Nachdem das Bundesverfassungsgericht fünf Jahre lang auf der Verfassungsbeschwerde des jetzt am 29. Oktober verstorbenen Rechtsanwalts Rieger gegen die Volksverhetzungs-Novelle 2005 gehockt und unter Hinweis auf deren Problematik – allgemein und wegen ihrer konkreten Anwendung – eine Sachentscheidung immer wieder verschoben hatte, liegt nun plötzlich eine Presseerklärung zu seiner (bis dahin unbekannten) Entscheidung vom 4. November vor, die nicht die Frucht langen Nachdenkens sein kann. Sie teilt mit, daß der Senat die fragwürdige Novelle abgesegnet hat. Mit welchen Gründen aber bleibt nebulös: Die Meinungsfreiheit sei zwar heilig, doch nur im Grundsatz, aber auch die Ausnahmen bedürften der Einschränkungen, die freilich wiederum nicht schlechthin gelten könnten; bis herauskommt, daß unser altes NS-Tabu („angesichts des Unrechts und Schreckens“) jede Gängelung unerwünschter Meinungsäußerungen erlaubt. Man träte dem Senat zu nahe mit dem Verdacht, daß sein schriftliches Urteil von gleicher Dürftigkeit sein wird wie seine mit offenbar heißer Nadel genähte Presseerklärung. Aber wie soll man einen sachlich schwerlich haltbaren, ja fatalen Tenor mit überzeugenden Gründen garnieren?
Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.