Der Liberalismus hat bei den meisten wirklichen Konservativen keinen guten Stand und wird als Gegenpart des Konservativen verstanden. Das liberale Gedöns, so heißt es, habe uns doch die aktuellen Probleme eingebracht: Kuscheljustiz, Selbstverwirklichungs-Wahnsinn und Dekadenz, männerhassende Emanzen und Jugendliche, die uns als „Scheißdeutsche“ beschimpfen.
Der Kritik an diesen Problemen kann ich nun allerdings auch als Liberaler sehr folgen. Und wenn ich mir dann anschaue, was die Liberalismus-kritischen Konservativen konkret politisch ändern wollen, um jene Probleme zu beheben, dann sind die Unterschiede zu mir oft gar nicht so groß. Könnte es also sein, daß wir lediglich etwas Anderes unter dem Begriff „Liberalismus“ verstehen?
Löst man die Begriffsverwirrung auf, dann sehen die Konservativen jedenfalls nicht mehr so illiberal aus.
Die Freiheit steht im Vordergrund
Laut dem Politlexikon von Martina Klein und Klaus Schubert (4. Auflage, Bonn 2006) ist Liberalismus „eine politische Weltanschauung, die die Freiheiten des einzelnen Menschen in den Vordergrund stellt“. Bedenkt man dies, dann sieht man, daß hierzulande Vieles als „liberal“ gilt, was das Gegenteil ist. Beispiel: Für Frauenquoten oder für das „Antidiskriminierungsgesetz“ zu sein, gilt als „liberal“. Aber wo stellen solche Maßnahmen „die Freiheit des einzelnen Menschen in den Vordergrund“, um das erwähnte Politlexikon zu zitieren? Feministischer Wahnsinn und der Anti-Diskriminierungs-Quatsch ist allenfalls links, jedoch das Gegenteil von liberal.
Auch anderswo sind angeblich liberale Positionen schlicht links. Es wird verkannt, daß die Befürwortung von Freiheit nicht bedeutet, daß man jedes asoziale Verhalten kritiklos hinnehmen muß. Oder daß man nicht Sanktionen gegen jene anwenden dürfe, die die Freiheit oder Unversehrtheit anderer eingrenzen oder gefährden. Deswegen ist das Schimpfen über „liberale Justiz“ im Zusammenhang mit Gewalttätern irrsinnig. Lasche Strafen gegen Gewalttäter oder Verharmlosung von Kriminalität unter Verweis auf die Kindheit des Täters haben nun wirklich nichts mit Liberalismus zu tun. Ebensowenig fehlende Disziplin in der Schulpädagogik oder falsche Rücksichtnahme auf Schüler, die den Unterricht stören und Mitschüler mobben.
Liberalismus heißt nicht Gleichgültigkeit gegenüber Werten
Zudem toleriert die liberale Position zwar verschiedene Lebenswege und Werte. Das heißt aber nicht, daß man diesen Lebenswegen und Werten gleichgültig gegenüberstehen muß. Konkret: man kann homosexuelle Beziehungen und Alleinerziehende tolerieren, und trotzdem finden, daß die bürgerliche Mutter-Vater-Kind-Familie der Idealfall ist. Man kann Respekt vor Frauen haben, die Familie und Beruf miteinander verbinden. Und trotzdem meinen, daß es derzeit besser wäre, wenn viel mehr Frauen lieber auf Beruf und Karriere verzichten würden als auf Kinder. Man kann Toleranz gegenüber anderen Nationen haben und trotzdem nur für das Heimatland flammende Liebe empfinden. Liberalismus ist nicht das Selbe wie Dekadenz und Werte-Beliebigkeit. Der rechtsliberale „Stresemann-Club“ in der FDP erinnert denn auch an die vergessene Tatsache, daß man die liberale und die nationale Frage in eins denken kann.
Die Linken sind nicht liberaler, sondern insgesamt meist illiberaler als viele Konservative – ob bei den Themen Rauchverbot, Gesundheits-Gängelungen, Waffenbesitz, Wirtschaft oder Sexualmoral. Und beim Thema Meinungsfreiheit. Gern zitieren Konservative einen Aufsatz von Jens Jesse aus dem Jahr 2002 in der Zeit. Jesse beklagte, daß man heute dazu neige, andere als liberale Meinungen nicht zuzulassen. Es sei ein „verfolgender Liberalismus entstanden, der alles Denken unter Radikalismusverdacht stellt, das nach Alternativen zu den bestehenden Verhältnissen sucht“.
Radikalismusverdacht trifft auch Liberale
Aber wird dieser „Radikalismusverdacht“ nicht vor allem beim linken „Kampf gegen Rechts“ gegen alle Rechten erhoben? Und schauen wir uns doch an, welche Ideologien man angreifen muß, um unter „Radikalismusverdacht“ zu geraten: Feminismus, deutscher Selbsthaß, Sozialismus. Liberal? Oder links? In Wirklichkeit sind es neben den Konservativen die Liberalen selbst, die ständig Opfer der konformistischen Hexenjagd von verschiedenster Seite werden. Walter Kempowski erkannte es kurz vor seinem Tode: „Ich bin konservativ und liberal, und das darf man in Deutschland nicht sein.“
Doch heute spricht man meist von liberal, wenn man Gutmenschentum meint. Ein Feuilleton-Chef einer sogenannten „liberalen“ Wochenzeitung philosophierte einmal nach einem brutalen Überfall auf einen Rentner darüber, welche Schuld die Spießigkeit von Rentnern an der Tat hatte. Merkwürdig nur, daß ich der JUNGEN FREIHEIT als Liberaler deutlich näher stehe als sogenannten „liberalen“ Blättern wie der armseligen Zeit oder der taz. „Liberal“ bedeutet eben heute: Frauen dürfen Männer als verblödete Nichtsnutze beschimpfen, kriminelle Jugendbanden dürfen auf Kreuzbergs Straßen die Sau rauslassen, und am 8. Mai wird feierlich mit Sektglas, Pionierhalsband und Stolperstein in die Badewanne gestiegen. Auf einen solchen Stolperstein-Liberalismus kann ich im Zweifel dann aber doch verzichten.