Wer sich von diesem Büchlein über Bernward Vesper einen Beitrag zu Entschlüsselung der „mentalen Auswirkungen der Nachkriegszeit auf die jungen Intellektuellen“ (Henner Voss) erhofft, wird nach der Lektüre enttäuscht sein. Um etwas über die Inkubationszeit des deutschen Terrorismus der 1970er Jahre zu erfahren, muß man schon zu Gerd Koenens „Vesper, Ensslin, Baader“ (JF 2/04) greifen, das die „Urszenen des deutschen Terrorismus“ mit Blick auf die Frühzeit der RAF und auf die private Seite der Täter abklopft. An dieser Art Mentalitätsgeschichte, die die Ursprünge des deutschen Herbstes entmythologisiert, ist dem Autor Henner Voss (Jahrgang 1942) jedoch augenscheinlich nichts gelegen. Vielmehr schildert Voss – dies allerdings durchaus amüsant und kurzweilig – seine aus den Anfängen der sechziger Jahre stammende Bekanntschaft mit Bernward Vesper, den er in der Buchhändlerschule in Rodenkirchen kennenlernte. Die Freundschaft hielt bis 1965, und aus dieser Zeit gibt der Autor einige Anekdoten zum besten: „Erinnerungen an Bernward Vesper“ eben. Sie vermitteln einige wenige Einrücke von einem jungen Mann, dessen Vater Will Vesper war, ein Dichter, der sich mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatte – Voss nennt ihn nur den „Nazidichter“ – und dessen zeitweilige Verlobte Gudrun Ensslin im April 1968 mit der Frankfurter Kaufhausbrandstiftung den RAF-Terrorismus begründete. Doch selbst diese Erinnerungen sind recht lückenhaft. Zwar erwähnt Voss das „studio neue literatur“, einen kleinen avantgardistischen Verlag, in dem er als Berater und Mitarbeiter Vespers und Ensslins fungierte, aber daß die beiden zur gleichen Zeit die Gesamtausgabe der Werke Will Vespers betrieben, dafür in der National- und Soldatenzeitung, im Reichsruf, in Militaria-Verlagen und NPD-Zeitungen kräftig Werbung machten, und Gudrun Ensslin gar als Pressesprecherin eines deutschnationalen Kärntner Verlags wirkte, scheint ihm offenkundig entgangen zu sein. Zum letzten Mal traf Voss Vesper dann im Sommer 1968 in Frankfurt am Main. Knapp zehn Jahre später erschien postum dessen Roman „Die Reise“, ein Stück Zeitgeschichte der Bundesrepublik, das zugleich einige spezifische Züge des deutschen Terrorismus aufscheinen ließ. Henner Voss: Vor der Reise. Erinnerungen an Bernward Vesper. Edition Nautilus. Hamburg 2004, 76 Seiten, 14 Euro