Mit der Ausladung der DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld (JF 01/05) ist die Evangelische Akademie Tutzing zum wiederholten Male ins Gerede gekommen. Vor allem unter konservativen Christen genießt die Bildungseinrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern schon seit längerem einen zweifelhaften Ruf. Auch wenn sich Akademie-Direktor Friedemann Greiner im Zusammenhang mit der Ausladung von Lengsfeld, die auf einer Tagung der Einrichtung über das Thema „Revolution in der Gesellschaft“ referieren sollte, zugeknöpft zeigt, macht ein Blick in die Geschichte deutlich, daß die Haltung der Einrichtung gegenüber Lengsfeld, der von der Akademie-Führung ihr Interview in der JF vorgeworden wird, nur konsequent ist. Zwar heißt es in einem Grundsatzpapier zum Gründungstag der Evangelischen Akademie Tutzing am 15. Juni 1947, die Einrichtung wolle „Menschen der verschiedensten Anschauungen“ zu Gesprächen zusammenführen, doch spätestens die Ausladung der CDU-Politikerin weckt Zweifel. Die kühne Selbsteinschätzung der Akademie-Gründer um den damaligen Landesbischof Meiser, es gebe „kaum einen so freien Boden wie den der Evangelischen Akademie: hier kann man sich alles sagen, alles fragen“, steht heute ganz offensichtlich auf wackeligen Füßen. Dabei orientiert sich die Akademie offiziell immer noch an den Idealen ihrer Gründerzeit. Auf der Internet-Seite ist nachzulesen, daß die Einrichtung heute das Ziel verfolge, „durch die Begegnung verschiedener Menschen und Gruppen unserer Gesellschaft das gegenseitige Verstehen zu fördern und Probleme bewußt zu machen. (…) Das bedeutet ferner, daß die Akademie der Pluralität unserer Zeit in geistiger Freiheit gerecht zu werden versucht.“ Zumindest wenn es gilt, dezidiert linken Referenten ein Forum zu bieten, wird die kirchliche Einrichtung ihren selbstgesteckten Ansprüchen gerecht. Daß es trotzdem nicht immer mit der Pluralität klappt, liegt indes nicht nur an der Akademie. So nahm die CSU im Wahlkampf zur Bundestagswahl 1998 die Einladung des PDS-Politikers und ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit André Brie zu einer Veranstaltung in Tutzing zum Anlaß, ihren Vertreter zurückzuziehen. Akademie-Chef Friedemann Greiner reagierte damals mit Unverständnis auf die Absage der CSU und warnte mit Blick auf die SED-Nachfolgepartei davor, „vorschnell zu tabuisieren“. Keine Berührungsängste mit linken Referenten Besser sei es, in sachlicher Auseinandersetzung bestimmte Standpunkte zu problematisieren und zu demaskieren, sagte er nach Angaben der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Heute fühlt sich Friedemann dieser liberalen Haltung, die er im „Fall Brie“ an den Tag gelegt hatte, offenbar nicht mehr verpflichtet. Im Zusammenhang mit dem „Fall Lengsfeld“ sagte er jetzt gegenüber dem Focus, man müsse überlegen, „wem man ein Forum gibt“. Auch bei anderen Gelegenheiten brauchte die Akademie-Führung offenbar nicht lange zu überlegen, als es galt, PDS-Politiker einzuladen. So wurde die Berliner PDS-Politikerin Petra Pau im Jahr 2001 zu einer Podiumsdiskussion geladen, um im Schloß Tutzing über „Stolz, Vaterlandsliebe und viele Mißverständnisse“ zu diskutieren. Bei der Einladung störte sich Greiner nicht daran, daß Pau dem ehemaligen FDJ-Organ Junge Welt regelmäßig Interviews gibt – der DDR-Bürgerrechtlerin Lengsfeld wurde dagegen schon ein einziges Interview mit der JF zum „Verhängnis“. Auch der Leiter und Gründer des umstrittenen Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), Siegfried Jäger, und Hannes Heer, einer der Initiatoren der sogenannten Wehrmachtsausstellung, haben an Tagungen der Evangelischen Akademie teilgenommen. Aber nicht nur durch die häufig politisch einseitige Auswahl der Referenten ist die Evangelische Akademie in der Vergangenheit aufgefallen. Auch in theologischen Fragen ist die kirchliche Einrichtung immer wieder für Merkwürdigkeiten gut. So lud die evangelische Bildungsstätte in der Adventszeit 1994 im Musiksaal des klassizistischen Schlosses zu einem „multireligiösen Gebet“. „Draußen spielen die Bläser Lieder von der Ankunft des Gottessohnes Jesus Christus, drinnen üben Tagungsteilnehmer buddhistisches Meditieren“, berichtete der erstaunte idea-Korrespondent. Bei den Tagungsteilnehmern hielt sich das Erstaunen offensichtlich in Grenzen: „Als der deutsche Buddhist die Versammlung bat, sich aufrecht und entspannt hinzusetzen und dazu anregte, Friede und Liebe einzuatmen, und sie in Gedanken an Hungernde und Gefangene weiterzugeben, machten alle mit.“ Proteste evangelikaler Gruppen löste 1992 schon im Vorfeld ein Kolloquium der Akademie zu dem Thema „Religion und Ekstase“ aus. Die Kritiker stießen sich vor allem an der Einbeziehung „fremdreligiöser Elemente“, wobei nicht zuletzt ein „Gebet an Uranus“ in den Räumen der Evangelischen Akademie Anstoß erregte. Entsetzt zeigte sich auch der Vorsitzende der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung in der Evangelische Kirche, Pfarrer Friedrich Aschoff. Er kritisierte gegenüber idea, daß sich die Evangelische-Akademie Tutzing als Spielwiese außerchristlicher und heidnischer Kulte anbiete, und befürchtete, daß bei dem Kolloquium ein weiterer Beitrag zur „Religionsvermischung“ geleistet werde. Kontakt: Evangelische Akademie Tutzing, Schloßstraße 2-4, 82327 Tutzing; Internet: www.ev-akademie-tutzing.de Foto: Schloß Tutzing, Sitz der kirchlichen Akademie: Schauplatz sonderbarer Veranstaltungen