Günter Verheugen ist tief besorgt: „Wir haben eine Führungsschwäche und eine klare Renationalisierung in Europa“, warnte der ehemalige Industrie- und Erweiterungskommissar der Europäischen Union unlängst. Anlaß der Unmutsbekundung des als „glühender Europäer“ bekannten Sozialdemokraten war der Alleingang Dänemarks bei der Wiedereinführung von stationären Grenzkontrollen. Diesen Kurs hatte die rechtsliberal-konservative Regierung in Kopenhagen auf maßgeblichen Druck der als „rechtspopulistisch“ geltenden Dänischen Volkspartei (DF) eingeschlagen.
Doch nicht nur in Dänemark ist es Parteien rechts neben den klassisch christdemokratischen Formationen gelungen, sich im Parteiensystem zu etablieren. Auch in Österreich, Schweden, Finnland, Norwegen, Ungarn, Italien und Frankreich sind rechte und rechtsliberale Parteien auf Erfolgskurs. In Italien und Ungarn tragen sie bereits Regierungsverantwortung. Grund genug für die Grünen, Liberalen und Christdemokraten im EU-Parlament, sich in gleich drei Konferenzen mit dem Thema zu befassen. Der Grundtenor ist dabei immer der gleiche: Die Gefahr ist real.
Konservative werden in die Defensive gedrängt
Bereits Mitte des vergangenen Jahres hatte sich deshalb eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mit der Frage beschäftigt, ob der „Rechtspopulismus“ ein „vergängliches Phänomen“ sei oder ob er sich „auf dem Weg zum politischen Mainstream?“ befinde. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) gibt jetzt die Antwort: „Nach ihrer Etablierung – Rechtspopulistische Parteien in Europa“ nennt sich das frisch herausgegebene 70seitige Werk des 31jährigen Politikwissenschaftlers Florian Hartleb.
Im Mittelpunkt seiner Studie stehen die Mobilisierungsthemen und Wählerklientel des „Rechtspopulismus“. Hartleb will der Frage auf den Grund gehen, welche Handlungsmöglichkeiten die europäischen Christdemokraten angesichts des Wandels in der Parteienlandschaft haben. Zuerst stellt er dabei klar, daß man den Konservatismus sorgfältig vom „Rechtspopulismus“ trennen müsse. Während ersterer sich besonders über seine politische Stabilität definiere, präge letzteren eine flatterhafte Unberechenbarkeit.
Daß es durchaus auch Gemeinsamkeiten gibt, wird zumindest indirekt deutlich. So habe der Rechtspopulismus vom Versagen des heutigen „(Neo-)Konservatismus“ in erheblichem Maße profitiert und die Konservativen „in die Defensive gedrängt“, räumt der Autor ein. Daß eine solche mit dem Skalpell des analysierenden Politologen gezogene Grenzziehung gar nicht so einfach ist, zeigt ein Blick auf die politische Realität. So haben sich zahlreiche christlich-konservative Parteien in der EU die Grundforderungen des „Rechtspopulismus“, also Euro-Skeptizismus, Sozialpopulismus, Islamisierungs- sowie Einwanderungskritik, mit unterschiedlichem Erfolg zu eigen gemacht.
Konservative Parteien kopieren die „Rechtspopulisten“
In den Niederlanden lassen sich die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) und die christlich-demokratische CDA in einer Minderheitsregierung seit vergangenem September von dem als Paradebeispiel des erfolgreichen „Rechtspopulisten“ geltenden Geert Wilders und seiner Partei für die Freiheit dulden. VVD und CDA haben dabei längst die Forderungen nach einer härteren Asyl-, Einwanderungs- und Integrationspolitik übernommen. Gleiches gilt für die rechtsliberale Venstre-Partei in Dänemark. Auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat in den vergangenen Monaten immer wieder klassisch rechtspopulistische Themen besetzt und machte dies zuletzt mit dem Burkaverbot deutlich.
Gerade deswegen sieht Hartleb den Populismusbegriff durchaus kritisch. Eine Gleichsetzung mit Rechtsextremismus verbiete sich. Zwar gebe es durchaus Überschneidungen, eine generelle Diskreditierung als verfassungsfeindlich ließe sich jedoch nicht rechtfertigen: „Er rüttelt nicht an den Eckpfeilern des demokratischen Wertekanons“, konstatiert der Politikwissenschaftler.
Er erfülle damit sogar eine wichtige Aufgabe. So habe er wie ein Reinigungseffekt auf den verkrusteten „Klientelismus“ der etablierten Parteien gewirkt. Gerade wenn er „tatsächliche Defizite“ der überdehnten Parteiendemokratie und der „Political Correctness“ anspricht. So gebe es auch sehr „reale Versäumnisse“ bei Integration, Kriminalität und Parallelgesellschaften, die besonders bei Muslimen nachweisbar seien.
Dennoch, so der Autor, müsse die Gesellschaft und gerade der politische Konservatismus eine Antwort finden. Getrieben von der „Angst des kleinen Mannes“, dem symbolischen Schreckgespenst der weiter erodierenden Volksparteien, gerate der Zusammenhalt der Gesellschaft unter Beschuß. Hier könne nur ein gesamtgesellschaftlicher Pakt, basierend auf dem Sozialstaat und kultureller Offenheit, also gegen Xenophobie und Nationalismus helfen.
Deutsche Sondersicht auf den „Rechtspopulismus“
Zudem sollten, schlägt der Autor vor, die etablierten Parteien die Themen der Populisten, die damit ihre Berechtigung erhalten, aufgreifen. Er verweist hier auf das Beispiel Sarkozys in Frankreich, der so einen Erfolg des Front National (FN) Le Pens verhindert habe. Der ist zuletzt weniger an Sarkozy, als vielmehr am Mehrheitswahlrecht gescheitert. Hier zeigt sich das Grundproblem der Studie: Hartleb legt durchgehend die Maßstäbe der bundesdeutschen Öffentlichkeit an, die bisher noch jeden Vertreter von Parteien rechts der Union erfolgreich in die „Nähe des Nationalsozialismus gerückt“ hat.
Während Deutschland hier also einen historisch determinierten Sonderweg einschlägt, haben in den meisten europäischen Ländern vermeintlich „rechtspopulistische“ Themen längst ihren Eingang in das breite Spektrum aus Konservatismus und Liberalismus gefunden. Diese neue europäische Lockerheit zeigt sich, wenn die Wiener FPÖ-Politikerin Barbara Kappel auf die Frage, ob ihre Partei populistisch sei, nur lakonisch antwortet: Nein, sie ist „pragmatisch“.
JF 21/11