Anscheinend verspürt jeder Musiker irgendwann das unwiderstehliche Bedürfnis, seine Wurzeln auszubuddeln, sorgfältig zu präparieren und dem Publikum auf einem silbernen Tablett zu präsentieren. So jedenfalls muß es Bob Dylan ergangen sein, als er seine schnörkellose Hommage an den Blues, „Modern Times“ (2006), und zuletzt den Sampler „Theme Time Radio Hour With Your Host Bob Dylan“(2008) vorlegte. Bruce Springsteen zollte dem Protestsong-Pionier Pete Seeger mit seinen „Seeger Sessions“ (2006) ebenso Tribut wie Dion dem weit weniger bekannten Delta-Blues-Musiker Skip James („Son of Skip James“, 2007). Nun hat derselbe Impuls Glenn Hughes (früher Bassist bei Deep Purple, später kurze Zeit auch Sänger bei Black Sabbath) und Kip Winger (in den Achtzigern Goldjunge des Pop-Metal) ereilt. „First Underground Nuclear Kitchen“ (Frontiers/Soulfood Music), kurz und sinnfällig F.U.N.K., ist eine freilich nicht völlig überraschende Abkehr von der Hard-Rock-Furche mit Soul-Einschlägen, die Hughes seit seinem Solo-Debüt „Play Me Out“ (1977) gepflügt hat. Nach seinen Erfolgsalben „Soul Mover“ (2005) und „Music for the Divine“ (2006) gibt sich die „Stimme des Rock“ hier endgültig den geschmeidigen Motown-Rhythmen und den erdigen Klängen des Southern Soul hin. Hughes, Jahrgang 1952, der das Album in seinem Studio in Los Angeles in Heimarbeit abgemischt hat, unterlegt seinen gefühlsbetonten Gesang mit einer jazzig-funkigen Geräuschkulisse aus satten Keyboard-Noten, trötenden Hörnern, Gitarrenblitzen und Trommelwirbeln von Chad Smith (Red Hot Chili Peppers). So klingt jemand, der endlich heimgekehrt ist. Und da, wo er zu Hause ist, läßt es sich prächtig leben! Wenn Hughes‘ gewaltige Stimme sich im Titelstück gen Himmel schwingt, um dann im freien Fall die Ballade „Satellite“ anzustimmen, gerät jeder Ton zum Freudenjuchzer. Noch besser ist der schlurfende Mitternachts-Groove der Schlußnummer „Where There’s A Will“ und die schroff verzerrten Akkorde auf „We Shall Be Free“. Während der gebürtige Engländer Hughes also seine musikalische Heimat im US-amerikanischen Süden findet, überquert Kip Winger, der ursprünglich aus Denver stammt und heute in Tennessee lebt, den Atlantik sozusagen in die andere Richtung und pilgert nach Liverpool, um sich am Schrein der heiligen Pilzköpfe Anregungen zu holen. Nach acht Jahren Warte- und fünf Jahren Produktionszeit erweist sich sein drittes Solo-Album „From the Moon to the Sun“ (Frontiers/Soulfood Music) als würdiger Nachfolger seiner „Songs From the Ocean Floor“ (2000). Musikalisch ähnlich abenteuerlustig und experimentierfreudig, vereint es den rhythmischen Puls arabischer Einflüsse („Every Story Told“) mit trunkenem Blues-Gebrumme („Monster“) und Hiphop-Einsprengseln („Nothing“). Was diese Höhenflüge in sämtliche Himmelsrichtungen erdet, ist Wingers technisches Können. Zu den Glanzlichtern zählen die herrliche Pianoballade „Pages to Pages“, der Sonnenschein-Pop „Runaway“, hinter dem sich eine eher melancholische Geschichte aus dem Leben eines Mädchens verbirgt, und die schwülstig orchestrierte Märchenfahrt „What We Are“. Schade nur, daß der Musiker mit Klassik-Ausbildung es nicht lassen konnte, dieses gelungene Album mit dem ersten Satz eines dreiteiligen Balletts zu überfrachten. „Ghosts“ ist ein rauschendes, dabei ungemein diszipliniert gespieltes Stück Sphärenmusik, von Winger für ein Streichquartett komponiert, und hat auf einer grundsoliden Rock-Pop-Scheibe herzlich wenig zu suchen. Dafür darf man gespannt sein, was aus Wingers Vorhaben wird, den dritten Satz in New York mit einem 31-Personen-Orchester aufzunehmen.