Der Nacktscanner ist wieder da. Kurz vor Ablauf des Jahres 25 nach 1984 wurde ein Vorhaben wiedergeboren, das noch ein Jahr zuvor an breiter öffentlicher Ablehnung gescheitert war: alle Reisenden auf europäischen Flughäfen bis unter die Unterwäsche zu durchleuchten. Der so spektakulär wie dilettantisch gescheiterte Beinahe-Anschlag eines nigerianischen Islam-Extremisten am ersten Weihnachtsfeiertag bot mehreren europäischen Regierungen einen Anlaß, die öffentliche Empörung zu überrumpeln und den Einsatz der Ganzkörperdurchleuchter („Bodyscanner“) doch durchzudrücken.
Wie real die von jenem Nigerianer ausgehende Gefahr und wie echt der Möchtegern-Attentäter selbst war, sei dahingestellt; auch im Zukunftsstaat von Orwells „1984“ wußte man ja nie so genau, ob der bedrohliche Dauerkrieg an fernen Fronten, mit dem die staatliche Totalüberwachung legitimiert wurde, tatsächlich stattfand. Gesteuert oder nicht, Terroristen und Kriminelle werden von den Reiseströmen der globalen Vernetzung stets angezogen werden, und einige werden es immer schaffen, alle Sicherheitssysteme zu überwinden und ihre Pläne auszuführen – übrigens auch in Eisenbahnzügen, die in den Überwachungsszenarien bislang noch kaum eine Rolle spielen. Totale Sicherheit und perfekte Kontrolle sind eine Illusion.
Es geht also um die Minimierung von Risiken und um das richtige Verhältnis des erzielten Nutzens zu den Kosten – den materiellen wie den immateriellen, etwa den Eingriffen in individuelle Freiheits- und Persönlichkeitsrechte. Um den Bürgern die Bedenken gegen die Nacktscanner zu nehmen, wird ein ganzer Cocktail aus Beruhigungspillen und Alarmismusspritzen verabreicht: Die neue Terahertz-Technologie sei ungefährlich, und man könne die Nacktbilder der Flugreisenden ja „anonymisieren“, indem man Gesicht und Geschlechtsteile „pixelt“. Ein schwacher Trost für Menschen mit Schamgefühl, die sich wohl auch nicht damit beruhigen lassen, daß der weit weg sitzende Auswerter das ungewollt von ihnen angefertigte Nacktbild nicht mit dem lebendigen Original vergleichen könne. Identifizierbar muß dieses trotzdem bleiben, sonst wäre die Prozedur sinnlos. Wer sich dennoch sträubt, muß sich im medialen Begleitlärm schon mal „Privatsphären-Fundamentalismus“ vorwerfen lassen oder bekommt Alternativlosigkeit suggerierende „Lieber nackt als tot“-Parolen um die Ohren geschlagen.
Den konkreten Fall des Weihnachts-Attentäters hätten Körperscanner freilich auch nicht verhindern können, warnen selbst die Entwickler der Geräte: Damit könne man zwar mehr erkennen als mit bisheriger Technologie, nicht aber Spezialsprengstoffe wie den des Nigerianers. Übrigens auch nicht im Körper versteckten Sprengstoff wie die im Darm plazierte „Zäpfchenbombe“, vor der der französische Geheimdienst warnte und damit prompt bei einigen „Experten“ unter den Politikern den reflexhaften Ruf nach noch schärferen und „völlig neuen“ Kontrollen auslöste.
Der Ruf nach dem Nacktscanner ist die logische Fortsetzung eines pauschalistischen Vollkasko-Denkens, das auf jede denkbare exotische Bedrohung mit massiven Generalmaßnahmen gegen jedermann reagiert. Noch immer gilt auf europäischen Flughäfen das nach einer Aufregungswelle über schwer entdeckbare Sprengstoffe eingeführte Verbot von Flüssigkeiten im Handgepäck, dessen Effekt abgesehen von einer beträchtlichen Bindung von Kontrollressourcen zweifelhaft geblieben ist. Die Frage nach dem Grenznutzen des Sicherheitsperfektionismus stellt sich auch bei der Ganzkörperdurchleuchtung.
Zum einen ist die beste Technik immer nur so gut wie ihre Bediener. Sind das schlechtbezahlte und unmotivierte Billigkräfte, rutscht dennoch vieles durch. Der geübte Blick eines gutausgebildeten Sicherheitsbeamten ist durch technische Mittel zwar zu unterstützen, aber nicht zu ersetzen. Sicherheit hat ihren Preis, und wer ihn zahlen will, muß in professionelles Personal investieren und nicht nur in Technik. Geiz an dieser Stelle ist ebenso gefährlich wie Profitgier der Flughafenbetreiber, die zuläßt, daß hinter der Kontrollschleuse im zollfreien Einkaufsbereich alles mögliche wieder gekauft werden kann, was soeben aufwendig konfisziert wurde.
Zum zweiten ist es zielführender, konkrete Verdachtsgruppen unter den Reisenden ins Visier zu nehmen, statt sich allein auf wechselnde Anschlagsmethoden zu konzentrieren und dabei mit immensem Aufwand alle unter Generalverdacht zu stellen. Und die Hauptrisikogruppe sind nun einmal – siehe Detroit – islamische Fanatiker, die in der Regel in Verbindung mit einschlägigen „Risiko-Staaten“ stehen. Natürlich ist nicht jeder Muslim ein Fanatiker und Terrorist, aber fast alle Luft-Terroristen sind heutzutage muslimische Fanatiker. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.
Oder fürchtet man sich womöglich davor, eine Risikogruppe zu provozieren? Dann hätte eine intolerante Minderheit in der Tat ihr Ziel erreicht, nämlich den globalen freien Verkehr bereits mit Drohungen massiv zu behindern. Genau das geschieht, wenn die Verantwortlichen in Europas Regierungen weiter aus Geiz und Feigheit den bequemen Weg gehen und lieber ihre eigenen Bürger diskriminieren, als qualifiziertes Sicherheitspersonal gut zu bezahlen und die Verdächtigen dort suchen zu lassen, wo sie gehäuft anzutreffen sind.
Foto: Sicherheitskontrolle auf einem Flughafen im Jahr 2015 …