Bayern ist der älteste Staat Europas. Das glauben zumindest die Bayern. Gemäß der Devise: Deutschland braucht Bayern, empfahl Edmund Stoiber, derzeit noch Ministerpräsident, im Gespräch mit Papst Benedikt XVI. den Freistaat – und mit ihm wohl auch sich selbst – als stabilisierenden Faktor in Deutschland. Brandenburg dagegen braucht Deutschland, wie es scheint, nicht als „Ordnungszelle“. Aber offensichtlich Brandenburger, die für Ordnung sorgen und erst gar keine Unordnung aufkommen lassen nach den Possen nicht zuletzt des Ober-Bayern, den Deutschland nicht braucht, wie es erleichtert feststellt. Im Gegenteil: Die überstürzte Flucht Stoibers aus Berlin sichert die Stabilität der wahrscheinlichen Koalition und ermöglicht eine gedeihliche Zusammenarbeit. Stoiber wird nicht für dauernde und keineswegs anregend-belebende Unruhe im Kabinett sorgen. Dazu wäre es unbedingt gekommen. Denn noch unlängst wollte er sich gar nicht vorstellen, daß es irgendeinen Bereich geben könnte, zu dem er als Wirtschaftsminister nicht gefragt werden müßte, gleichsam die Richtlinien der Politik bestimmend. Er, der unentwegt von der Verantwortung redet, verstand sie offensichtlich immer mehr als die Verantwortung Deutschlands, ihm, dem es nicht gelang, Kanzler zu werden, in einer für ihn zurechtgeschnittenen Rolle die Möglichkeit zu bieten, als herausragender Mitgestalter seinen Beitrag zur Erhaltung deutscher Zukunftsfähigkeit zu leisten, um sich seiner unmusikalischen Redeweise zu bedienen. Stoiber war schon lange „frustriert“. Er hatte selbst davor gewarnt, Frustrierten die Gelegenheit einzuräumen, die Wahl zu entscheiden und damit die Politik. Angela Merkel hielt sich an seine Empfehlungen, wenn sie sich nicht sonderlich bemühte, dem Frustrierten zu schmeicheln. Im Grunde war er schon mit seinen Sprüchen über die Mentalität im ehemaligen Beitrittsgebiet zum Ärgernis geworden und damit ungeeignet für ein Ministeramt in der Bundesregierung. In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit. Wer die Gleichberechtigung unter allen Deutschen anzweifelt, sollte dann aber nicht inkonsequenterweise nach gesamtdeutschen Würden streben. Gott hat es doch gut gemeint mit dem Land der Bayern, über dessen weite Gaue unterm Himmel weiß und blau seine Segenshand waltet oder walten möge, wie jeder rechtschaffene Bayer mit den Wendungen seiner schönen Hymne hofft. Insofern hätte es sich Stoiber, der vorgibt, mit Leib und Seele Bayer zu sein – übrigens eine ziemliche Häresie, da die Seele Gott gehört -, unter seinen gesegneten, klugen und allzeit flexiblen Nationalverwandten gemütlich machen können. Warum nach Berlin, in diese gottlose Stadt norddeutscher Weltverbesserer, wenn es sich in Feldmoching, dem Inbegriff für ein sich selbst genügendes Bayern, behaglich leben läßt? Jetzt wollen ihn die Feldmochinger – gerade aus der CSU – allerdings auch nicht mehr. Durch Bayern ging eine Aufbruchsstimmung unter dem verheißungsvollen Morgenrot stoiberfreier Tage, als dieser lästige Chef sich auf den Weg nach Berlin machte. Keiner will mehr zurück unter die Herrschaft eines Bürovorstehers, der sich – im Gegensatz zu römischer Staatsklugheit – um alles kümmerte, auch um Kleinigkeiten, um die minima, um die er sich gerade nicht kümmern sollte. Gerade weil Stoiber meint, alles und alle kontrollieren zu müssen, verlor er nach und nach den Überblick und verzettelte sich in zusammenhanglosen Einzelheiten. Er erwies sich immer mehr als ein Kleinlicher, dessen Seele fröstelnd im Kleinlichen bebt zum Nachteil Bayerns und der CSU. Norddeutsche schauen immer ergriffen auf die Zweidrittelmehrheit der CSU im Bayerischen Landtag. Die ist, wie die Partei selber weiß, gar nicht so beeindruckend. Die CSU verliert bei sinkender Wahlbeteiligung kontinuierlich an Stimmen. Das Ergebnis der Bundestagswahl hat bestätigt, worauf das Ergebnis der letzten Landtagswahl schon hinwies, daß die CSU tatsächlich unter 50 Prozent liegt und es sehr schwer haben wird, wieder darüber hinauszukommen. Das beunruhigt viele und vor allem die unter den bayerischen Politikern, die mit Stoiber schon immer haderten, dem weltverlorenen Bürokraten. Er hat sehr wenig loyale Mitarbeiter, da er keine Loyalität anderen gegenüber kennt. Franz Josef Strauß mochte manche Eigenwilligkeiten kultivieren, die bürgerliche Alt-Baiern höchstens als fränkische Ursprünglichkeit hinnahmen, aber er war auch ein zuverlässiger Vorgesetzter, ein Freund und lebenskluger Ratgeber, eben nicht nur ein „Spezi“ mit seinen Kumpanen. Dazu machte ihn erst endgültig Stoiber, der Zögling, das Produkt seines Meisters, ohne dessen Vitalität und Phantasie zu besitzen. Politik kann sich nicht nur in Verwaltung erschöpfen. Bayern wird sehr gut verwaltet wie eh und je. Die bayerische Verwaltungskunst ist älter als die preußische, denn Bayern ist tatsächlich einer der ältesten Staaten in Europa und in Deutschland der einzige mit einer ungebrochenen Tradition und Geschichte. Aber Politik hat es doch auch mit Einbildungskraft, mit Ideen im Laufe der immer beweglichen Zeit zu tun. Stoiber hat keine Ideen. Er redet immer von Flexibilität und kann sich gar nicht daran gewöhnen, daß die alte Bundesrepublik mit ihren Mechanismen versinkt, daß auch die ehemalige DDR kein Schutz- und Treuhandgebiet ist, sondern Deutschland. Stoiber hatte immer nur eine Angst, Bayern könnte an Einfluß im wiedervereinigten Deutschland verlieren. Nicht die Wiedervereinigung, Stoiber mit seinen Unzuverlässigkeiten, modischen Torheiten und Illoyalitäten hat die Bedeutung Bayerns in Deutschland und Europa erheblich gemindert. Bayern hat sich in der „Alpenfestung“ eingeigelt. Wem es dort zu fad wird, der geht nach Wien oder Mailand oder eben nach Berlin, wovor sich der Provinzler Stoiber zu Recht ängstigt. Bayern braucht endlich Anschluß an die Wirklichkeit, an das Leben, was heißt, daß ein Bayer auf Rügen nicht nur im Film möglich ist. Stoiber hat immer nur an ein technokratisch-ökonomistisches Bayern gedacht, an Funktionstüchtigkeiten und Prozesse. Auch der Papst, ein bayerischer Patriot, mußte ihn sanft daran erinnern, daß Bayern nicht nur funktionieren sollten. Schließlich war doch einmal Bayern nicht nur ein „Standort“, sondern ein Lebensraum, in dem selbst Raumfremde wie die Norweger Ibsen oder Gulbransson lernten, das Leben zu lieben. Hoffentlich bewahrt sich die CSU ihre Energien, schickt Edmund Stoiber nach Feldmoching oder in die Wüste und verhilft Bayern wieder dazu, eine Schule der Lebenskunst, auch der politischen, zu werden. Dann gewinnt es auch Einfluß in Berlin. Denn Deutschland braucht Bayern! Herrschaft des Bürovorstehers: Weil Edmund Stoiber meint, alles und alle kontrollieren zu müssen, verlor er nach und nach den Überblick
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