Ist das Mehrheitsprinzip eine Bedrohung oder ein Hort der Freiheit? Schon diese Frage deutet an, daß wohl beides der Fall ist. So fühlte sich denn auch der Schweizer Robert Nef, Mitherausgeber der Schweizer Monatshefte und Triebkraft des Liberalen Instituts in Zürich, hin- und hergerissen, als er diese Frage zum Thema seiner Vorlesung auf den jüngsten Hayek-Tagen in Freiburg machte. Zuvor war er (wie auch der US-Nationalökonom und Nobepreisträger Vernon L. Smith) mit der Hayek-Medaille geehrt worden. Wohl soll die Demokratie die Minderheit schützen, aber gleichwohl arbeitet sie nach dem Mehrheitsprinzip. Demokratie im engeren Sinn, sagte Nef, beruhe auf der Kombination der beiden Prinzipien „eine Person, eine Stimme“ und „die Mehrheit entscheidet, die Minderheit fügt sich“. Aber für ihn bedeutet Demokratie mehr als nur Mehrheitsprinzip. Seine Grundfrage lautet: „Ist das Mehrheitsprinzip als Verfahren kollektiver Entscheidungsfindung mit der Idee der Freiheit dauerhaft vereinbar?“ Vorweg gibt er zu, sein Vorverständnis sei skeptisch. Als nachdenklicher Beobachter der Realität aus strikt liberaler Optik neige er zu einem Nein. Als Schweizer mit familiären Wurzeln im seit über 500 Jahren direktdemokratischen Appenzellerland neige er zu einem Ja. Zwei Seelen, ach …. (Goethe, Faust I). Oder wie es Nef selbst als Folgerung formulierte: „Rationale Skepsis gegen emotionale Zuneigung: Was gewinnt?“ Ihn bewegt dabei die Frage, ob es nicht möglich ist, das Mehrheitsprinzip mit einer dauerhaften Freiheitsgarantie zu verbinden. Oder präzisierter gefragt, wie er sagte: „Unter welchen Bedingungen könnte die zunächst für unmöglich gehaltene Kombination, doch noch eine Chance haben?“ Und weiter: „Sind Mehrheiten zuverlässig und auf die Dauer dafür zu gewinnen, eine Ordnung aufrechtzuerhalten, welche Leben, Eigentum und Freiheit wirksam schützt und den Wettbewerb um die individuell zusagenden Lebensformen und Lebensinhalte für alle offenhält?“ Oder werden sich Mehrheiten früher oder später zusammentun, „um auf Kosten der kreativeren und produktiveren Minderheiten mehr Sicherheit zu haben, indem die Freiheit aller eingeschränkt wird? Das wäre weiter nicht verheerend, wenn diese Einschränkung limitierbar wäre und nicht in einen Teufelskreis von zusätzlichen Einschränkungen münden würde, mit denen man die Mängel, die bei den Folgen der Einschränkungen auftreten, durch weitere kollektive Einschränkungen zu beseitigen hofft.“ Das sei der berühmte Teufelskreis des Interventionismus. Er führe zum sogenannten Gesetz der wachsenden Staatsaufgaben und Staatsausgaben. Formuliert habe es Adolph Wagner 1863, und leider harre es noch immer der theoretischen und empirischen Widerlegung. Nefs Arbeitshypothese: „Mehrheiten tendieren dazu, auf Kosten produktiver Minderheiten leben zu wollen und dies auf der Basis des Mehrheitsprinzips durchzusetzen.“ Dies habe zur Folge, daß die Produktivität sinke. Bei sinkender Produktivität sinke auch die Wettbewerbsfähigkeit, und damit gehe auch der allgemeine Wohltand zurück. In dem Pro und Contra, das Nef dann mit Gedanken und Äußerungen anderer Denker wie Aristoteles, Juvenal, Schiller, Antony de Jasay, Hans Kelsen oder Zaccaria Giacometti entwickelte und abwog, kommt er, wie er sagte, zum gleichen Schluß wie der 1899 in Wien geborene Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek: Das Mehrheitsprinzip sei bezogen auf Freiheit zunächst einmal ambivalent und berge ein beachtliches Gefährdungspotential. Er nannte dann vier Bedingungen, unter denen er sich – wie auch Hayek – mit dem Mehrheitsprinzip abfinden könne. Doch gehörten auch historisch-psychologische Voraussetzungen dazu wie „die traditionelle und institutionelle Vernetzung mit einer Art von präexistenter Freiheitsliebe und einer instinktmäßigen Beißhemmung der Mehrheit gegenüber Minderheiten“. Letztlich schütze der Minderheitenschutz die Mehrheit vor dem kollektiven Verdummen. Aber mit Minderheitenschutz werde auch viel Unfug getrieben; er sei ein Einfallstor für Gruppenprivilegien aller Art. Als sein „persönliches Fazit“ fügte er unter anderem diesen Satz hinzu: „Man muß es wagen, das Mehrheitsprinzip in jene engen Schranken zu weisen, die weder die ökonomische noch die kulturelle Entwicklung einer spontanen Ordnung hemmen.“ Und ein zweiter lautet: „Der Zwang, und vor allem der Zwang zum Guten oder zu dem, was eine Mehrheit für gut hält, macht Vielfalt zur Einfalt und hat insgesamt eine auch für die Gemeinschaft destruktive Wirkung.“ Aber Nefs mit starkem Beifall bedachte „Vorlesung“ war ebenso wie die von Vernon Smith („Hayek and Experimental Economics“) nicht alles, was in der badischen Universitätsstadt geboten wurde. So befaßte sich ein Symposium der Hayek-Tage erstmals mit der global geschürten Klimahysterie und jener Politik, die das Klima „schützen“ will (aber dabei ganz andere Interessen im Kopf hat, JF 13/08) und vorgibt, es sogar schützen zu können. Der Biologe und Klimaforscher Josef H. Reicholf (Universität München) sagte unter anderem, für die Zeit von 1780 bis 2006 habe es keinen signifikanten Trend für höhere Sommertemperaturen gegeben. Die Trendlinie bewege sich auf der Null-Linie. Ohnehin sei kälteres Klima schlimmer. Nicht die Warmzeiten hätten die Katastrophen (wie Hochwasser, Seuchen, Stürme und andere Wetterextreme) gebracht, sondern die Kaltzeiten. Und damals habe es noch kein anthropogenes CO2 gegeben. Der Ökologe und Publizist Edgar L. Gärtner (www.gaertner-online.de) nannte die Klimaschutzpolitik Öko-Nihilismus und Nihilismus Dummheit und stellte die rhetorische Frage: „Wie kommt es, daß sich die ganze EU für eine Dummheit entscheidet?“ Aus Angst vor der vorgeblichen Klimakatastrophe begehe sie wirtschaftlichen Selbstmord auf Raten. Michael Miersch forderte dazu auf, sich von der Alarm-Rhetorik zu verabschieden: „Wir brauchen eine Kritik der Umweltdiskussion.“ Die Prämissen der Grünen würden ungeprüft übernommen, und die Politiker schielten auf die Bevölkerung, wie das da ankomme. Für ihn ist der Ökologismus der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Der Ökonom Charles B. Blankart von der Berliner Humboldt-Universität sprach über den „Preis der Steuerehrlichkeit“. Wenn das Vertrauen in den Staat ganz groß ist, erreicht die Steuerehrlichkeit seiner Bürger hundert Prozent. Verdient der Staat weniger Vertrauen, können seine Bürger dafür einen Preis verlangen. Diesen Preis bestimmen sie selbst, nämlich in Form ihrer Steuerehrlichkeit. Zu bezahlen hat ihn der Staat, indem er, wenn die Steuerehrlichkeit seiner Bürger sinkt, Steuereinnahmen verliert. Je geringer das Vertrauen in den Staat und somit die Steuerehrlichkeit wird, um so höher fällt dieser Preis für den Staat aus. Ein kluger Staat, sagte Blankart sinngemäß, müßte also daran interessiert sein, das volle Vertrauen seiner Bürger zu erreichen, um deren Steuerehrlichkeit zu maximieren. Wohl wahr, aber wo ist dieser kluge Staat? Die 1998 gegründete Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft im Internet: www.hayek.de Das Liberale Institut Zürich: www.libinst.ch Foto: Haushaltsabstimmung: „Ist das Mehrheitsprinzip als Verfahren kollektiver Entscheidungsfindung mit der Idee der Freiheit dauerhaft vereinbar?“