In den letzten Tagen des Bürgerschaftswahlkampfes hat sich die seit Wochen abzeichnende Tendenz verfestigt: Noch immer sagen die Umfragen einen knappen Vorsprung der regierenden CDU vor der rot-grünen Konkurrenz vorher. Die Sozialdemokraten, noch stärkste Fraktion in der Bürgerschaft und über vier Jahrzehnte führende politische Kraft in der Hansestadt, müssen derzeit um den Sprung über die 30-Prozent-Marke bangen, ohne den eine Ablösung des Mitte-Rechts-Senats auch mit Hilfe der zwischen 14 und 15 Prozent rangierenden Grün-Alternativen unwahrscheinlich wird. Der erhoffte „Münte-Effekt“, also der durch den anstehenden Wechsel von Schröder zu Müntefering an der Spitze der Bundespartei mögliche Stimmungsumschwung, scheint jedoch nicht sonderlich zu fruchten. SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow bläst an der Elbe der Wind aus Berlin kräftig ins Gesicht, bei den Wählern überwiegt das Mißfallen an den politischen Weichenstellungen der Bundesregierung gegenüber ihrem Interesse an spezifischen Themen des Stadtstaates. Zudem steht Mirow als früherer Wirtschaftssenator auch für den 2001 abgewählten rot-grünen Senat, was der Popularität des etwas hölzern daherkommenden Politikers nicht gerade nützt. Ganz anders Bürgermeister Ole von Beust. Auf seinen hohen Popularitätswerten gründet sich der Vorsprung der CDU, die ihren Spitzenmann folgerichtig zum Hauptinhalt des Wahlkampfs macht. Zuviel Programmatik könnte der Union sogar schaden. Denn in den Wahlkabinen können die Hamburger am Sonntag nicht nur über die Besetzung der Bürgerschaft, sondern auch über ein Bürgerbegehren abstimmen. Darin geht es um den vom Senat beschlossenen Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK), den die Initiatoren des Referendums „Gesundheit ist keine Ware“ verhindern wollen. Da sich in Umfragen eine große Zahl Stimmberechtigter positiv zu diesem Anliegen bekannten, somit also gegen die Linie der CDU votieren könnten, teilte Bürgermeister von Beust mit, er werde dies im Falle seiner Wiederwahl berücksichtigen und nicht gegen eine Mehrheit der Hamburger regieren. Sogar der Noch-Koalitionspartner FDP sattelte zum Schluß des Wahlkampfes auf das Zugpferd von Beust um, indem man sein Gesicht auf die eigenen Plakate druckte. Tenor: Nur mit den Liberalen kann eine sichere bürgerliche Mehrheit gegen Rot-Grün geschaffen werden. Doch die CDU ging darauf nicht ein und zog sich so mit ihrem auf die absolute Mehrheit zielenden Kurs die Verärgerung der um den Wiedereinzug bangenden FDP zu. Entscheidend für die Frage, wer (und mit wem) nach dem 29. Februar regieren wird, ist jedoch wie vor zwei Jahren Ronald Schill. Obwohl das politische Enfant terrible in den Umfragen gleichauf mit der FDP noch unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde liegt (zwischen drei und vier Prozent), hat Schills Liste ProDM/Schill im Gegensatz zu den Liberalen damit ihr Potential noch nicht ausgeschöpft. Auch eine große Koalition wäre theoretisch möglich Denn immer noch sind laut Befragung über ein Drittel der Wähler unentschieden, wo sie am Wahltag ihr Kreuz machen werden. Hinzu kommt im Falle Schills, daß erfahrungsgemäß seine potentiellen Wähler gegenüber den Umfrageinstituten weniger auskunftsfreudig sind; wie bereits 2001 könnte also die Zustimmung bei der Wahl über den zuvor ermittelten Werten liegen. Doch anders als bei der vorigen Wahl, als der populistische Politneuling einer relativ schwachen Union an die Macht verhalf, würde der neuerliche Einzug Schills ins Parlament die Chancen der CDU auf eine Alleinregierung schmälern. Politikbeobachter halten in diesem Fall eine Große Koalition zwischen CDU und SPD für wahrscheinlich. Sowohl Bürgermeister Ole von Beust als auch der SPD-Spitzenkandidat Mirow haben bereits angekündigt, ein solches Bündnis als Ultima ratio zu befürworten. Das wiederum scheint besonders die Grün-Alternative Liste (GAL) zu ärgern. Denn ihr Stimmenzuwachs in den Umfragen ist dafür verantwortlich, daß die CDU allein nur knapp vor Rot-Grün zusammen führt. Dient sich nach der Wahl die SPD als Juniorpartner der Union an, sähe sich die GAL quasi um ihren Erfolg betrogen. Nur vor diesem Hintergrund ist wohl der Vorstoß der ehemaligen Hamburger Senatorin und jetzigen grünen Bundestagsfraktionschefin Krista Sager richtig zu verstehen, grundsätzlich wäre auch in der Hansestadt ein schwarz-grünes Bündnis möglich: als diskreter Hinweis an die SPD, nicht schon vor der Bürgerschaftswahl von der Fahne zu gehen. Für Schills ehemalige Partei Rechtsstaatlicher Offensive, die sich noch vor dem Bruch der Bürgerblock-Koalition von ihm im Streit getrennt hatte, wird der kommende Sonntag wohl das Schicksal besiegeln, fortan unter „Sonstige“ subsumiert zu werden. Die Abgeordneten der vormals drittgrößten Fraktion haben keine reelle Chance, den Wiedereinzug in die Bürgerschaft zu schaffen. Ohne die medienwirksamen Auftritte des Ronald Schill, ohne ausreichend gefüllte Wahlkampf-Töpfe und vor allem ohne herausragende programmatische Aussagen bleibt die Partei weitgehend unbeachtet und fristet das Dasein eines ungeliebten Partners, den die CDU so schnell wie möglich loswerden will. Mettbach und Nockemann haben keinen Amtsbonus Die Christdemokraten machten bereits klar, daß sie auch mit der Nicht-mehr-Schill-Partei auf keinen Fall wieder koalieren würden. Obwohl die Offensive, der man im Wahlkampf zuletzt sogar die Verwendung des satzungsmäßigen Parteikürzels gerichtlich untersagte, immerhin mit Bausenator Mario Mettbach den zweiten Bürgermeister und mit ihrem Spitzenkandidaten Dirk Nockemann den Innensenator stellt, fehlt von einem Amtsbonus jede Spur. Während sich die CDU die Erfolge des Senats allgemein auf die Fahnen schreibt, wirbt der „Renegat“ Schill offensiv mit seinem persönlichen Anteil an der Intensivierung der Inneren Sicherheit und dem Rückgang der Kriminalität. Ein über ihre eigene Mitgliederschaft hinausgehendes Wählerreservoir bleibt der Partei Rechtsstaatlicher Offensive also nicht, kann sich doch die ansonsten kaum bekannte ProDM mit ihrem Aushängeschild „Schill“ viel besser als Protestpartei und Interessenwahrerin der „kleinen Leute“ verkaufen. An politische Schaltstellen wird Schill in Hamburg unter Garantie nicht mehr gelangen, ein Wiedereinzug in die Bürgerschaft wäre für ihn immerhin ein großer Erfolg; wenn auch vielleicht nur der zweifelhafte, den Sozialdemokraten innerhalb einer schwarz-roten oder gar rot-grünen Koalition wieder an die Macht verholfen zu haben. Fotos: Wahlkämpfer (v.l.n.r.) Dirk Nockemann (Partei Rechtsstaatlicher Offensive), Christa Goetsch (GAL), Ole von Beust (CDU), Thomas Mirow (SPD), Reinhard Soltau (FDP): Zuviel Programmatik kann schaden