Am Abend, wenn die Zuschauer von den mit Schleichwerbung durchsetzten ARD-Filmchen hinreichend eingelullt sind, kehrt Thomas Roth in ihre Wohnstuben ein. Roth ist seit Mai 2002 Chef des ARD-Hauptstadtstudios. Er moderiert und verwaltet den Nachrichtenfluß über das Geschehen im Regierungsviertel und trägt dazu bei, den Gebührenzahler zum mündigen Bürger zu erziehen. Das zumindest glauben die Gebührenzahler. Die Nachrichtensendungen der ARD gelten als die seriösesten überhaupt. Und Thomas Roth ist das Aushängeschild ihrer Seriosität. Dazu prädestinieren ihn seine sonore Stimme, die grauen Haare, die ostentative Unaufgeregtheit, mit der er auch die schlimmsten Skandale kommentiert. Niemals würde er politische Schleichwerbung betreiben. Sein wichtigstes Credo heißt nämlich: „Glaubwürdigkeit“, und das bedeutet für ihn: „Was gesagt wird, muß auch so gemeint sein.“ Zur Zeit berichtet er unermüdlich über den „braunen Sumpf“, in dem Oskar Lafontaine watet, und daß dieser Prediger des Wassers heimlich Wein trinke. Das sagt er so sachlich-unaufgeregt, daß gar nicht auffällt, wie Roth die Wahrheit verbiegt: Lafontaine hat nie verschwiegen, daß sein Weinkeller gut gefüllt ist, er gönnt nur auch dem kleinen Mann sein Gläschen. Auch gegen Martin Hohmann und Jürgen Möllemann war Roth im Einsatz. Nach Möllemanns Freitod gab er sich großmütig: „Keine Karriere kann das Leben wert sein.“ Als wenn die Treibjagd nicht schon längst auf Möllemanns persönliche Existenz gezielt hätte! Wenn zwischen den Sachverhalten und ihrer Benennung durch Roth solche Lücken klaffen, wenn es dem Überbringer der Botschaft folglich nicht um die Wahrheit geht, dann stellt sich die Frage, was Thomas Roth eigentlich meint, wenn er etwas sagt. Nichts jedenfalls, was über das – O-Ton Roth – „Seifige“ in der deutschen Politik hinausweisen würde. Längen trennen ihn von der kessen Anne Will, die dem Weltstaatsmann Gerhard Schröder in die Parade fuhr mit der Frage, wie er sich denn gefühlt habe als lahme Ente beim US-Präsidenten und ihn als den Hochstapler entlarvte, der er immer war. Roth, Jahrgang 1951, bietet dagegen den Politikern, wenigstens den linken, eine Plattform, auf der sie ihre Platitüden widerspruchslos ausbreiten können. Zuvor hatte er den ARD-Weltspiegel moderiert, er war ARD-Korrespondent in Südafrika und in Rußland und später Hörfunkdirektor beim SPD-Sender WDR. Während der kantige Gerd Ruge und – mit ihrer unverwechselbaren Frisur – Gabriele Krone-Schmalz als Rußland-Korrespondenten bis heute im Gedächtnis geblieben sind, ist Roth daraus verschwunden. Auch jetzt ist er als Persönlichkeit nicht wirklich vorhanden. Er ist der graue Funktionär, das fleischgewordene, politisch-korrekte Über-Ich, er sorgt dafür, daß die Konflikte, ehe sie über die Bildschirme flimmern, durch die Mühlen der Manipulation gedreht werden, damit alles so bleibt, wie es ist. Er ist die Seife!