Potsdam kann mit einer für eine ehemalige SED-Bezirkshauptstadt ganz besonderen Bevölkerungszusammensetzung aufwarten. Neben einer ausgeprägten linksextremen Szene hat sich wie in kaum einer anderen Stadt der ehemaligen DDR wieder eine engagierte Bürgerschicht etabliert. Die Gegensätzlichkeit dieser beiden Bevölkerungsschichten zeigt sich exemplarisch an zwei Projekten: Während sich viele bürgerliche Neu-Potsdamer für den Wiederaufbau des Stadtschlosses engagieren, kämpfen die anderen für die Zukunft des linken Kulturzentrums „Archiv“. Die Einrichtung, die in einem alten Speichergebäude untergebracht ist, ist das Zentrum der linken Szene in Potsdam. Schon auf der Netzseite der Einrichtung läßt der schwarz-rote fünfzackige Stern keinen Zweifel an der politischen Ausrichtung des Archiv e.V. aufkommen. Vor elf Jahren hatte die Stadt einen jährlich kündbaren Mietvertrag ausgehandelt, der dem Verein Mietfreiheit gewährte. Als Gegenleistung sollte der Verein das marode Gebäude instandsetzen, doch dazu kam es nie. Als nun am 20. Oktober bekannt wurde, daß das Archiv zum 1. Januar 2009 geschlossen werden solle, da nach Ansicht der Stadt der Verein seine Verpflichtungen nicht erfüllt hat, war die Empörung groß. Die linke Szene wurde zum Widerstand gegen die Schließungspläne mobilisiert. Das Speichergelände, so der Vorwurf, solle „totsaniert“ werden. Dies sei ein weiterer Beweis für die Potsdamer „Verdrängungspolitik“. Auch an einer anderen Front machte die linke Szene mobil: Als Reaktion darauf, daß der Jugendclub Spartacus seine Räumlichkeit gegenüber dem Schloßplatz verloren hat, wurde am 26. September ein der Stadt gehörendes Haus besetzt. Dort hat sich mittlerweile das Projekt „la Datscha“ etabliert, das unter anderem mit Übernachtungsmöglichkeiten für Linke wirbt. Und die Besetzer dürfen das Gebäude wohl behalten. Dennoch fordert man weiteren Ersatz für den Spartacus. Lobbyarbeit der Linkspartei Am vergangenen Wochenende fand nun unter dem Motto „Freiräume statt Schloßträume“ eine Demonstration der linken Szene statt. In den lokalen Zeitungen und auf zahlreichen linken Internetportalen wie Inforiot, Redskins und Indymedia war dazu aufgerufen worden. Auch der Linkspartei-Jugendverband solid und das „antikapitalistische Bündnis Potsdam“ waren mit von der Partie. Unter den mehreren hundert Demonstrationsteilnehmern waren viele Bewohner der mittlerweile in „Wohnprojekte“ umgewandelten besetzten Häuser, deren Staatssinn schon an den Schmierereien an den Häuserfassaden abzulesen ist, wo sich häufig die Abkürzung ACAB (all cops are bastards, zu deutsch: „Alle Polizisten sind Dreckskerle“) findet. Die Bewohner der Häuser feiern zudem alljährlich die Bombardierung Potsdams im April 1945. Das selbstbewußte Auftreten der Demonstranten und die gezielte Lobbyarbeit der Linkspartei scheinen zum Erfolg zu führen. Die Stadt ist eingeknickt. Der Betrieb im Archiv ist bis auf weiteres gesichert. In der Zwischenzeit soll ein Konzept zum Weiterbetrieb erstellt werden. Die Stadt wird wissen, warum sie davon abgerückt ist, das Kulturzentrum zu schließen. Auf der Demonstration machte ein Teilnehmer deutlich, was Potsdam sonst drohen würde: „Die können das Archiv gar nicht schließen, die wissen, daß dann die Innenstadt brennt.“