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Die Freiheit, Welten zu schaffen

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Die Meinungen, ab wann in der Malerei von einer „Moderne“ gesprochen werden kann, sind so vielfältig wie die Versuche, zu bestimmen, was diese denn eigentlich gegenüber den vorangegangenen Epochen der Kunstgeschichte auszeichnet. Eine eigenwillige Interpretation, die sich von visuell auf Anhieb nachvollziehbaren Kriterien löst, hat vor mehr als drei Jahrzehnten Fritz Baumgart geboten. Er schlägt vor, die Epochenscheide in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu verorten. Im Jahrzehnt zwischen 1750 und 1760 sieht er das Ende der noch von der Renaissance geprägten Kunst gekommen. Hatte sie sich auch im Unterschied zur mittelalterlichen Kunst dem Diesseits zugewandt, so sah sie doch den Menschen und die Natur weiterhin nicht auf sich verwiesen, sondern als göttliche Schöpfung. Ihr Gebot war die getreue Naturnachahmung, ihre Mission die Wiederherstellung der durch den Sündenfall abhanden gekommenen Einheit der Natur mit ihrem Schöpfer durch die Darstellung ihrer „ursprünglichen“ Gestalt. Diese Auffassung ließ Raum für Individualität, nicht jedoch für Subjektivismus. Der Künstler der Nach-Renaissance, so Baumgart, nimmt sich hingegen die Freiheit, eigene Welten zu erschaffen, „die ausschließlich aus seinen Gedanken und Empfindungen stammen oder aus einer Weltlichkeit, von der Gott ausgeschlossen ist, man mag noch an ihn glauben oder nicht“. Die „objektive Ganzheit der Welt“ ist zerbrochen, die Herauslösung der Natur aus ihrem Schöpfungszusammenhang entfremdet ihr auch den Künstler und beendet ihre strikte Idealisierung durch Schönheit. Nun mag ihr mit Schauder oder auch bloß Teilnahmslosigkeit begegnet werden. Dieser Interpretation zufolge müßte Caspar David Friedrich bereits zur zweiten oder gar dritten Generation von Künstlern gezählt werden, die am Anfang der Moderne standen. Für die daraus abzuleitende Schlußfolgerung, daß er auch „den Menschen von heute“ etwas zu sagen haben müßte, wird derzeit in Essen der Beweis geführt. Die im Museum Folkwang gezeigte und danach in die Hamburger Kunsthalle wandernde Werkschau ist ein Publikumsmagnet geworden. Sicherlich ist dieser Erfolg auch der musealen Neugier auf etwas geschuldet, das nur selten geboten wird: Seit 1974 waren Originale Friedrichs nicht mehr in solch großer Zahl und Bandbreite zu sehen, und man muß kein Pessimist sein, um zu vermuten, daß wohl eine ähnliche Zeitspanne verstreichen dürfte, bis sich eine derartige Gelegenheit erneut bieten wird. Für die „Aktualität“ des im damals schwedischen Pommern geborenen und den Großteil seines Lebens in Dresden wirkenden Künstler spricht aber nicht allein diese Abstimmung mit den Füßen. Friedrich ist mit Bildern wie dem „Wanderer über dem Nebelmeer“, dem „Eismeer“ oder dem „Kreidefelsen auf Rügen“ omnipräsent, mögen sie nun als triviale Alltagsdekoration dienen oder auf bedeutungsschweren Buchdeckeln irgendwelche Abgründe in den krisenhaften Umbrüchen des neuzeitlichen Bewußtseins versinnbildlichen. Die Umbrüche, deren Zeitzeuge er selbst wurde, vollzogen sich nicht allein in der lichten Sphäre der Ideen und Mentalitäten, sondern vor allem in der rauhen und blutigen der Politik. Als die Französische Revolution ausbrach, stand er im fünfzehnten Lebensjahr, Aufstieg und Niedergangs Napoleons umrahmen die Kernphase seines künstlerischen Schaffens. Die Fremdherrschaft empfand er nicht, wie so manche deutsche Intellektuelle seiner Zeit, vor allem als Enttäuschung ob des Verrats an den hehren Idealen der Revolution, sondern als Sünde wider Gottes Gebot und als Demütigung der Nation. Er findet sich hier an der Seite von christlichen Patrioten wie Arndt, Körner oder Kleist und damit weit entfernt von jenen Romantikern, die zunächst durch den Jakobinismus affiziert werden, um sodann mit ästhetischem Genuß in den Schoß des Katholizismus zu flüchten. Kleist soll seine „Hermannsschlacht“ in Friedrichs Atelier vorgelesen haben. Von dessen Bildern wiederum, die in jener Zeit entstanden, lebt so manches aus dieser Stimmung der Selbstvergewisserung deutscher Ursprünge und Wesensart wider die verhaßten Eindringlinge. Die meisten der Motive, die sie zeigen, der Wald, der Nebel im Mittelgebirge, das Hünengrab, die gotische Ruine wurden erst viel später zu Metaphern deutscher Innerlichkeit, erst das wilhelminische Fin de siècle umgab sie mit jener penetranten Aura des Kitsches, der ihre Wahrnehmung bis heute prägt. Der Zeitgenosse konnte Friedrichs Bilder aber nicht allein als einen den vermeintlich großen Gegenwartsfragen enthobenen, erratischen Gegenentwurf gegen die auf französischen Bajonetten ins Land getragene revolutionäre Moderne lesen. Er entdeckte auf ihnen auch unverschlüsselte politische Botschaften, die der heutige Betrachter nur bemerkt, wenn er mit dem frühen 19. Jahrhundert, seinen Symbolen und dem Erscheinungsbild seiner Menschen vertraut ist. So zeigt „Der Chasseur im Walde“ einen französischen Soldaten, einsam und verloren gegenüber der Übermacht hoch ragender, alle Zeitläufte überdauernder Bäume. Zahlreiche Männerfiguren auf den Bildern Friedrichs sind in deutsche Tracht gehüllt, in das im Zuge der „Demagogenverfolgung“ inkriminierte Erkennungszeichen jener Patrioten, die ihre Aufgabe mit der Niederwerfung Napoleons nicht als erfüllt betrachteten, sondern an ihrem Ziel eines neuen Reiches unter Überwindung von Kleinstaaterei und Feudalismus festhielten. Von diesen Zeitumständen, von Friedrichs zentralem, bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nachhallendem Beitrag zur Ikonographie des deutschen Nationalbewußtseins abzusehen, kann daher nur ein unvollständiges Bild dieses Künstlers zutage fördern. Die Frage, inwieweit es ihm gelang, programmatische Aphorismen von Novalis oder Friedrich Schlegel in der bildenden Kunst umzusetzen, berührt nur einen einzelnen und wohl nicht einmal sonderlich wichtigen Aspekt seines Werks. Sie zu stellen, heißt zudem, die Romantik mit den ungezählten, von geschwätzigen Manifesten ihren Ausgang nehmenden Avantgarden des 20. Jahrhunderts auf eine Stufe stellen zu wollen. Die Ausstellung „Caspar David Friedrich – Die Erfindung der Romantik“ ist bis zum 20. August im Museum Folkwang in Essen zu sehen. Vom 7. Oktober 2006 bis zum 28. Januar 2007 wird sie in der Hamburger Kunsthalle gezeigt. Der voluminöse Katalog kostet in der Ausstellung 29 Euro, im Buchhandel 39,80 Euro. Caspar David Friedrich, „Der Chasseur im Walde“ (um 1813): Erst die Nachwelt verkitschte seine Motive

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