Ist Leni Riefenstahl auferstanden? Zumindest für einige Augenblicke in Würzburg, wenn junge Körper voller Energie strahlen. Helle Haut auf dunkler Bühne, sportliche Eleganz statt erotischer Ekstase, sich spiegelnd in einer Unterwasserwelt im Bühnenhintergrund. Doch die Musik macht klar, wo wir uns befinden: nicht bei der Olympiade, sondern in einem träumerischen Schwebezustand, der bei Richard Wagner für den Venusberg steht, für ein mittelalterliches Edelbordell. Eine Venus ganz in Lila mit großem Umhang wie eine Fledermaus, umringt von Wesen, die sich wie Seehunde oder Schlangen im Takt der Herrin bewegen, eingehüllt in grausilbriger Reptilienhaut.
Theaterchef Hermann Schneider übersetzt Wagners „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ in unsere Zeit, ohne den Operntext zu vergewaltigen. Schneider zeichnet einen unauffälligen, willensschwachen Tannhäuser, der aus der Venusfalle nicht wirklich rauskommt, immer wieder rückfällig wird in seinem Reden und Streben (wie ein Alkoholiker oder Drogensüchtiger). Zwar rebelliert er kniend und ohne Hose gegen die Venus: „Bei dir kann ich nur Sklave werden, nach Freiheit doch verlangt es mich“, trotzdem verteidigt er dann beim Sängerwettstreit den Venusberg als höchste Form der Liebe.
Tannhäuser zieht es in die Zauberwelt der Venus, obwohl seine ritterlichen Freunde ihn wieder aufnehmen, obwohl Elisabeth sein Leben rettet und für ihn betet, obwohl er eine Pilgerfahrt nach Rom hinter sich hat und alles bereut. Trotz allem findet er den Weg zur christlichen Askese nicht, die Venushörigkeitskrankheit hat ihn im Griff.
Wie übersetzt Regisseur Schneider die Tannhäuser-Sage in die Gegenwart? Die Ritter sind bei ihm Hochgebirgsbergsteiger, die sich auf der abschüssigen Bühne mit einem Seil nach unten hangeln: Bergsteiger in langen Mänteln, im Expeditionsstil der 1920er Jahre, mit Schneebrillen und weißen Mützen. Das Thüringer Tal bleibt so dunkel beleuchtet wie das Sündenparadies der Venus. Ein frühlingshaftes Kontrastprogramm fehlt. Der Sängerkrieg auf Wartburg findet in einer modernen Halle statt, mit chromblitzender Zuschauertribüne, die aus dem Untergrund hochsteigt. Im dritten Akt dominiert wieder die schräge Bühne, die Inszenierung wird blaß, das Regiepulver ist verschossen.
Dabei gäbe es interessante Alternativen. Die Deutsche Oper Berlin zeigt Elisabeth in einem Lazarett, wie sie kranke Pilger pflegt. Nachteil der Berliner Interpretation: Venus und Elisabeth verschmelzen zu einer Person, als ob es keinen kleinen Unterschied gäbe zwischen platonischer Liebe und Bordellbetrieb.
Für Gegner der modernen Aufführungspraxis bleibt der Trost der Musik: Augen zu, Ohren auf. Das Orchester unter Jonathan Seers erzeugt traumhafte Klänge, pathetische Aufschwünge gleiten zurück mit sanfter Energie. Ein berührender Pilgerchor verwechselte selten Laustärke mit Wohlklang.
Und die Stimmen erst: Elastischer Belcanto durchströmt das Theater. Besonders Anja Eichhorn als Elisabeth überzeugt mit ihrem warmen und innigen Sopran. Unter den vielen Gastsängern überraschte besonders Heiko Trinsinger als Wolfram von Eschenbach. Sein kräftige Baritonstimme trauert voller Zärtlichkeit beim Tod von Elisabeth. Fazit: Würzburgs Tannhäuser ist eine gute Vorbereitung auf Bayreuth.
Foto: Paul McNamara (Tannhäuser) und Karen Leiber (Venus): Immer wieder rückfällig
Die nächste „Tannhäuser“-Aufführungen im Mainfranken-Theater Würzburg, Theaterstr. 21, finden statt am 29. Mai, 5. und 24. Juni, 3. Juli 2009. Kartentelefon: 09 31 / 39 08-124, Internet: www.theaterwuerzburg.de /