Dieser Tage wird endgültig entschieden, ob am 3. Oktober EU-Beitrittsgespräche mit Ankara aufgenommen werden sollen. Alle Zeichen deuten darauf hin, daß die Türkei bald am Verhandlungstisch in Brüssel Platz nehmen wird. Denn laut EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn hat sie die Bedingungen für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen erfüllt. Ähnlich äußerte sich auch EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, die von der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen ausgeht. Die ÖVP-Politikerin lieferte auch ein beredtes Zeugnis für den in der EU-Zentrale vorherrschenden Realitätsverlust. Allen Ernstes meinte die frühere Wiener Außenministerin, daß die EU zum Opfer ihrer „eigenen Popularität“ würde, wenn sie sich zu rasch erweiterte. Die Ergebnisse der verschiedenen Umfragen, die eine ständig steigende Ablehnung der Bürger gegenüber der EU und vor allem gegenüber einem Türkeibeitritt zeigen, haben offenbar noch nicht den Weg ins Brüsseler Kommissionsgebäude gefunden. Auch dürfte sich die von der Kommissarin angesprochene Popularität der EU einseitig auf die Türkei beschränken. Und hier dürften nicht die vielgepriesenen „europäischen Werte“ im Vordergrund stehen, wie aus dem Menschenrechtsbericht des US-Senats hervorgeht. Washington, das aus eigenen strategischen Überlegungen heraus die EU zur Aufnahme Ankaras drängt, sieht die Türkei von westlichen Menschenrechtsstandards noch weit entfernt. Die Popularität der EU bei den Türken beschränkt sich eher auf den milliardenschweren Geldregen, der nach einem Beitritt über der Türkei niedergehen wird. Dem Vernehmen nach wälzt die Kommission bereits Pläne, um den Gelddurst der Türken auch ausreichend stillen zu können. Laut Ferrero-Waldner sei die Besteuerung von Flugbenzin und von Finanztransaktionen „angedacht“. Um die Bürger über die auf sie zukommenden finanziellen Belastungen im unklaren zu lassen, meinte sie, daß das Wort Steuer „falsch am Platz“ sei. Die Verabreichung von Beruhigungspillen und in der Täuschung der Bürger über politische Absichten ist denn auch die Glanzdisziplin der Eurokraten. Ihr Meisterstück lieferten sie mit dem ganzen Gerede über die angeblich „ergebnisoffenen“ Verhandlungen mit der Türkei. Der Leiter des Österreichischen Instituts für Europäische Sicherheitspolitik, Erich Hochleitner, sprach in diesem Zusammenhang Klartext und bezeichnete die „Ergebnisoffenheit“ der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei als ein „Placebo für die Bevölkerung“. Schließlich liege es in der Natur von Verhandlungen, daß diese ergebnisoffen seien. Scharfe Kritik übte der frühere österreichische Botschafter in Belgien an der Kommission: Diese habe, so Hochleitner, im vergangen Herbst ein „Gefälligkeitsgutachten“ für die Regierungschefs erstellt, damit diese den Beginn der Beitrittsverhandlungen beschließen konnten. CDU-Chefin Angela Merkel hat hingegen in einem Brief an die EU-Spitze und an die konservativen Regierungschefs einen neuerlichen Verstoß für eine „privilegierte Partnerschaft“ mit der Türkei als Alternative zu einem Beitritt gefordert. Hier unterscheidet sich die Kanzlerkandidatin wohltuend von ihrer EU-Parteifreundin Ferrero-Waldner, die weiterhin wider besseres Wissen einem Türkei-Beitritt das Wort reden. Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Zur Zeit“ und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.