinen mediokren Figuren und redundanten Sprachregelungen gelten.

Weil das Abstraktum EU die Fragen der Zeit nicht lösen kann, wird der geschmähte Nationalstaat neue Bedeutung gewinnen. Merkels und Sarkozys sachpolitische Vormundschaft gegenüber EU-Entscheidungen einerseits, Camerons berechtigter isolationistischer Skeptizismus andererseits deuten dies gegenüber Barrosos Gewimmer bereits an. Die Zeit der hehren, rhetorisch hergeredeten Vorstellungen, die für Tatsachen gehalten wurden, ist vorbei. Von unten kann man mit Gärung rechnen, von oben mit Druck, und so werden plötzlich im politischen Kräfteparallelogramm lange verblaßte Vektoren wieder nachzuzeichnen sein. Schwere Zeiten sind gleichsam solche großer Lebendigkeit.

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