Weihnachten, so hört man fast überall, sei "total veräußerlicht", eine einzige Orgie aus Einkaufsrummel, Festschmaus und Lichterzauber, man könne als guter Christ nur noch davor flüchten. Und dabei sei es doch von Haus aus das "innigste, innerlichste" Fest der Christenheit, eine Einladung zur Einkehr, wo jedes Tempo schrumpft, damit wir der ewigen Stimmen aus der Tiefe (oder aus der Höhe) gewahr werden. Es sei schon ein schlimmes Kreuz mit "Weihnachten 2005".
Nun, vielleicht bietet der Hinweis einigen Trost, daß die Klage über die Veräußerlichung uralt ist, schon von den Reformatoren des sechzehnten Jahrhunderts angestimmt wurde. Die sogenannten "dialektischen Theologen" des zwanzigsten, Barth, Bultmann, haben sie dann zum schrillen Diskant gesteigert. Nicht nur äußerlicher Glanz und Gloria wurden verächtlich gemacht, nein, sämtliche historischen Umstände des Erscheinens Christi sollten "rein äußerlich" sein, "uneigentlich", durch und durch kritikabel.
"Eigentlich" war nicht das Wie dieser Geburt, sondern nur ihr Daß in seiner "unendlichen Absurdität". "Eigentlich" waren nicht die Gemeinden, die Kirchen und ihre Jubelchöre, "eigentlich" war einzig der einzelne in seinem Verhältnis zu Gott, in seinem "Ringen" mit ihm, dessen dialektische Volten, Ängste und Verzweiflungen er nie und nimmer an irgendwelche "äußerlichen" Riten und Liturgien delegieren konnte.
Man wollte das Äußere, Äußerliche preisgeben, um das Innere zu "retten", es gegen die diffuse Irgendwie-Gläubigkeit des aufgeklärten Spießers voll zur Geltung zu bringen. Aber war das nicht ein Unding, Äußerlichkeit und Innerlichkeit so scharf gegeneinander auszuspielen? Eine Religion, möchte Pankraz behaupten, braucht die Äußerlichkeit genauso wie die Innerlichkeit, also das Bild, die Verbildlichung in Gottesimago, Ritus und Liturgie und auch in historisch gewachsenem Brauchtum.
Andernfalls wird sie, und das war sogar der Fall bei dem an sich ausgezeichneten Sören Kierkegaard, eine bloße intellektuelle Spielerei, eine geistige Klavierübung auf, mag sein, höchstem Niveau und mit tödlichem Ernst zu Ende gespielt, aber doch eine Klavierübung. Was haben wir denn von Gott, wenn man ihn aller seiner Entäußerungen, all seiner Verbildlichungen, ja, sogar seiner Heiligtümer beraubt? Können wir denn ohne Heiligtum überhaupt von Gott sprechen? Das haben sich bedeutende Geister gefragt und es mit Nein beantwortet, Friedrich Schleiermacher, Rudolf Otto, Mircea Eliade.
Schleiermacher hielt das Wort für ausreichend und das sich darin manifestierende religiöse Gefühl. Er irrte darin, glaubt Pankraz. Durch bloßes Reden, durch bloße Gemütswallung im stillen Kämmerlein, kann keine Aura der Heiligkeit erzeugt werden. Denn das Heilige bedarf einer spezifischen Zeit- und Raumstruktur. Es tröstet uns ja gerade dadurch über unsere eigene Endlichkeit und Geworfenheit hinweg, indem es, Zitat Eliade, "selbst die raumzeitliche Beschränkung auf sich nimmt".
Es wandert nicht im Raum, sondern behauptet punktuell und unverrückbar einen bestimmten Platz, der energisch und, wenn nötig, durch die Kraft des Tabus vom profanen Raum abgegrenzt wird, die heilige Eiche etwa, der heilige Berg, natürlich die Kirche als Dom, Kathedrale oder Kapelle. Und das Heilige wandert auch nicht in der Zeit, sondern es schlägt, wo immer es auch angerufen wird, einen Bogen zurück zum immer gleichen Urereignis, dessen Erzählung nicht bloß Sprache im Sinne der Verständigung ist, sondern festgelegter Ritus, abbildbares symbolisches Miteinandersein, wiederholbares Schauspiel – Weihnachten.
Gerade für den ernsthaft Glaubenswilligen muß es heilige Räume und heilige Riten geben. Solche Einsicht ist ja heute wieder recht aktuell. In den intellektualisierten, rituell ausgedünnten protestantischen Kirchen Deutschlands wächst das Bedürfnis nach mehr Bild und nach mehr manifestierter Institution. Immer mehr protestantische Ordensbruderschaften bilden sich, die sich freiwillig ausgedehnten Ritualen unterwerfen.
Und um auch noch ein Wort zu dem "radikalen Ernst des Glaubens" zu sagen, der – so die Barth und Bultmann – durch äußerliche Festlichkeiten mißachtet und teilweise sogar ins Lächerliche gewendet werde: Will uns Gott denn tatsächlich immer in tödlichem Ernst halten, will er uns tatsächlich ununterbrochen zum geistigen Ringkampf mit sich herausfordern? An sich haben wir ja tagtäglich genug mit dem Teufel zu tun, will sagen: mit der Bewältigung all jener Beschwerden und Widrigkeiten bis hin zu unheilbaren Krankheiten und zum Tode, als daß wir auch noch mit Gott ringen wollten, im Gegenteil, er soll uns beistehen, wir wollen bei ihm nach Hause kommen.
Deshalb beten wir zu ihm, und deshalb feiern wir ihn zu Weihnachten als endlich angekommenen Heilsbringer. Sicher, unser Verhältnis zu ihm darf nicht veräußerlichen – es darf aber auch nicht vollständig verinnerlichen. Die Gefahren der übermäßigen Verinnerlichung sind mindestens ebenso groß wie die der Veräußerlichung.
Man sieht das an unseren protestantischen Gottesdiensten, wo es immer weniger Pfarrern gelingt, so zu sprechen, daß sie die Herzen ihrer Gemeinde erreichen und ihr wirklichen Beistand leisten. Allzu viele halten sich für eine Art Kierkegaard, üben sich in dialektischer Lyrik und verfallen dabei, wie Adorno das einst in einer gar nicht so schlechten Wendung formuliert hat, in einen "Jargon der Eigentlichkeit", mit dem niemand etwas anfangen kann.
Es stimmt schon: Wir alle sollen in uns gehen und Maß halten, auch zu Weihnachten. Aber der Glanz und die Gloria gehören unbedingt dazu, nicht minder das Singen, selbst wenn viele falsch singen. Falsch singen ist gewißlich besser als gar nicht singen.