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Rückzug oder Untergang

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Nun, nachdem die Hamas die Wahlen im palästinensischen Autonomiegebiet gewonnen hat, ringt die Welt die Hände. Doch warum? Die Zeichen der Zeit waren doch schon vor Monaten unübersehbar – wenn nicht gar schon vor Jahren! Der Grund für den Erfolg liegt auf der Hand: Die Fatah, die Partei Jassir Arafats, die die Palästinenser seit dem Oslo-Abkommen von 1993 regiert hat bzw. zu regieren versucht hat, wird von weiten Teilen des Volkes als schwach und korrupt angesehen – und sie hat keine Erfolge im Kampf gegen Israel vorzuweisen. Zwölf Jahre nach Oslo ist das gesamte Westjordanland immer noch in israelischer Hand! Insofern als der militärische Widerstand ein Faktor war bei Israels Entscheidung, den Gaza-Streifen zu räumen, wurde dieser Widerstand von den Kämpfern der Hamas, nicht von denen der Fatah getragen. Entgegen der allgemeinen Annahme ist es nicht Israel, das der Sieg der Hamas am meisten beunruhigen muß. Vielmehr sind es die benachbarten arabischen Staaten wie Ägypten, Syrien und vor allem Jordanien. Denn in allen drei Ländern gibt es mehr oder weniger mächtige moslemisch-fundamentalistische Bewegungen, die die politische Stabilität bedrohen. Keines dieser Länder hat ein demokratisches Regierungssystem, das einen friedlichen Übergang zu einer religiös geprägten Regierung erlauben würde, sollten es die Menschen dort den Palästinensern einmal gleichtun. Alle drei fürchten, daß der religiöse Fundamentalismus auf ihre Länder übergreift, in allen dreien taumeln die Herrscher in ihren Stiefeln. Doch zurück zu Israel: Als Ariel Scharon den Rückzug aus Gaza anordnete, war sein eigentlicher Beweggrund nicht der Terrorismus – der in Gestalt von auf Südisrael abgeschossenen Kasam-Raketen schließlich anhält -, sondern die Demographie. Israel ist ein Land mit 6,5 Millionen Einwohnern, davon 1,2 Millionen Araber. Es ist schlicht nicht möglich, die 1,5 Millionen Menschen in Gaza und die 2,5 Millionen Menschen im Westjordanland für immer und ewig unter Kontrolle zu halten. Nachdem Hamas nun an der Macht ist, hat sich an diesem eigentlichen Problem nichts geändert. Falls Israel diese Tatsachen jedoch ignoriert, so ist sein Untergang unausweichlich. Solange die Fatah die Macht in der palästinensischen Autonomiebehörde hatte, bestand die Hoffnung, den Rückzug in Zusammenarbeit mit den Palästinensern durchzuführen. Tatsächlich aber hatte die Autonomiebehörde in dieser wie in fast jeder Hinsicht wenig zu bieten. Das bedeutet: Selbst gesetzt den Fall, die Autonomiebehörde hat es wirklich gewollt, war sie zu keiner Zeit in der Lage, ihre Verpflichtungen einzuhalten und Israel vor Terrorismus zu bewahren. So gesehen war es also ziemlich bedeutungslos, was sie wirklich wollte oder nicht wollte, beziehungsweise, was sie tat oder nicht tat. Das ist der springende Punkt: Der Unterschied zwischen Fatah und Hamas ist gar nicht so groß, wie die Leute glauben! Ob nun die Hamas eine Terrororganisation ist oder nicht, ob sie beabsichtigt, Israel zu zerstören oder nicht – ein Ziel übrigens, das ihre Fähigkeiten so weit übersteigt, daß diese Frage nun wirklich keine Rolle spielt -, Israel muß seine Entscheidung umsetzen, sich aus dem größten Teil des Westjordanlandes zurückzuziehen! Wenn Israel dies in Zusammenarbeit mit den neuen Herren der Autonomiebehörde gelingt, um so besser. Falls nicht, dann eben nicht. Schließlich ist der Rückzug aus Gaza auch nicht mit Hilfe der Palästinenser durchgeführt worden. Es hängt nun alles vom israelischen Volk ab, das am 28. März zu den Wahlurnen gerufen ist. Kaum hatte Hamas an den Urnen gesiegt, als rechtsgerichtete israelische Politiker schon begannen, lauthals zu behaupten, dieser Sieg beweise, daß Scharons Rückzugs-Politik falsch war und gestoppt werden müsse. Der eigentliche Verlierer der Palästinenser-Wahl ist also Scharons Nachfolger Ehud Olmert. Denn in den nächsten Tagen und Wochen wird es an ihm sein, eine neue Rechtfertigung für die Regierungspolitik zu finden. Wird es ihm gelingen, die israelische Öffentlichkeit zu überzeugen? Auch die Mächte jenseits des Nahen Osten – selbst die mächtigsten unter ihnen – haben nur einen begrenzten Spielraum: Sie können Vorschläge machen, sie können Bitten stellen, sie können – vor allem finanzielle – Hilfe anbieten, sie können drohen. Doch sie können Israel zu nichts zwingen, da keine Demokratie der Welt sich über den Willen der Mehrheit ihres Volkes hinwegsetzen kann. Oder sie können versuchen, die Hamas unter Druck zu setzen: Doch selbst wenn Hamas den Terrorismus beenden wollte, sie wäre nicht in der Lage dazu! Egal wie viele Gelder man ihr vorenthält, welche Mittel man sonst einsetzt. Wie so oft in der Vergangenheit bleibt Israel also nichts anderes übrig, als sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Israel muß tun – nicht, was gut für die Palästinenser ist oder was die übrige Welt zufriedenstellt, sondern was seine Sicherheit erfordert und was seine Existenz garantiert. Und das ist, die umstrittene Mauer zu vollenden und sich aus möglichst vielen Gebieten möglichst schnell dahinter zurückzuziehen. Prof. Dr. Martin van Creveld ist Militärhistoriker und lehrt an der Universität Jerusalem.

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