Die Ohnmacht gegenüber einer Streßkultur, die in globaler Ausdehnung unangreifbar scheint, führte in Frankreich jüngst zu Widerstandsappellen mit Bestsellerstatus: Das Anarcho-Manifest „Der kommende Aufstand” (2008) und „Empört euch!” (2010), ein Aufruf zu gewaltloser Auflehnung, verfaßt von dem 93jährigen Ex-Résistance-Kämpfer Stéphane Hessel.
Was man in Frankreich als „Aufstand” beschwört, fürchtet man hierzulande als „Bürgerkrieg”. So ist die hiesige Publizistik weniger mobilisierend als warnend: Mit „Vorsicht Bürgerkrieg” (2008) bringt ein Sachbuch-Titel von Udo Ulfkotte diese Tendenz auf den Punkt. Aber egal, ob aggresiver „Aufstand“ oder gefürchteter „Bürgerkrieg“, beide meinen den großen Knall, der einer gärenden Gegenwart zu folgen droht.
Berlin als Schauplatz der Untergangsvisionen
Länger und eindringlicher als Literatur oder Journalismus spiegeln TV-Produktionen diese Tendenz. Und Berlin, seit Mauerfall zum repräsentiven Schauplatz aufgestiegen, bildet zuverlässig den Spielort des Geschehens. In den Neunzigern, als Experiment und Aufbruchstimmung dominierten, erschien auch die Spreemetropole als (noch) nicht festgelegtes Laboratorium, so in Komödien wie „Das Leben ist eine Baustelle” (1995).
Wenige Jahre darauf, 1998, wies die Literatur bereits einen anderen Weg: Der Autor Tim Staffel definierte das „neue Berlin” als „Terrordrom”. Sein gleichnamiger Roman zeigt die Stadt restlos gefrostet, klimatisch wie sozial. Die Produktion von Haß-Manifesten läuft auf Hochgeschwindigkeit, und ein Sperrbezirk in Mitte ist für blutiges Kriegsspiel freigegeben, das ein TV-Sender in die Haushalte überträgt.
Die Filmindustrie blieb zur selben Zeit noch ruhig: ?Thomas Schadts „Berlin – Sinfonie einer Großstadt” (2002), ein Remake des gleichnamigen Avantgarde-Klassikers von Walter Ruttmann (1927), enthielt sich jeglicher Tendenzbestimmung. Hans Stöhrs ZDF-Produktion „Berlin is in Germany” (2001) thematisierte die Ost-West-Entfremdung, verzichtete aber auf apokalyptische Untertöne. Lediglich Christophs Schlingensiefs „Die 120 Tage von Bottrop” (1998), in dem die Ex-Faßbinder-Crew auf der damaligen Großbaustelle Potsdamer-Platz ein Remake von Pasolinis „120 Tage von Sodom” realisiert, parodierte die Kultur des künftigen Zwangshedonismus.
Die Filmindustrie geht an die Schmerzgrenze
Inzwischen bekennt sich die hiesige Filmproduktion offen zu einer Gegenwart auf der Schmerzgrenze. Im vergangenen Jahr produzierte das ZDF gleich zwei apokalyptische Science-fiction-Filme. Einmal das, vergangene Woche gesendete, TV-Spiel „2030 – Aufstand der Jungen” (2010), ein Pendant zu „2030 – Aufstand der Alten” (2007).
Regisseur Jörg Lühdorff rechnet darin alle Gegenwartsprobleme zum Endzeit-Szenario hoch: Überwachung durch Vernetzung, Schöneberg wird zum Ghetto, es gibt fast nur noch Kurzarbeit, Studiengebüren und Renten sind unbezahlbar geworden. Eine Zweiklassenmedizin, deren Verlierer man in Kellerräumen verarztet, bildet die Spitze des Eisbergs. In seiner eindimensionalen Dramaturgie bleibt er weit hinter Werken wie dem Comic „Bunker Babydoll Coka” (1999), der das gleiche Thema schon zwölf Jahre zuvor aufgriff. Dennoch ist die TV-Produktion ein unbestechlicher Zeitgeist-Seismograph.
Noch deutlicher wurde ZDF-Fernsehspiel „Rammbock” (2010), das im vergangenen Monat erstmals über den Äther ging. In einem Berliner Hinterhof wüten Zombies, fressen und infizieren die Bewohner. Hier ist er ausgebrochen, der Bürgerkrieg, und verwandelt die neue Glitzermetropole schnell zum dunklen Grab. Ein traditionsloses Nützlichkeitsdenken, das der konservative Philosoph Henning Ritter in seinen „Notizheften” (2010) im zeitgenössischen Mittelstand entdeckte, gelangt in „Rammbock” zur letzten Konsequenz: Neokannibalismus als radikale Nutzung (mit-)menschlicher Energie. Politische Angst als Gruselstoff.
Zeit für die Rückkehr des Dr. Mabuse
Trotzdem bleibt der „definitive” Film zur Krise noch aus, einer, der namenlose Gegenwartsangst auf den metaphorischen Punkt bringt. In den zwanziger Jahren besorgte das Fritz Lang mit seiner „Dr. Mabuse”-Reihe. Dieser Dr. Mabuse, Hypnotiseur, Psychoanalytiker und flexibler Maskenkünstler, veranstaltet Börsenchaos, verübt Attentate, die scheinbar niemandem nutzen, nur seinen Wunsch nach Chaos befriedigen, den letzten Rausch des Nihilisten.
Purer Machtwille gegen Fatalismus. Genau solche Destruktivität prägt auch die „Joker“-Figur der Batman-Filme. Zwar traf Mabuse den Zeitgeist der Weimarer-Republik, aber dessen Neuauflage in den Sechzigern schlug fehl. Die Adenauer-Ära bot zu wenig Nährstoff für diese Figur. Aber jetzt, 2011, ist Zeit für ein Remake, für die Rückkehr Mabuses ins Kino. Als reale Person wäre er unerträglich, als Zeitdiagnostiker bleibt er unverzichtbar.