Über einen Mangel an Problemen konnte sich die nahe Bremen gelegene Industriestadt Delmenhorst eigentlich nicht beklagen. Sie besitzt alles, was die Bezeichnung „strukturschwach“ verdient: eine schwächelnde Wirtschaft, leere Kassen, hohe Arbeitslosigkeit, Viertel mit viel „Migrationshintergrund“ und geringer Integration – und bald auch noch ein ehemaliges Hotel, das mehr kostet, als es wert ist, und von dem noch keiner so recht weiß, was die Stadt eigentlich damit anfangen soll. Vorangegangen ist eine Provinzposse der besonderen Art: Im Sommer schlugen Stadt, Parteien und Medien Alarm, weil für Mitte August der Verkauf des Hotels „Am Stadtpark“ an den vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeschätzten Hamburger Anwalt Jürgen Rieger geplant sei (JF 35/06). Der Eigentümer Günter Mergel hatte das 100-Betten-Haus seit einem Jahr leerstehen lassen, da ihm Gäste und Geld ausgegangen waren. Andere Interessenten waren für das wenig schmucke Gebäude in der nicht gerade schmucken Stadt nicht zu finden, so daß die 3,4 Millionen Euro, die Rieger bot, dem um Schuldenabbau und Alterssicherung bemühten Hotelier attraktiv erschienen. Rieger, so hieß es in den umgehend folgenden Aufrufen und medialen Verlautbarungen, plane ein rechtsextremes „Schulungszentrum“. Davon hatte der mittlerweile in die NPD eingetretene Hamburger zwar überhaupt nicht gesprochen; lediglich davon, den Hotelbetrieb wiederaufnehmen zu lassen und in den Gasträumen jenen rechtsaußen stehenden Parteien und Organisationen Versammlungsmöglichkeiten zu bieten, denen solche anderswo in der Regel verwehrt würden. Unter dem Motto „Keine Nazis in Delmenhorst“ fanden sich umgehend diverse Bündnisse zusammen, die unter dem Dach von Gewerkschaften, Parteien, Verbänden und Kirchen gegen den Verkauf an Rieger protestierten. Weil die Stadt die von Rieger gebotene Summe nicht aufbringen konnte, wurde unter den besonders Engagierten fleißig gesammelt, und die jeweils zusammengekommenen Spenden wie Wasserstandsmeldungen stolz präsentiert. In der allgemeinen Hysterie steuerte auch ein Ortsverband der CDU das Seine in Form des Verkaufs von „Würstchen gegen Rechts“ bei. Die Stadt versuchte zudem den Druck auf Verkäufer Mergel zu erhöhen und operierte mit juristischen Tricksereien: So weitete sie ein Sanierungsgebiet auf den Standort des Hotels aus, was ihr ein Vorkaufsrecht sicherte. Doch der umtriebige Geschäftsmann konterte nicht minder geschickt, indem er drohte, Rieger die Immobilie notfalls zu schenken, wenn der dafür Mergels Schulden übernehme. Mergels Beharrungsvermögen hat sich nun offensichtlich ausgezahlt. Ob Rieger tatsächlich über den gesamten Zeitraum Kaufinteressent gewesen ist oder am Schluß nur den Preis hochtreiben sollte, ist nicht ganz klar. Jetzt heißt es jedenfalls, die Stadt stehe kurz vor dem Kaufabschluß, ein Vertrag liege vor und werde noch geprüft, bevor es möglichst in den nächsten Tagen zur Unterzeichnung komme. 1,6 Millionen Euro sollen aus dem Säckel der Kommune aufgewandt werden – soviel ist der Bau laut unabhängigem Gutachten wert. Gut 900.000 Euro Spendengelder kommen von den verschiedenen Initiativen hinzu, und den Rest bis zur von Mergel gewünschten Summe von über drei Millionen Euro soll die stadteigene gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft GSG beisteuern. Unklar ist jedoch, was mit dem leerstehenden Gebäude, das zudem laufend Instandhaltungskosten in ungenannter Höhe verschlingt, zukünftig passieren soll. Das vom DGB betriebene „Aktionsbündnis gegen Rechts“ will ein „Bürgerzentrum“ daraus machen (das es nebenan in Form der „Delmehalle“ schon gibt), der Sprecher der Bürgerinitiative „Für Delmenhorst“ hält dagegen die Errichtung von Altenwohnungen für sinnvoll. Beide Gruppen pochen auf die Einhaltung des seitens der Stadtverwaltung gegebenen Versprechens, die Bürger an der Entscheidung teilhaben zu lassen. Auch seitens der GSG habe man sich schon Gedanken gemacht, aber: „Ein Nutzungskonzept gibt es noch nicht“, so der GSG-Sprecher Stefan Ludwig gegenüber der Presse. Am 4. Dezember wolle der Delmenhorster Oberbürgermeister Patrick de La Lanne (SPD) darüber mit Vertretern der Bürgerinitiativen beraten. Politisch ist der hohe Preis, den die verschuldete Kommune zu entrichten hat – 1,6 Millionen unmittelbar und weitere 800.000 aus der städtischen Wohnungsbaugenossenschaft – offensichtlich zumutbar: „In erster Linie wollten wir ein Neonazi-Zentrum verhindern“, zitiert die Hannoversche Allgemeine Zeitung eine Stadtsprecherin.