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„Nationalsozialistische Untergrund“: Die Unterwanderten

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„Nationalsozialistische Untergrund“
 

Die Unterwanderten

Diesmal darf man der Bundeskanzlerin zustimmen: „Wir müssen alles tun, um den Fall aufzuklären.“ Denn die sogenannte „Döner-Mord“-Serie, für die Rechtsextremisten verantwortlich sein sollen, wift viele Fragen auf.
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Ausschnitt aus dem Film, in dem sich der NSU zu den Taten bekennen soll Quelle: Youtube

Diesmal darf man der Bundeskanzlerin zustimmen: „Wir müssen alles tun, um den Fall aufzuklären.“ Denn die Morde, die ein Trio infernal aus Thüringen an neun türkisch- und griechischstämmigen Gewerbetreibenden und einer Polizistin mutmaßlich verübt hat, erscheinen so unheimlich und furchteinflößend, daß man sich wünscht, es möge tatsächlich nur eine autonome, neonazistische Terrorzelle verantwortlich sein und niemand sonst. Es verdichtet sich das Gefühl, vor einem Abgrund, vor einem Arkan-Bereich der Politik zu stehen! Die Medien, die im Einheitstakt das Lied von der „Braunen Armee Fraktion“ skandieren, verstärken die Schwindelgefühle noch.

Am meisten befremdet das jahrelange Fehlen öffentlicher Bekenntnisse durch die Mörder, denn erst sie hätten den Bluttaten jene politische Dimension verliehen, die sie im Auge gehabt haben müssen. Die Tötungen, so grausam sie waren, genügten nicht, um bundesweit Verunsicherung auszulösen. Sie blieben – abgesehen von dem Mord an der Polizistin in Heilbronn – lokale Ereignisse, die man instinktiv der Schutzgeldmafia zuschrieb. Indem der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) darauf verzichtete, als solcher hervorzutreten, verfehlte er seinen systemfeindlichen Zweck! Einen politischen Zweck verleiht ihm – unter konträrem Vorzeichen – erst die postume Berichterstattung.

Merkwürdig sind die Umstände der Identifizierung der Täter. Zwei eiskalte Killer, die nach einem Bankraub von Streifenpolizisten gestellt werden, richten ihre Waffen gegen sich selbst, anstatt – wie man ihnen zutrauen dürfte – den finalen Schußwechsel zu suchen, der ihnen einen düsteren Propagandaerfolg verschafft hätte. Und wie durch Zauberhand werden plötzlich Straftaten aufgeklärt, die die Ermittler jahrelang vor Rätsel stellten. Selbst Polizeidirektor Alois Mannichl, der 2008 beinahe einem ominösen Lebkuchenmesser-Attentat zum Opfer gefallen sein will, traut sich aus der Schäm-Ecke hervor und erklärt, er könne sich einen Zusammenhang der Mordserie mit seinem Fall vorstellen.

Viele Aspekte wirken rätselhaft

Fragen drängen sich auf: Offenbar bestand die Terrorzelle aus überwiegend schlichten Gemütern. Wie konnte es ihnen gelingen, viele Jahre spurlos abzutauchen? Warum nahmen die Täter, die zu perfekten Morden fähig waren, einem Mordopfer mehrere Accessoires ab und deponierten sie bei sich zu Hause, wo die Gefahr der Entdeckung drohte? Warum schießen Ausländerhasser deutschen Polizisten in den Hinterkopf? Und wie hat ausgerechnet die DVD mit dem nachträglichen Bekennervideo die Explosion und den Brand der Wohnung überstanden?

Rätselhaft wirken die Hinweise auf Verfassungsschutzkontakte der Täter. In der Wohnung des Trios sollen Papiere gefunden worden sein, die auf einen vertrauten Umgang schließen lassen. Alle drei waren in der Neonazi-Szene über den „Thüringischen Heimatschutz“, dessen einstiger Chef vom Verfassungsschutz viel Geld erhalten hat. Am 6. April 2006, unmittelbar vor dem Mord am türkischen Betreiber eines Internetcafés in Kassel, hat ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes den Tatort sondiert. Was hat das zu bedeuten?

Auf jeden Fall bedeutet es, daß die Behauptung, der Staat sei „auf dem rechten Auge blind“, kompletter Unsinn ist. Die Szene, um die es hier geht, wird permanent unterwandert, überwacht und kontrolliert, was einen Kontrollverlust im Einzelfall nicht ausschließt. Die Bundesrepublik stellt längst eine permanente und institutionalisierte Kriegserklärung gegen „Rechts“ dar, wobei darunter bereits die Formulierung nationaler Eigeninteressen verstanden wird, welche einer zivilreligiös aufgeladenen Hypermoral entgegenstehen. Es wäre – in Anlehnung an entsprechende Überlegungen zur RAF – die Erörterung wert, ob ungefestigte Naturen dadurch zu krankhaften Reaktionen veranlaßt werden können.

Weg vom kriselnden Euro und hin zum ewigen Hitler ins uns

Dabei geht der Unterschied zwischen der RAF und neonazistischen Terroristen über das Fehlen des Bekenntnisdrangs und der ideologischen Kohärenz hinaus. Rechtsterroristen haben nicht bloß den Staat gegen sich, sondern auch die Gesellschaft, anders als die RAF, die bei gesellschaftlichen Multiplikatoren klammheimliche Sympathien genossen hat.

Die etablierten Politiker und Medien tun nun das, was sie eben tun müssen: Sie instrumentalisieren die Ermittlungsergebnisse, die in Echtzeit bekanntgegeben werden, in gewohnter Weise. Endlich wieder ein Thema, bei dem sie selbst dann auf der richtigen Seite stehen, wenn sie falschliegen! Doch neben der Genugtuung ist nicht zu verkennen, daß die meisten ratlos und geschockt wirken und sich auf die Geheimdienstkontakte keinen Reim machen können. Das könnte auf eine zweite und – nimmt man die gleichfalls ratlos stammelnden VS-Funktionäre hinzu – sogar dritte Ebene verweisen, auf der die Instrumentalisierung stattfindet.

Man muß, um das zu erwägen, keineswegs den Simulationstheoretiker Jean Baudrillard bemühen, der den Terrorismus und den Kampf dagegen sich annähern sah, sondern nur den Zeitpunkt bedenken, zu dem die Mordserie – hoffentlich – aufgeklärt wird. Unsere Währung und damit unsere Ersparnisse, Lebensversicherungen und Altersvorsorgen verflüssigen sich gerade. Die Enthüllungen über eine neonazistische Terrorzelle bieten eine willkommene Ablenkung: weg vom kriselnden Euro und hin zum ewigen Hitler in uns.

Eine kontrollierte Hysterie könnte psychologisch den Boden bereiten für geplante Gesetzes- und Verfassungsänderungen. Aber auch äußere Kräfte besitzen angesichts von Schulden- und EU-Krise ein Interesse daran, die deutsche NS-Traumatisierung zu erneuern und Deutschland im Zustand politischer Besinnungslosigkeit zu halten.

Auch deshalb hat die Kanzlerin mit ihrem Ruf nach Aufklärung absolut recht.

JF 47/11

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