Nachdem Nietzsche im vergangenen Jahr zum französischen Comic-Helden avancierte, ist jetzt Arthur Rimbaud an der Reihe: „Le Chapeau de Rimbaud“ (2010) schildert die zweite Hälfte seines Lebens nach seiner Abkehr von der Dichtung und dem Exodus nach Afrika, wo er als Kaufmann seine Kaffee- und Waffen-Karawanen bei brütender Hitze bis in die entlegensten Ecken trieb.
Er lernte die arabische Sprache rasch, verkehrte mit Einheimischen und las den Koran. Fast zeitgleich zur Publikation des Rimbaud-Comics tauchte im Frühjahr dieses Jahres ein Foto aus 130jähriger Versenkung auf: Es zeigt den 26jährigen Dichter in Aden. Dieser zweite, post-poetische Rimbaud wurde lange Zeit vernachlässigt. Zu sehr war man beeindruckt von dem jungen Wunderknaben, der die literarische Moderne beispiellos vorantrieb.
Der Ausreißer, der durch Paris und Europa streunte, in bitterer Armut und Absinthrausch „grenzenlose“ Poesie verfaßte, faszinierte Surrealisten, Expressionisten und Individualisten wie Ernst Jünger oder Martin Heidegger. „Man muß“ erklärte er, „absolut modern sein“, das heißt die Herausforderung des neuzeitlichen Nihilismus annehmen, nicht ins Vergangene flüchten. Im Zeitalter des religiös-kulturellen Zusammenbruchs inthronisierte er den Dichter als neuen Heiligen, als „Seher”.
Entwurzelt und entfremdet
Sein Werk und dessen Mystik, sein Bruch mit dem Dichtertum als 19jähriger, all das ließ die kommenden Jahre als rastloser Wüstenhändler verblassen. Manche Monographie sparte sie gänzlich aus. (Nur Katholiken wie Paul Claudel interessierte Rimbauds Konversion zum Christentum am Ende seines nur 37 Jahre dauernden Lebens.)
In der Populärkultur war Rimbaud stets der „junge Wilde“, in den Achtzigern sogar mit der Punkbewegung assoziiert. Auch die 1995 erschienene Filmbiographie von Agnieszka Holland („Total eclipse“ mit Leonardo di Caprio als Rimbaud, auf deutsch: „Die Affäre von Rimbaud und Verlaine“) beschränkt sich auf die Pubertätsjahre.
Erst die Übersetzer Hans Therre und Rainer C. Schmidt erkannten in Rimbauds zweiter Lebenshälfte eine neue, eigene Poesie. Wie Nietzsche zerbrach Rimbaud am Ende der abendländischen Kultur.
Aber sein Ende war nicht der Irrsinn, er suchte die Wüste auf. War der literarische Rimbaud eine Kultfigur des 20. Jahrhunderts, so könnte der Wüsten-Rimbaud für das 21. Jahrhundert dieselbe Bedeutung erlangen: Entwurzelt, seiner Heimat entfremdet, suchte er rastlos, lernte er fremde Sprachen und gierte nach Reichtum in globalem Ausmaß. Dabei kannte er keine Skrupel und handelte auch mit Waffen.
Dürftig und wenig fundiert
Aber die Geschäftsideen gingen nicht auf, das Glück blieb aus. Zwanghaft klammerte er sich an sein bißchen Geld, das er in einem Gurtbeutel trug und überall mitnahm. Die jugendliche Freiheit war dahin. Lange glaubte man, er habe in dieser Zeit nur Technik- und Handwerksbücher gelesen. Dabei wird die Lektüre des Koran übergangen, der im Original überaus poetisch ist.
Also doch eine neue Poesie, eine neue Religiosität in einer neuen Welt? Wohl eher nicht. Mag die Wüsten-Existenz auch abenteuerlich klingen, im Erleben war sie pure Hölle, in der keine irdische Erfüllung, keine Liebe, keine wirkliche Aufgabe zu finden war, sondern nur Mühsal und Langeweile. Das rastlose Durchforsten der Leere (der Wüste), das Kleben am Gold, das Suchen nach einer anderen Religion, macht den Ex-Poeten zum Zeitgenossen. Und die Konversion in den letzten Lebenstagen, die Rückkehr ins europäische Christentum? Half das, oder war es schon zu spät?
Die Quellen darüber, die Aussagen von Rimbauds Schwester, sind dürftig und wenig fundiert. In jedem Fall gaben die Ärzte Rimbaud Betäubungsmittel. Selbst darin war sein Leben beispiellos modern.