Gerd Koenen gilt, neben Wolfgang Kraushaar (siehe Seite 25), als der redlichste Geschichtsschreiber der bundesdeutschen Protestrevolte von 1967/68 und des folgenden „roten Jahrzehnts“. Seine Schriften dazu zeugen von einem gleichermaßen differenzierten wie geschärften Blick sowohl für die Entstehungsgründe als auch vor allem für die Verhängnisse jener Periode, an der Koenen selbst Anteil hatte „mit dem vollen Programm des linksradikalen Aktivismus“. Nach der Erschießung Benno Ohnesorgs im Juni 1967 engagierte sich der angehende Historiker, Jahrgang 1944, zunächst im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) sowie in einem neo-leninistischen Zirkel. Ab 1973 war er Mitglied im neugegründeten Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), einer maoistisch ausgerichteten, straff geführten Kaderorganisation, für deren Kommunistische Volkszeitung er ab 1976 als Redakteur für Internationales arbeitete. Erst die Beschäftigung mit der polnischen Solidarność-Bewegung entfremdete Koenen von der kommunistischen Heilslehre. Seither hat er sich in mehreren Veröffentlichungen der Geschichte des Kommunismus samt seiner Verbrechen und dessen Führerkulten („Die Großen Gesänge“, 1987) gewidmet. Zu seinen erfolgreichsten Büchern gehören „Utopie der Säuberung – Was war der Kommunismus?“ (1998) und eben „Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977“ (2001); beide lösten ein lebhaftes feuilletonistisches Echo aus. Jetzt hat Gerd Koenen zusammen mit dem Dokumentarfilmer Andres Veiel, Jahrgang 1959, seinem Lebensthema ein weiteres Opus hinzugefügt, den Bild-/Textband „1968. Bildspur eines Jahres“. Während Veiel dafür nach eigenen Angaben aus etwa 20.000 Fotos knapp 200 der aussagekräftigsten Bilder ausgewählt hat, steuerte Koenen eine Einführung („Mein 1968“) sowie kommentierende Zwischentexte bei. Dabei spiegeln die sorgsam angeordneten Bildstrecken nicht allein die Ereignisse des Jahres 1968 wider, sondern erzählen die bis Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger zurückreichende Vorgeschichte wie auch die Nachbeben der Revolte. Abgesehen von einigen angreifbaren, zum Widerspruch reizenden Formulierungen in dem Text von Koenen kann sich das Ergebnis im buchstäblichen Sinne sehen lassen. „1968. Bildspur eines Jahres“ ist ein recht gefälliger, kurzweiliger, rasch zu bewältigender Band, der indes nicht dazu verlockt, ihn nach gründlicher Sichtung weitere Male zur Hand zu nehmen. Denn daß dieses Buch eine scheinbar bekannte Geschichte neu erzählen würde, wie es im Vorspann lautsprecherisch heißt, ist dann doch mehr einer um Aufmerksamkeit heischenden Werbung in diesem 68er-Erinnerungsjahr als dem Inhalt geschuldet. Gerd Koenen, Andres Veiel: 1968. Bildspur eines Jahres. Fackelträger Verlag, Köln 2008, gebunden, 194 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro Foto: Daniel Cohn-Bendit am 3. Mai 1968 beim Protest gegen die Schließung der Philosophischen Fakultät in Paris-Nanterre: „Achterbahnfahrt der Hochgefühle und Enttäuschungen“ (Gerd Koenen)