Herr Rahr, was hat sich Präsident Saakaschwili bei seinem Vorstoß nach Südossetien eigentlich gedacht? Rahr: Ein berechtigte Frage. Denn am Montag hatte er nach nur zwei Tagen Krieg bereits kapituliert. Das Ganze war – völlig vorhersehbar – ein Desaster, Saakaschwili hat in jeder Hinsicht versagt. Offenbar hat er nicht mit der Intervention Moskaus gerechnet. War das realistisch? Rahr: Nein. Entweder ist der Mann völlig dumm, oder er wurde dilettantisch beraten. Tatsache ist: Georgien will dringend in die Nato. Präsident Bush hat Saakaschwili die Aufnahme bereits versprochen, aber unter Obama wäre dieses Ziel viel schwieriger zu erreichen. Voraussetzung für einen raschen Beitritt ist, dem Bündnis keine ethnischen Konflikte zu bescheren. Also wollte Saakaschwili die Probleme im Hau-ruck-Verfahren lösen. Offenbar ging er von einer weniger massiven, punktuellen Einmischung Rußlands aus und glaubte Zeit zu gewinnen, um die USA in den Konflikt zu verwickeln. Das allerdings scheint teilweise gelungen zu sein. Rahr: Wohl kaum, die aggressiven Reaktionen Bushs zeigen doch eher dessen Hilflosigkeit. All die Nichtregierungsorganisationen, die – vor allem von den USA gelenkt – in den letzten Jahren versucht haben, mit Georgien zusammen einen westlich orientierten Schwarzmeerbund aufzubauen und die Russen aus dem Schwarzmeergebiet zu verdrängen, stehen jetzt vor den Trümmern ihrer Bemühungen. Auch in der EU träumte mancher vom Schwarzen Meer als neuem europäischen Binnenmeer. Rahr: All diese Träume sind ausgeträumt, und das macht viele Leute sehr wütend. Die USA haben sich in den letzten Jahren in puncto Georgien viel zu weit vorgewagt. Jetzt können sie ihren Verbündeten nicht einfach im Regen stehen lassen. Andererseits sind sie klug genug, sich nicht hinreißen zu lassen. Die USA wissen, sie brauchen Rußland in vielerlei Hinsicht: bei der Nichtverbreitung unkonventioneller Waffen, in Sachen Terrorbekämpfung, bei der Eindämmung Irans und Chinas etc. All das ist sehr viel wichtiger als Saakaschwili. Und trotz aller Wut und Enttäuschung ist in den USA natürlich niemand bereit, für ihn in den Dritten Weltkrieg zu ziehen. Übrigens: Insgeheim dürften viele Leute in Washington auch über Saakaschwili erzürnt sein, denn er hat die USA in eine sehr unangenehme Lage gebracht. Wie wird der Konflikt ausgehen? Rahr: Es wird den Georgiern wohl nie mehr gelingen, ihr Land wiederzuvereinen. Vermutlich wird der Konflikt wieder einfrieren. Für Moskau wäre das die beste Lösung. Damit bliebe Rußlands Rolle als Ordnungsmacht im Hintergrund erhalten. Wird Saakaschwili diese Niederlage innenpolitisch überleben? Rahr: Vermutlich hat er sich diese Frage auch schon gestellt. Denn die Operation war von vornherein nicht zu gewinnen, hat aber etliche georgische Soldaten sinnlos das Leben gekostet. Reiben sich die Russen die Hände, weil sie Gelegenheit hatten, Stärke zu zeigen, oder fühlen sie sich in ihrer Sphäre verletzt? Rahr: In Rußland ist das Triumphgeschrei groß, man hat jahrelang auf diese Stunde gewartet: In den neunziger Jahren mußte man tatenlos zusehen, wie der Westen den Balkan neu ordnete, nun kann man dem Westen zeigen, daß im Kaukasus er es ist, der zuzuschauen hat, während Rußland handelt. Nachdem die Russen vor drei Jahren bereits die Räumung der US-Basen in Zentralasien erreicht haben, haben sie die USA jetzt im Kaukasus auf ihren Platz verwiesen. Möglicherweise schlägt nun die Stunde der Vermittlerrolle Deutschlands. Berlin hat ein gutes Verhältnis zu Rußland und kann auf den neuen Präsidenten Medwedew stärker einwirken als andere EU-Staaten. Alexander Rahr ist Programmdirektor Rußland/Eurasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin und schrieb zuletzt in JF 33/07 den Hintergrundbeitrag „Kalte-Krieg-Rhetorik eskaliert“ über das Verhältnis zwischen Rußland und dem Westen. weitere Interview-Partner der JF