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Zweifel an der Schuldenbremse

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Die „Schuldenbremse“ in der Föderalismusreform II ist hochproblematisch, überflüssig und verfehlt. Der herrschenden Ansicht entspricht das zwar nicht, aber der Jurist Werner Heun, Professor an der Universität Göttingen, wo er das Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften leitet,  begründete seine Außenseiteransicht so: Die Schuldenbremse ist zu starr, sie umfaßt nicht die implizite Staatsverschuldung (zum Beispiel die Pensionslasten), und sie wird umgangen werden wie auch schon die bisherige Schuldenregel.

Ohnehin sei Staatsverschuldung etwas anderes als private Verschuldung und daher auch anders zu beurteilen. Kern der neuen Regelung in Deutschland ist: Von 2020 an soll mit der Neuverschuldung völlig Schluß sein, jedenfalls für Länder und Gemeinden. Dann dürfen sie keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Nur der Bund darf noch, allerdings von 2016 an begrenzt auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (JF 8/09).

Auf der Tagung „Die Reform des Bundesstaates“, veranstaltet von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften (DHV) in Speyer, hat Heun seine Beurteilung der neuen Regel im Eröffnungsvortrag erläutert. Vor allem wendet er sich dagegen, was am häufigsten und am schärfsten gegen die Staatsverschuldung vorgebracht wird: die Belastung der Zukunft. Hier müsse differenziert und relativiert werden. Die Belastung der Zukunft dürfe nicht gleichgesetzt werden mit der Zins- und Tilgungslast, die künftige Steuerzahler zu tragen hätten. Zur Begründung führt er eine geschlossene Volkswirtschaft an. Hier finde innerhalb eines Zeitraums („intertemporal“) eine Lastenverschiebung gar nicht statt, weil Zinsen und Tilgung jeweils von Steuerzahlern derselben Gesellschaft aufgebracht werden müßten, die zugleich auch die Empfänger der staatlichen Zins- und Tilgungszahlungen seien.

Deshalb treten für Heun gesamtwirtschaftliche Zukunftsbelastungen nur dann ein, wenn durch staatliche Kreditaufnahme das Zinsniveau steigt. Das verteuere die Privatinvestitionen und dränge sie zurück. Dadurch falle das wirtschaftliche Wachstum entsprechend niedriger aus. Das sei aber auch nur unter bestimmten Voraussetzungen (zum Beispiel unter Vollbeschäftigung) der Fall und empirisch nur sehr beschränkt bestätigt worden. Ohnehin werde das Zinsniveau nicht allein vom Umfang der staatlichen Kreditaufnahme bestimmt, sondern auch von der Notenbank und der Flexibilität der Finanzmärkte. Und Privatinvestitionen seien nicht nur von der Zinshöhe abhängig, sondern auch von vielen anderen Einflüssen und Überlegungen. Stark seien die Verdrängungswirkungen staatlicher Verschuldung auf Privatinvestitionen also nicht, nur tendenziell gebe es gewisse solcher Effekte.

Weitere negative Wirkungen lassen sich, so Heun, nicht konstatieren. Auch unsoziale interpersonelle Verteilungswirkungen – Staatsverschuldung bevorzuge die „Reichen“ als die Kapitalgeber – vermag er nicht festzustellen. Das lasse sich nicht halten, denn gesamtwirtschaftlich gesehen legten die „Reichen“ erstens das Geld ohnehin an, und zweitens trügen sie auch die Hauptsteuerlast. Auch stellte er die rhetorische Frage: „Was ist, wenn es keine Staatsanleihen mehr gibt? In was soll man dann sicher investieren?“ Allerdings ein merkwürdiges Argument: Der Staat soll sich verschulden, weil der Bürger sonst nicht weiß, wohin mit seinem Geld – und das aus Sicherheitsgründen.

Ein (künftiges) Kreditaufnahmeverbot für die Bundesländer hält Heun insofern für sinnvoll, weil sie keine Aufgabe zur Konjunktursteuerung haben. Doch sei eine gewisse Staatsverschuldung („bei maßvoller Handhabung“) nötig, weil sie sonst Ausgaben verringern müßten, wenn ihre Einnahmen konjunkturbedingt sänken. Daher sei das Verschuldungsverbot für die Länder eine zu starre Regelung. Eine fixe Begrenzung der Staatsverschuldung hat für ihn ohnehin keine ökonomische Rechtfertigung. Wohl sei es sinnvoll, die Verschuldung zurückzufahren, aber nicht durch diese strenge Schuldenbremse. Stützen lasse sich eine derart strikte Kreditbegrenzung allenfalls mit der Absicht, die Glaubwürdigkeit des staatlichen Haushaltsgesetzgebers zu erhöhen. Erkauft werde das aber mit einer erheblichen staatlichen Inflexibilität.

Für zweifelhaft hält Heun vor allem die Begrenzungswirkung. Entweder werde gegen die Regel offen verstoßen, oder sie werde phantasiereich umgangen. Die beiden großen Schübe zusätzlicher Staatsverschuldung (gegen die Rezession 1975 und für die deutsche Einheit 1990) hätte auch die jetzt beschlossene Schuldenbremse nicht verhindern können. Und die Verfassungsgerichte seien weitgehend überfordert, eine solche Begrenzungsregel durchzusetzen. Würde das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Schuldenbremse als verfassungswidrig verurteilen, seien in der Regel drei Jahre verstrichen, „und das war’s dann“.

Wohl stieß Heun auf den einen oder anderen Widerspruch, aber auf keinen fundamentalen. Joachim Lohmann, Staatssekretär a. D. aus Kiel, sagte: „Auch wenn die Schuldenbremse manipuliert werden wird – aber sie ist klarer als die bisherige Begrenzungsregel.“ Nicht anders Jan Pörksen, Senatsdirektor aus Bremen: „Ihren Überlegungen, ob Staatsschulden sinnvoll sind oder nicht, kann ich folgen. Aber sinnvoll ist eine Begrenzung von Staatsschulden auf jeden Fall – unabhängig davon, ob sie wirkt oder nicht.“ Veranstaltungsleiter Joachim Wieland vom DHV-Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht meinte, die bisherige Regelung (Artikel 115 Grundgesetz) sei sinnvoller als die neue Schuldenbremse. Falls weder Politik noch Volk sie durchhielten, wären auch die Möglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts begrenzt, und es müßte beim Verfassungsverstoß mitspielen. Daher solle die neue Schuldenbremse besser nicht ins Grundgesetz. Sie bewirke dort keine Wunder. Schon zu Beginn hatte Heun gesagt, global werde eine Schuldenbegrenzung nirgends eingehalten, nur in Irland sei das vorübergehend einmal vorgekommen.

Der Hintergrund der Tagung war hochaktuell: Die zweite Stufe der Föderalismusreform ist auf den parlamentarischen Weg gebracht. Der Bundestag hat seine erste Lesung, der Bundesrat seinen ersten Durchgang hinter sich. Im Juli, also noch vor der parlamentarischen Sommerpause, soll das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein. In ihrem Mittelpunkt steht eine neue Schuldenregel für Bund und Länder, die sogenannte Schuldenbremse. Aber neugeordnet werden zwischen Bund und Ländern auch die Finanzbeziehungen, also vor allem die Regelung, wer welche Steuern erheben darf und wer was davon bekommt. Zusammen mit der ersten Stufe der Föderalismusreform von 2006 gilt diese Reform als die größte Änderung des Grundgesetzes seit 1949.

Foto: Den Gürtel enger schnallen: Bevorzugt hohe Staatsverschuldung die „Reichen“ als die Kapitalgeber?

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