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Marc Jongen, ESN Fraktion

Von Solidarität keine Spur

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Es sollte das Jahr der Sozialisten werden. Bankenkrise, Wirtschaftsflaute und der Ruf nach einem starken Staat: „Unsere Themen sind aktueller denn je. Die allgemeine politische Lage gibt uns recht.“ Bodo Ramelow, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag und Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Thüringen am 30. August, zeigt sich optimistisch. Doch die ein wenig zu offensichtlich zur Schau getragene Zuversicht kann den wahren Zustand der (Post)-Kommunisten nur unzureichend verbergen.

Eineinhalb Jahre nach der Fusion der linkspopulistischen WASG und der SED-Nachfolgepartei PDS zur Partei „Die Linke“ ist innerparteilich von den geflügelten Worten wie Solidarität und Gerechtigkeit nur wenig zu spüren. Und nicht wenige Parteistrategen fürchten, daß es am Wochenende zum großen Knall kommen könnte. Dann versammeln sich die Delegierten in der Ruhrpott-Metropole Essen, um die Kandidaten-Liste zur Wahl des europäischen Parlaments aufzustellen.

6,1 Prozent erzielte die Partei vor fünf Jahren und entsandte sieben Abgeordnete nach Straßburg. Ein zweistelliges Ergebnis hat die Parteiführung diesmal als ehrgeiziges Ziel ausgegeben. Und tatsächlich liegen die Sozialisten in allen Umfragen in der Nähe der Zehn-Prozent-Marke. Doch die Essener Versammlung hat es in sich. Denn im Ringen um den europapolitischen Kurs zeigt sich die tiefe innere Zerrissenheit der Partei. Prominente Opfer sind die amtierenden EU-Parlamentarier Sylvia-Yvonne Kaufmann und der ehemalige Partei-Vordenker André Brie. Beide wurden von Bundeswahlausschuß der Partei nicht wieder für einen vorderen Listenplatz nominiert. Offiziell ist diese Tatsache dem komplizierten internen Proporz-Verfahren aus Landesverband, Geschlecht und früherer Parteizugehörigkeit geschuldet. Doch hinter vorgehaltener Hand wird den beiden Abgeordneten eine zu EU-freundliche Haltung vorgeworfen.

Ein Blick in das EU-Wahlprogramm der Linkspartei lohnt sich. Die Europäische Union gilt dort als Apparat der militärischen Aufrüstung, sozialpolitischen Ausbeutung und Unterdrückung. Dies erscheint aus Sicht der Parteiführung logisch. Schließlich klagt die Bundestagsfraktion mit ihren Vorsitzenden Gregor Gysi und Oskar Lafontaine vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Lissabon. Und gerade Lafontaine, der schon als Ministerpräsident des Saarlands bekannt dafür war, keinen Widerspruch zu dulden und einen geradezu stalinistischen Führungsstil zu pflegen, kann Abweichler nicht gebrauchen.

Mandatsträger wie Kaufmann oder Brie stören da nur. „Meine Haltung mißfällt der Parteiführung“, weiß Brie und kritisiert, daß vieles im Wahlprogramm einen „nationalen Unterton“ habe. Der ehemalige Leiter der PDS-Grundsatzkommission unterstützt zwar die Klage der Bundestagsfraktion, sieht aber „viele Dinge differenzierter“.

Noch weiter geht Sylvia-Yvonne Kaufmann. Für sie ist der Vertrag von Lissabon „der fortschrittlichste, den es je gegeben hat“, und sie hält ihn „für absolut grundgesetzkonform“. Als die Parlamentarierin unlängst ein Buch mit dem Titel „Populäre Mißverständnisse und linke Irrtümer zum Vertrag von Lissabon“ veröffentlichte, soll Lafontaine einen cholerischen Anfall bekommen haben. Damit war Kaufmanns Schicksal ebenso wie das von André Brie besiegelt. Beide kandidieren zwar erneut für einen vorderen Listenplatz, ihre Aussichten tendieren aber gegen Null.

Daß die Liste zur EU-Wahl von Parteichef Lothar Bisky angeführt wird, spricht dagegen für sich. Ex-SED-Funktionär Bisky leugnet bis heute den Schießbefehl an der einstigen DDR-Grenze und zum ehemaligen Staatsrats-
chef Egon Krenz werden ihm immer noch enge Verbindungen nachgesagt. Als Krenz 2003 aus der Haft entlassen wurde, fand sich Parteichef Bisky bei der Willkommensparty ein. Diese DDR-Nostalgie ist vonnöten, um die Basis in Mitteldeutschland nicht zu verprellen. 

Und dies zeigt das Dilemma der Partei. In den östlichen Bundesländern regieren mittlerweile alerte Funktionäre wie der thüringische Spitzenkandidat Bodo Ramelow, der Ministerpräsident werden möchte. Dazu muß sich die Partei von allzuviel ideologischem Ballast freimachen, ohne die Kernwähler zu verprellen. Realpolitik heißt das Gebot der Stunde, gerade in Berlin, wo die Partei gemeinsam mit der SPD regiert und den strammen Sparkurs des scheidenden Finanzsenators Thilo Sarrazin mitträgt.

In Westdeutschland dagegen, wo die Linke nach wie vor (mit Ausnahme des Saarlandes) schwach strukturiert ist, lebt sie vom Protest. Es überrascht wenig, daß Lafontaine die Partei derzeit auf einen strammen linksnationalen Kurs zu trimmen versucht. Mit Parolen gegen EU-Bevormundung, Raubtierkapitalismus und Fremdarbeit geht der Populist auf Stimmenfang. Doch trotz der aktuellen Wirtschaftskrise stagnieren die Umfrageergebnisse, vor allem auch deshalb, weil die Arbeit der Links-Fraktionen in Hessen, Niedersachsen und Bremen einer Bankrotterklärung gleichkommt.

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