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Sein Werk gehört zum nationalen Gedächtnis

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Sein Werk gehört zum nationalen Gedächtnis

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Als wir eine großangelegte  Festschrift zu seinem achtzigsten Geburtstag vorbereiteten, der zugleich sein letzter sein sollte, wünschte er als Titel: „Tamen! Gegen den Strom!“ Dies brachte seine Lebenssignatur wie kaum etwas anderes auf den Begriff.   Günter Rohrmoser erhielt seine maßgebliche Prägung, wie Spaemann, Lübbe, Marquard und manche anderen, in den Nachkriegsjahren in Münster von Joachim Ritter: Ritters Anspruch, die große Philosophie der Tradition daraufhin zu befragen, was sie für die Gegenwart zu sehen gibt, blieb er zeitlebens treu. Ritters Interpretation Hegels als des uneingelösten und uneingeholten Diagnostikers der Moderne hat Rohrmoser weitergeführt. Dabei ging er aber früh über Ritter hinaus, auf die theologische und religionsphilosophisch metaphysische Begründung der Freiheit bei Hegel. Dem widmete er eine schmale und dichte, vielbeachtete Habilitationsschrift: „Subjektivität und Verdinglichung. Theologie und Gesellschaft im Denken des jungen Hegel“ (1961), die die Grundakkorde seines Denkens anschlug. In der Folge Hegels war es auch für Rohrmoser unstrittig, daß Philosophie Metaphysik sein muß und daß die Dialektik, die jede Erscheinung des Geistes und der Realität bis in ihre äußersten Möglichkeiten und ihren Umschlag in das entgegengesetzte Extrem verfolgt, die genuine philosophische Methode ist. In seinen frühen Jahren hatte er weitere große Mentoren: neben den akademischen Lehrern wie Benno von Wiese und Müller-Armack vor allem den alten Carl Schmitt.  Der junge Rohrmoser war der einzige akademische Lehrer von Rang, der sich nicht scheute, in den Jahren um 1968 die Auseinandersetzung mit der „Kulturrevolution“, die er sich seinerzeit abzeichnen sah, aufzunehmen. Seine bis ins hohe Alter ungebrochene rhetorische Fähigkeit und sein brillanter Geist ließen ihn zu einem entschiedenen Widerpart der Linken werden; viele, auch von den Gegnern, waren von ihm nachhaltig fasziniert: Bis heute sprechen selbst ergraute Kölner Hörer mit Andacht und Wehmut von den frühen Kollegs.   Marxistische Dialektik und die Denkfiguren der Frankfurter Schule waren ihm, im Unterschied zu den meisten Bürgerlichen und Konservativen, nicht fremd. Der große Hegelianer erkannte sie als Hegel-Häresien und Hegel-Ideologisierungen, denen nicht im Rückgriff auf alteuropäische Nostalgie, sondern nur im Sinne der aufgegebenen, bis heute ungelösten Vermittlung und Versöhnung von Tradition und Moderne, Subjekt und Objekt Widerpart zu bieten ist. Sein intensives Nachdenken galt in großer Konsequenz bis zuletzt der Frage, wie Hegels Konzeption des „sittlichen Staates“ in der globalen Welt bewahrt werden kann: in Bewahrung und vermittelt von liberalem Staat, bürgerlicher ökonomisch geprägter Gesellschaft und dem grundlegenden Ethos der Überlieferung. Nichts Rückwärtsgewandtes haftet diesem Kerngedanken an. Er enthält vielmehr noch völlig unausgeschöpfte Potentiale für den Beginn des 21. Jahrhunderts.  So ging es  Rohrmoser zeitlebens darum, einen Blickpunkt auf die moderne Welt zu entwickeln, der sich nicht in den Ideologien verfängt: „jenseits von Sozialismus und Liberalismus“. Unbestritten hat er viele namhafte Förderer und Bewunderer im Bürgertum gehabt. Maßgebliche Unternehmer und Politiker aus dem Umkreis der großen Parteien schätzten seinen Rat. Lange Jahrzehnte fanden seine Publikationen in den Medien hohe Resonanz. (Hier trat Mitte der neunziger Jahre ein erkennbarer Wechsel ein. Unter dem bleiernen politisch korrekten Diskurs litt er sehr). Auch in den Kirchen war er ein wichtiger Ratgeber, etwa in der „Marxismuskommission“ der sechziger und siebziger Jahre. Dabei war es schmerzlich für den leidenschaftlichen Lutheraner, der Luthers reformatorische Erkenntnis auch lebte, daß die eigene Kirche zunehmend Opportunitäten und politischem Zeitgeist folgte und er in den späten Jahren ungleich mehr Gehör auf der katholischen Seite fand. Rohrmoser war letztlich vom Bürgertum und seinen Parteien enttäuscht. Bis zuletzt war er davon überzeugt, daß die „Kulturrevolution“ der Moderne im Jahr 1968 nur symptomatisch ans Licht getreten ist und ihre Folgen erst nach Jahrzehnten vollständig sichtbar werden. Erforderlich sei eine tiefgreifende Analyse und noch tiefer greifende Therapie. Gedankliche und inhaltliche Leere, konzeptionelle Kurzatmigkeit, Phrasen, Geschwätz, aber auch konservative Selbstgefälligkeiten waren ihm von Grund auf zuwider. Dabei scheute er niemals vor den politischen Alltagsfragen zurück. Das vermeintliche Vorrecht des philosophischen Rückzugs erkannte er nicht an. Die Lektüre aller maßgeblichen Zeitungen des deutschen Sprachraums, die er mit Hegel die alltägliche „politische Morgenandacht“ nannte, entzündete sein großartiges spekulatives Denken am Hier und Jetzt: Hic Rhodus, hic salta!, heißt es nicht von Ungefähr in Hegels „Rechtsphilosophie“. So war er auch ein großer politisch-strategischer Kopf, der die Weltlage und die politische Lage in wenigen Strichen durchdrang. Bei aller Kritik war er, diese Aussage von Peter von Oertzen bleibt zutreffend, nicht nur ein leidenschaftlicher Konservativer, für den das Konservative nicht nur behauptet, auch nicht nur gelebt, sondern in seiner Unabdingbarkeit gedacht werden muß, sondern ein ebenso leidenschaftlicher Liberaler. Die Sorge um Staat und Verfassung der Freiheit war es, die ihn mitunter zum leidenschaftlichen Polemiker werden ließ. Seine Rhetorik war dabei das Gegenteil von Demagogie: Sie war Redekunst zur höheren Einsicht, im Sinne von Platons philosophischer, also der Wahrheit dienender Rhetorik.  Für Rohrmoser war die alles entscheidende Überlebensfrage, ob es gelingt, in der späten Moderne die religiöse Frage wieder zu wecken. Die Wiederkehr der Religion als geschichtlicher Potenz hat sein Lebenswerk, ein jahrzehntelanges Mahnen gegen den Glauben an Emanzipationszwänge und Social engineering, im letzten Jahrzehnt glänzend bestätigt. Ihn beschäftigte zuletzt auch, wie  Partikularität und Universalität miteinander zu vermitteln sind.    Die große Frage von Papst Benedikt XVI., der Zusammenhang von Vernunft und Glaube, war auch Rohrmosers Lebensthema. Allerdings war er überzeugt, daß die Erosionen und Erschütterungen der Aufklärung eine Bruchlinie bilden, so daß die Substanz der Religion, namentlich des Christentums, zugleich die eigentlichste und tiefste Substanz der Vernunft ist. Mit Hegel wußte er, daß Religion und Philosophie denselben Gegenstand haben. Für Rohrmoser war Philosophie niemals Abstraktion. Wahrheit ist, auch dies weiß er mit Hegel, immer konkret. Seine umfassende Bildung, die ihn gleichermaßen in Theologie, Literatur und Nationalökonomie beheimatete, ließ ihn in seinen legendären Vorlesungen nicht nur den gesamten Bestand der philosophischen Überlieferung interpretieren, sondern auch die großen Tragödien der Griechen, Shakespeares, Schillers, dann  Dostojewskis und Thomas Manns Romane; und den Kern des Christentums. Er las über Paulus, Augustinus, Luther, Pascal, Kierkegaard. Hegel war zeitlebens sein Zentralgestirn, Platon liebte er; und, was noch zu entdecken bleibt: Er war selbst ein leidenschaftlicher Platoniker, insofern er immer wußte, daß es Eros und Tod sind, die großen Daseinsmächte, die die Philosophie zur Notwendigkeit machen. Die Platonische, zugleich zuinnerst christliche Frage, wie das was bleibt, festzuhalten ist, in aller menschlichen Endlichkeit und Sterblichkeit, allem Leiden und Schmerz, erklärt die einzigartige Leidenschaft, mit der bis zuletzt für ihn Philosophie und Leben eins waren. Dieser Platonische Zug an ihm begründete auch die tiefe Liebe zu Dostojewski und zum russischen Geist. Im Gespräch mit den russischen Gelehrten der Akademie, in der Wertschätzung, die ihm von dort entgegengebracht wurde, konnten die Angriffe gegen ihn, die Verzeichnungen seiner Person und nicht zuletzt die Abwendung der Medien als jene provinzielle Blickverengung erscheinen, die sie waren. Günter Rohrmoser hat in fünf Jahrzehnten ein bedeutendes philosophisches Werk geschaffen, das längst nicht seiner Bedeutung gemäß wahrgenommen ist. Nur an weniges sei noch einmal erinnert: In „Deutschlands Tragödie“ hat er die philosophische Tiefendimension von Nationalsozialismus und Totalitarismus in einzigartiger Weise auf den Begriff gebracht und ist damit weit über die gängige Totalitarismusforschung hinausgegangen; er hat („Nietzsche als Diagnostiker der Gegenwart“) Nietzsches Denken als Diagnose der Moderne lesbar gemacht, mit dem sich das Versprechen auf unbegrenzte Emanzipation als unhaltbar erweist, und das die große Herausforderung ist, der gegenüber das Christentum sich ausweisen muß. Den Zusammenhang einer negativistischen, artifiziellen Spätmoderne mit der Auflösung in Barbarei hat er in „Dekadenz und Apokalypse“, einer atemberaubenden Deutung von Thomas Manns „Doktor Faustus“-Roman, dargestellt.  Indes: Sein Werk ist alles andere als abgeschlossen. Ein großer Teil seiner genialen, in den Wesenskern der Sache durchdringenden Interpretationen ist noch unpubliziert. Zu hoffen ist, daß dies in angemessener Weise und bald geschehen kann, daß der Philosoph Günter Rohrmoser in seiner ganzen Tragweite noch erkennbar wird. In nichts anderem besteht sein letzter Wille! Dann wird sich noch deutlicher zeigen:  Rohrmosers Werk gehört der Philosophia perennis an und dem nationalen Gedächtnis. Es ist kein Besitz bestimmter Kreise und Richtungen. Günter Rohrmoser hat sich zeitlebens nicht geschont. Nach Professorenjahren in Münster und Köln wurde er 1976 Ordinarius für Sozialphilosophie an der Universität Hohenheim bei Stuttgart. Dort lehrte er bis zum Ende seines Lebens. Er faszinierte seine zahlreiche Hörerschaft, darunter große Persönlichkeiten und Namen. Hier konnte man noch erleben, was auf administrativem Wege längst liquidiert ist: lebendigen Geist, die Humboldtsche Universität in ihrem besten Sinne. Wenn Rohrmoser in freier Rede sein Kolleg hielt, war Geist präsent. Darüber hinaus hat er seit den sechziger Jahren eine rege Vortragstätigkeit entfaltet. Er machte keinen Unterschied zwischen glanzvollen und sehr bescheidenen Auditorien, vor allem glaubte er, vielleicht manchmal zu sehr, an die Vernunftfähigkeit seiner Hörer und Gesprächspartner.   Wenn man Rohrmoser begreifen will, wird deutlich, daß er von vermeintlicher Originalität wenig hielt. Hegel sagte einmal zur Tochter des preußischen Kultusministers: „Das wichtigste meiner Philosophie habe ich nicht aus mir.“ Daß nur aus der Kenntnis der Tradition heraus, den dreitausend Jahren, vor denen man sich im Sinne Goethes Rechenschaft ablegen muß, gedacht werden kann, war auch Rohrmosers Credo. Doch indem er die Überlieferung so zum Sprechen brachte, wie nur ihm dies gegeben war, indem er nicht im genialen Lichtblitz, sondern in der gediegenen Durcharbeitung des Stoffes seine Zeit in Gedanken erfaßte, schuf er ein Denken, das ganz Denken in seiner Zeit war, dem großen Bürgerkrieg, den Umbrüchen, dem Interim auch seiner Generationenerfahrung  sich aussetzend, dabei aber niemals dem Zeitgeist folgte. Er glich, wenn man tiefer vordrang als zu dem faszinierenden Redner und dem bedeutenden Denker, dem philosophischen Selbstbild des Sokrates: Der Glanz der Person erschließt sich nicht im äußerlichen Anschein. Auch die Tiefe und wirkliche Bedeutung seines Denkens nicht. Wenn man durch den äußerlichen Schrein hindurchdringt, dann blitzt es von purem Gold, so sagt es Alkibiades dem Sokrates nach. Und so war Günter Rohrmoser. Seinesgleichen werden wir nicht mehr sehen.   Prof. Dr. Harald Seubert, geboren 1967, lehrt Kulturphilosophie und Ideengeschichte des deutschen Sprachraums an der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen und Religionsphilosophie an der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist Mitherausgeber einer Festschrift für Günter Rohrmoser (Tamen! Gegen den Strom, Dr. Neinhaus Verlag, Stuttgart 2007) Foto: Günter Rohrmoser (1927—2008): Hegel war sein Zentralgestirn

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