Die Tschechische Republik feiert den 90. Jahrestag der Gründung der Tschechoslowakei am 28. Oktober 1918. Während dem aus den Trümmern des geschlagenen Österreich-Ungarn hervorgegangenen Kunststaat in der unabhängigem Slowakei kaum eine Träne nachgeweint wird, halten sich in Tschechien viele nostalgische Erinnerungen. Obwohl die CSSR seit mittlerweile anderthalb Jahrzehnten nicht mehr existiert, ist der 28. Oktober in der Tschechischen Republik besonders in diesem Jahr als nationaler Feiertag begangen worden. Zu den großen Themen gehört dabei die Geschichte der Tschechoslowakischen Legion im russischen Bürgerkrieg. Edwin Erich Dwingers Roman „Zwischen Weiß und Rot“ von 1930 läßt kein gutes Haar an der Legion. Ihre Führer erscheinen als prinzipienlose Truppe, die vor allem auf Bereicherung aus ist und dem weißen Armeekommandeur Admiral Koltschak nach dessen Putsch in Omsk im November 1918 in den Rücken fällt. Nachdem Anfang 1920 ein Vertrag mit den Sowjets über den ungehinderten Abtransport der Tschechen und Slowaken nach Wladiwostok unterzeichnet war, lieferte die Legion dem von den Alliierten unter ihren Schutz gestellten Koltschak gegen dreißig Waggons Kohlen an die Bolschewiki aus, die ihn sogleich hinrichteten. Dwingers Urteil wiegt schwer, zumal sich sein Roman durch die unparteiische Darstellung der Ereignisse aus der Sicht eines zwangsweise in den Bürgerkrieg verwickelten deutschen Kriegsgefangenen auszeichnet. Doch wie sieht die tschechische Bewertung der Legion aus, die nach ihrer Rückkehr in die böhmisch-mährisch-slowakische Heimat das Rückgrat der neuen Nationalarmee bilden sollte und fast die gesamte Offiziersriege stellte? Die ab Sommer 1914 in der k.u.k.-Armee kämpfenden Tschechen und Slowaken trafen an den Weltkriegsfronten bisweilen auf Landsleute, die im Ausland gelebt hatten und sich freiwillig für den Kampf gegen die verhaßte Doppelmonarchie meldeten. „Die erste (eigene) Einheit überhaupt war die Einheit unserer Landsleute in Rußland; sie war zarenfreundlich und nannte sich Česká druina (tschechische Gefolgschaft). Erst in der Folge wurde daraus das tschechoslowakische Schützenregiment, eine Brigade und dann ein Armeekorps“, erinnert sich der Historiker Július Balá vom tschechischen Militärarchiv gegenüber Radio Prag. Die Anfänge dieses Verbandes reichen in den August 1914 zurück. Vergleichbare Truppenteile entstanden aber auch in Italien und vor allem in Frankreich, wohin der spätere Staatspräsident Tomá Garrigue Masaryk und Edvard Bene emigriert waren. Bereits Mitte 1914 gab es eine eigene tschechische Abteilung in der Fremdenlegion; 1917 kamen etwa 4.000 Freiwillige auf abenteuerlichem Weg vom serbischen Kriegsschauplatz hinzu, des weiteren 1.100 Mann aus Rußland und etwa 2.500 aus den USA. Im Laufe des Krieges formulierten Masaryk und Bene das eigentliche Ziel der Einheiten, die sich nun „Tschechoslowakische Legion“ nannten: den Kampf für einen selbständigen Staat. Insgesamt umfaßte die Legion laut tschechischen Quellen 100.000 Soldaten, von denen allein über 60.000 gegen Ende des Krieges als Elitetruppe in Rußland kämpften. Gegen Widerstände russischer Militärs hatten die Legionäre vor allem nach der Brussilow-Offensive im Sommer 1916 damit begonnen, gefangene Tschechen und Slowaken anzuwerben. Mit diesen wurde bis Jahresende eine Schützenbrigade aus ungefähr 5.700 Mann gebildet. Ende Juni 1917 beteiligte sich die Legion an der Kerenski-Offensive und konnte 3.000 meist tschechische Soldaten der k.u.k.-Armee gefangennehmen. Der Ausbau der Truppe wurde daraufhin rasch vorangetrieben, so daß schon nach wenigen Monaten ein eigenes Armeekorps mit zwei Divisionen samt Unterstützungs- und Versorgungstruppen existierte (insgesamt etwa 35.000 Mann). Insbesondere viele k.u.k.-Offiziere verweigerten allerdings die Beteiligung an diesen Aushebungen, zumal eine Aufnahme in die Legion nur unter der Bedingung des Verzichts auf die alten Ränge erfolgte. Nach der Oktoberrevolution von 1917 galt für die Tschechoslowakische Legion zunächst die Weisung Masaryks, sich nicht in „innerrussische Angelegenheiten“ einzumischen. Im Gegenzug garantierten die Bolschewiki nach der Kapitulation von Brest-Litowsk einen sicheren Abzug der tschechischen und slowakischen Soldaten nach Frankreich. Da dieser nur in östlicher Richtung mit der Transsibirischen Eisenbahn und via Amerika erfolgen konnte, standen die Legionäre im Frühjahr 1918 als versprengte Truppen transportbereit entlang der 9.000 Kilometer langen Strecke zwischen Pensa und Wladiwostok. In dieser Situation kam es am 14. Mai 1918 zu einem Zwischenfall in der westsibirischen Stadt Tscheljabinsk, nachdem dort Tschechen einen Kriegsgefangenen gelyncht hatten. Leo Trotzki gab daraufhin als Oberbefehlshaber der Roten Armee folgenden Befehl aus: „Alle Sowjets an den Eisenbahnstrecken werden bei Androhung schwerer Strafen verpflichtet, die Tschechoslowaken zu entwaffnen. Jeder Tschechoslowake, der mit der Waffe an der Eisenbahnlinie angetroffen wird, wird auf der Stelle erschossen.“ Von da an war die Legion ein Teil des Bürgerkriegsgeschehens und mußte sich durch Requirierungen selbst versorgen. Einige hundert Tschechen und Slowaken, so der bekannte Schriftsteller Jaroslav Haek, schlossen sich den „Roten“ an, während über 60.000 Mann an der Seite der „Weißen“ den Kampf aufnahmen. Bis September 1918 gelang es diesen, die gesamte Strecke der Transsibirischen Eisenbahn von der unteren Wolga bis Wladiwostok unter Kontrolle zu bringen. Die Versorgung der Roten Armee aus Sibirien war damit empfindlich gestört. Tschechische und slowakische Soldaten eroberten auch die Stadt Kasan, wo die Bolschewiki die Hälfte des staatlichen Goldschatzes mit einem Wert von über einer halben Milliarde Rubel deponiert hatten. Danach begann der verlustreiche Rückzug der Legion aus den Wolgagebieten ostwärts, wobei die Moral der erfolgsverwöhnten Truppe angesichts der Ablehnung durch weite Teile der russischen Bevölkerung und des Ausbleibens der erwarteten alliierten Unterstützung zusehends litt. So war sich die Tschechoslowakische Legion selbst am nächsten und zeigte kein Mitleid mit den Zivilisten, auch nicht mit den von den Kommunisten terrorisierten bürgerlichen Schichten. Fotos: Panzerzug der „Tschechoslowakische Legion“ auf der Transsibirischen Einsenbahn: Wenig Mitleid mit russischen Zivilisten; Am 21. Dezember 1918, drei Wochen nach der Gründung der Tschechoslowakei, zieht Präsident Tomá Garrigue Masaryk (im Auto hinten) aus den USA kommend in Prag ein: Wesentliche militärische Einheiten des jungen Staates kämpften zur gleichen Zeit in Sibirien