Die Deutschen sterben aus. Spätestens seitdem selbst die Bild-Zeitung diese seit Jahren halsstarrig ignorierte Tatsache auf ihrer Titelseite thematisiert, ist deutlich geworden, daß ein Bewußtseinswandel stattgefunden hat. Tatsache ist, daß vierzig Jahre abnehmende Geburtenraten irgendwann erhebliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung eines Volkes haben. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat dieses Phänomen jetzt in seiner neuen Studie „Die demographische Lage der Nation“ untersucht und zudem versucht, mögliche Antworten auf diese Entwicklung zu liefern. Die ausführliche und optisch ansprechende Studie von Instituts-Direktor Reiner Klingholz und seinen Kollegen beschäftigt sich mit der Frage: „Wie und wo werden wir in Zukunft leben? Was werden wir arbeiten, und womit werden wir unser Dasein finanzieren? Wie werden unsere Schulen aussehen und wie wird sich das Zusammenleben mit den aus dem Ausland zugewanderten Menschen entwickeln? Welche Lasten haben unsere Kinder zu tragen?“ Die wichtigste aber – so die Autoren der Studie – lautet: „Was tun?“ Auf diese letzte Frage gibt es nach Ansicht der Verfasser keine Patentantwort. Für die vom drohenden Bevölkerungsrückgang am schlimmsten betroffenen Regionen wie Sachsen-Anhalt haben sie keine sachdienlichen Vorschläge parat. Dabei steht das mitteldeutsche Bundesland besonders schlecht da. „Die Zukunft sieht fatal aus“, sagt Klingholz. 17.000 Anhaltiner wandern ab – Monat für Monat. Und das seit der Wiedervereinigung. Vorher waren es immerhin schon halb so viele, die der Region den Rücken gekehrt haben. Während Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) durch sein Land reist und im Wahlkampf behauptet, er stehe für eine „erfolgreiche Politik, die das Land voranbringt“, taufen die Autoren der Studie Sachsen-Anhalt in „Land der Leere“ und „Raum ohne Volk“ um. Das Land sei „handlungsunfähig“ nicht zuletzt deshalb, weil es mittlerweile die höchste Pro-Kopf-Verschuldung unter den neuen Bundesländern habe. In 100 Jahren ist das Land menschenleer – wenn der Trend so anhält. Sachsen-Anhalt ist auch deshalb mustergültig, weil es für alle Länder steht, in denen der Sozialismus und seine Hinterlassenschaften die Menschen zur Flucht veranlassen: Die Lage ist dort noch schlimmer als in anderen Teilen Deutschlands. Nirgendwo in den neuen Bundesländern gab es so viel Umverteilung (alleine achtzig Milliarden Euro für den Aufschwung Ost jedes Jahr). Nicht anders ist es im Zonenrandgebiet (etwa in den bayerischen Städten Coburg und Hof), das vom Westen vor 1990 enorm gefördert wurde, und im Ruhrgebiet, wo über Jahrzehnte hinweg eine unproduktive Wirtschaft staatlicherseits alimentiert worden ist. Keine noch so hohen Finanztransfers werden den Bevölkerungsschwund aufhalten können, auch da sind sich die Autoren einig. Druck auf Zurückgebliebene nimmt weiter zu Ein weiterer interessanter Aspekt der Studie: Die Macher haben eine ebenso einfache wie plausible Antwort auf die Frage nach dem Warum gefunden. Aus welchem Grund verzichten immer mehr junge Deutsche auf Nachwuchs? Einen Grund sehen die Verfasser in den Erwartungshaltungen der Frauen. Diese hätten häufig den sozialen Aufstieg durch die Partnerschaft mit einem Mann gesucht (Krankenschwester heiratet Arzt, Ärztin heiratet Chefarzt). Seit sich die Frauen aber ihrerseits eine bessere Position im Berufsleben erkämpft haben, ist die relativ starke Position des Mannes gesunken: Er kommt nicht mehr alleine für den Unterhalt auf. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß Frauen das zusätzliche Prestige bei den in Frage kommenden Partnern vermissen. Schließlich gibt es angesichts gleicher Qualifikation (Frauen sind inzwischen sogar besser qualifiziert) kaum noch Männer, die ihnen einen sozialen Aufstieg ermöglichen können. Eine Entwicklung mit negativen Auswirkungen auf die Geburtenrate. Trotzdem wiederholen Klingholz und seine Koautoren die Behauptungen, Frauen würden in Deutschland diskriminiert. Bei der Beantwortung der Frage bedienen sich die Macher der Studie einer etwas mißverständlichen Formulierung: So schreibt das Berlin-Institut auf seiner Internetseite, Männer seien öfter kinderlos als Frauen. Das ist biologisch natürlich unmöglich, zumindest wenn die Zahl der Frauen, die sich bei einer Samenbank bedienen, außer acht gelassen wird (und selbst die benötigen einen Mann). Was die Initiatoren der Studie damit meinten, ist, daß mehr Frauen als Männer mit Kindern zusammenleben. Das ist aber eher Ausfluß einer Rechtsprechung, die den Mann, der frühere Ehemann, Ernährer und Vater war, zum Zahler ohne Rechte degradiert hat. Eine Gemeinschaft, die Frauen solche Instrumente in die Hand gibt, darf sich nicht wundern, wenn die Männer auf Kinder im Zweifelsfall verzichten. Eine andere Entwicklung dagegen blenden die Verfasser vollständig aus. Sie analysieren überhaupt nicht die Abwanderung beziehungsweise das Abwanderungspotential, nur die mögliche Zuwanderung von Fremden nach Deutschland – von der sie abraten. Mit einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage – insbesondere für die gutqualifizierten Jüngeren – steigt jedoch der Abwanderungsdruck. Schon jetzt jobben fleißige Thüringerinnen in österreichischen Hotels, beantworten deutsche Telefonagenten Auskünfte in Dubliner Call Centern, praktizieren deutsche Mediziner in Londoner Kliniken und verabschieden sich deutsche Wissenschaftler unter anderem an Universitäten in den Vereinigten Staaten. Wenn sich dieser Trend verstärkt, dann dreht sich die Spirale noch schneller abwärts, weil der Druck auf die Zurückgebliebenen noch weiter zunimmt. Vielleicht wollten die Autoren angesichts der ohnehin schon schwarzmalerischen Prognosen nicht noch mehr Zukunftsängste schüren. Das Institut im Internet: www.berlin-institut.org Foto: Einsam und alt: Die Wissenschaftler haben keine Patentrezepte zur Lösung des Demographie-Problems