Konrad Adenauer hat im Parlamentarischen Rat, der aus Vertretern der Länderparlamente zusammengetretenen Versammlung zur Beratung und Formulierung des Grundgesetzes, eine herausragende Rolle gespielt. Als langjähriger Oberbürgermeister von Köln und damit als Leiter der dortigen Stadtverordnetenversammlung von 1919 bis 1933, als Präsident des Preußischen Staatsrates von 1921 bis 1933 sowie als Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag von Nordrhein-Westfalen verfügte Adenauer über viel parlamentarische Erfahrung. Allerdings gab er, nachdem er am 1. September 1948 zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählt wurde, nur wenige inhaltliche Beiträge in der Diskussion ab. Er war, wie der Historiker Rudolf Morsey urteilt, „kein Mann staatstheoretischer und verfassungsrechtlicher Erörterungen“, sondern von der pragmatischen Überlegung geleitet, die Verfassungsberatungen zum schnellstmöglichen Abschluß zu führen.
Grundsätzlich war Adenauer von der wichtigen Funktion frei gewählter Parlamente überzeugt. Um möglichst rasch eine Beteiligung der Öffentlichkeit an den anstehenden politischen Entscheidungen zu gewährleisten, plädierte er bereits 1946 für die Abhaltung von Landtagswahlen in der Britischen Besatzungszone. Um Deutschland jenseits der Ländergrenzen handlungs- und mitsprachefähig zu machen, drängte Adenauer auf die rasche Wahl eines länderübergreifenden deutschen Parlaments. Im März 1948 unterbreitete er den Vorschlag, nach Bildung der Trizone möglichst zügig nach allgemeinen Wahlen eine handlungsfähige Regierung zu bilden.
Adenauers Demokratieverständnis war durch die negativen Erfahrungen der Vergangenheit nachhaltig geprägt, wie er in Erinnerung an seine Zeit als Präsident des Preußischen Staatsrats vor der Unionsfraktion im Parlamentarischen Rat darlegte. Der Weimarer Reichstag habe „aus mangelndem Verantwortungsgefühl völlig versagt“, auch sollte man aufgrund der „Labilität der Deutschen“ nicht in schwierigen Zeiten einem „Parlament das ganze Geschick des deutschen Volkes anvertrauen“. Adenauer warnte wiederholt vor den Gefahren, die sich aus einer Verwirklichung eines reinen, ungezügelten Parlamentarismus – wie ihn führende Sozialdemokraten verfochten – ergeben würden.
Bereits im März 1946 sagte er in einer Grundsatzrede, die er als Vorsitzender der CDU in der Britischen Zone hielt: „Die Demokratie erschöpft sich für uns nicht in der parlamentarischen Regierungsform“, diese könne gar in die „Diktatur der Mehrheit“ münden! Diese seit Alexis de Tocqueville geläufige Warnung vor den Gefahren einer demokratischen Massenherrschaft findet sich bei Adenauer immer wieder. Als Konsequenz aus dieser Furcht zählte Adenauer überdies zu den entschiedensten Vorkämpfern für die Schaffung eines Staatsgerichtshofs als kontrollierendes Organ in der Verfassung, um einen „Größenwahn“ des Parlaments zu zügeln.
Eine ebensolche Funktion erfüllte für Adenauer auch die Zweite Kammer in Form eines von den Länderparlamenten gewählten Senats. Wie auch andere Vertreter der Unionsparteien sah er in ihr das „konservative Prinzip“ verkörpert und bezeichnete sie als „Sicherungsmaßnahme“ gegen radikale Entwicklungen. Neben den Erfahrungen der Jahre 1918 bis 1933 verfolgte Adenauers Politik aber auch eine pragmatische Taktik. So sollte die Zweite Kammer insbesondere als Gegengewicht zu einem – so seine Erwartung – von der SPD dominierten Parlament und der dann virulent werdenden Verstaatlichungsgefahren für die Wirtschaft agieren. Im Parlamentarischen Rat begründete er diese Haltung damit, daß eine Kammer, die lediglich aus delegierten Vertretern der Länderregierungen bestünde – wie die Verfechter einer Bundesratslösung forderten –, als „Abstimmungsmaschine“ in „der Öffentlichkeit (…) gegenüber der Volkskammer kein Gewicht bekommen“ würde. Verantwortung in der Zweiten Kammer sollten die Vertreter der Parteien tragen, nicht die Delegierten der Länderkabinette.
In der Wahlrechtsfrage plädierte Adenauer ebenfalls schon frühzeitig für die Einführung eines Mehrheitswahlsystems. Es waren auch hier die Erfahrungen der Weimarer Republik, die ihn zu einer strikten Ablehnung des Verhältniswahlrechts verleiteten, doch sah Adenauer die Wahlrechtsfrage in erster Linie unter wahltaktischen Gesichtspunkten. Sein Bestreben richtete sich vorrangig darauf, wie er vor der Unionsfraktion des Parlamentarischen Rats darlegte, „geschlossene Mehrheitsbildungen“ im Parlament zu schaffen, „damit eine stetige Politik gewährleistet ist“. Es ging ihm gerade um die Schaffung einer geschlossenen Regierungsmehrheit und einer starken Opposition.
Eine starke Opposition erachtete Adenauer als essentiell für das Funktionieren einer parlamentarischen Demokratie, gleichsam als eine „Staatsnotwendigkeit“, wie er in der ersten Regierungserklärung vor dem Bundestag am 20. September 1949 ausführte. Diese Worte richteten sich in dieser Situation freilich in erster Linie an die Befürworter einer Großen Koalition mit der SPD in den eigenen Reihen, doch waren sie nicht bloß taktisch motiviert: Adenauer äußerte mehrfach seine Befürchtung vor der Formierung einer außerparlamentarischen Opposition, die sich der Kontrolle entzöge. Aus diesem Grund gehörte für Adenauer die Dichotomie von Regierungsmehrheit und Opposition zu den „Grundprinzipien des demokratischen Parlamentarismus“ schlechthin, wie er in seinen Memoiren ausführte. Hierin folgte er dem angelsächsischen Vorbild, bei dem eine Partei die Regierungsverantwortung übernimmt und der anderen – als alternative Regierung – die Oppositionsrolle bleibt.
Der Entschluß, nach der ersten Bundestagswahl 1949 die Regierung mit denkbar knapper Mehrheit zu bilden, zeigt, daß Adenauer dieses Modell nicht nur theoretisch befürwortete. Eine Kontinuitätslinie im Leben des Politikers Adenauer wird hier zugleich sichtbar: Bereits in der Weimarer Republik zeigte sich Adenauer nur bereit, das an ihn herangetragene Amt des Reichskanzlers zu übernehmen, wenn eine klare Regierungsmehrheit hinter ihm stünde.
Foto: Adenauer im Parlamentarischen Rat 1948: Mit der Länderkammer „konservatives Prinzip“ gewahrt