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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Sittsam, aber nicht verhüllt

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Sittsam, aber nicht verhüllt

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Cato, Palmer, Exklusiv

Noch immer sorgt die Diskussion um das Tragen des als islamisch bezeichneten Kopftuches durch öffentliche Bedienstete für heftige Kontroversen. Daran ist das Bundesverfassungsgericht nicht ganz unschuldig, hat es doch mit seiner Entscheidung im letzten September die Verantwortung von sich gewiesen und den Ländern die Entscheidungsvollmacht überlassen. Freilich sind Fragen der Kultur Sache der Länder, aber – das zeigt die Schärfe der Diskussion – im Fall des Kopftuchverbotes handelt es sich um eine wesentliche Angelegenheit, die den Bundesstaat in Gänze betrifft. Hätten die Hüter des Grundgesetzes diese Wesentlichkeit anerkannt, so wären sie zu einer einheitlichen Regelung verpflichtet gewesen. Der Grund für das vorsichtige Taktieren könnte gewesen sein, daß das Gericht religiöse Symbole nur dann verbieten darf, wenn diese von der Religionsgemeinschaft nicht zwingend vorgeschrieben sind. Obgleich selbst einige islamische Länder nicht auf der Kopftuchpflicht beharren, sind sich die Verfassungsrichter einig gewesen, daß sich das Gebot des Kopftuches im Koran finden lasse und damit für die Gläubigen Gesetz sei. Doch genau diese Auffassung könnte jetzt erneut erschüttert werden, und zugleich hätten die Gegner des Kopftuches Argumente, die über den Ruf nach dem christlichen Abendland oder der europäischen Tradition hinausgingen. Der Autor Christoph Luxenberg, ein Pseudonym, hat mit seinem erstmals 2000 erschienenen Buch „Die syro-aramäische Lesart des Koran“ in der ganzen Welt für Aufsehen gesorgt. Noch vor dem Erscheinen der zweiten, erweiterten Auflage im Herbst dieses Jahres hat sich Luxenberg nun für die kleine kritisch-katholische Zeitschrift imprimatur (Ausgabe 2/2004) zum Problem der „Kopftuch-Sure“ geäußert und eine neue Lesart des Korantextes präsentiert. Dabei ist Luxenberg nicht der erste, der Kritik an der Auslegung des Koran übt; mit seiner Methode jedoch und den erzielten Ergebnissen steht er weitestgehend allein – nicht zuletzt liegt das daran, daß Luxenberg die von ihm untersuchten Sprachen sogar mit ihren regionalen Einfärbungen beherrscht und philologisch untersuchen kann.
Der Koran wurde in Kurzform aufgeschrieben Der Autor veröffentlicht seine Bücher bewußt unter Pseudonym, wohlwissend, daß er sich mit diesen Forschungen auf lebensgefährlichem Terrain bewegt. Der Grund für die teilweise hektischen Reaktionen vor allem in islamischen Gelehrtenkreisen ist die Tatsache, daß Luxenberg den Koran in weiten Teilen neu liest, indem er die syro-aramäische Sprachwurzel des arabischen Textes rekonstruiert. Während nämlich die islamische Auffassung davon ausgeht, der Koran sei zu Beginn des 7. Jahrhunderts von Mohammed oder dessen Gefährten abgefaßt worden und seitdem unverändert geblieben, hat die neuere Koranforschung bewiesen, daß der Text zwar auf das 7. Jahrhundert zurückgeht, seine heutige Form aber erst im 10. Jahrhundert erhalten hat. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Geschichte der arabischen Schrift: Diese hat es nach Luxenberg bis zum Zeitpunkt der Koranentstehung überhaupt nicht gegeben; zwar wurde arabisch gesprochen, für die Schrift jedoch wurde das Syro-Aramäische verwendet, das in jener Zeit ähnliche Bedeutung hatte wie das Lateinische in Europa wenige Jahrhunderte später. Die arabischen Stämme breiteten sich aber bald aus, und es wuchs nicht nur das Selbstbewußtsein, sondern auch das Bedürfnis nach einer eigenen Schrift, welche schließlich auf der Basis der syro-aramäischen neu geschaffen wurde. Der Koran schließlich ist der erste auf arabisch geschriebene Text, doch weil er zur Zeit seiner Entstehung dem Leiter des Gottesdienstes lediglich als Gedächtnisstütze diente, ist er in verkürzter Form niedergeschrieben worden. In dieser Kurzform wurden die sogenannten diakritischen Punkte, welche die arabische Schrift erst eindeutig machen, weggelassen. Von den 28 Buchstaben des arabischen Alphabetes sind jedoch nur ganze sechs auch ohne diese Punkte eindeutig; für die übrigen 22 ergibt sich eine unüberschaubare Fülle an Deutungsvarianten, wenn diese Punkte fehlen. Für die damaligen Gelehrten stellte das kein Problem dar, kannten sie doch noch die syro-aramäische Wurzel der Worte. Doch um 900 mußte eine einheitliche Lesart des heiligen Textes festgelegt werden, weil sich mittlerweile derart viele Interpretationen durchgesetzt hatten, daß der Islam zu zerfasern drohte. Die Aufgabe bestand nun darin, den gesamten Koran erstmals in ausgeschriebener Form vorzulegen, das heißt: die fehlenden diakritischen Punkte nachträglich in den Text einzufügen, so daß Fehlinterpretationen unmöglich wurden. Als problematisch erwies sich nun jedoch, daß die Korangelehrten des 10. Jahrhunderts die syro-aramäische Wurzel der Wörter nicht mehr kannten, und so ergaben sich eine Reihe höchst merkwürdiger Koranstellen, welche von der Fachwelt als dunkle Stellen bezeichnet werden. Eine dieser dunklen Stellen befindet sich auch in Sure 24.31, welche von den Glaubenswächtern als zentraler Hinweis für ein Kopftuchgebot verstanden wird. Die Übersetzung dieses Abschnitts in Sure 24.31 aus dem Arabischen lautet nach Luxenberg wörtlich: „Sie sollen ihre chumur über ihre Taschen schlagen“. Die Korangelehrten hatten wohl von je her Probleme mit dieser Auslegung, so daß sie sich auf einen Wortlaut einigten, der in der deutschen Übersetzung folgendermaßen wiedergegeben wird: „Sie sollen (…) ihren Schal sich über den (vom Halsausschnitt nach vorne heruntergehenden) Schlitz (des Kleides) ziehen“. Dieser Satz wirkt befremdlich, und so untersucht Luxenberg die seiner Meinung nach drei fraglichen Wörter des ursprünglichen Textes „chumur“, „Taschen“ und „schlagen“. „Sie sollen ihre Gürtel über ihre Lenden schlagen“ Das Wort „chumur“ war den Korangelehrten des 10. Jahrhunderts völlig unbekannt. Jedoch existiert im Arabischen ein ähnliches Wort, das „zudecken“ bedeutet und dessen sie sich aushilfsweise bedienten. Luxenberg hingegen gelingt es nachzuweisen, daß die ursprüngliche, syro-aramäische Bedeutung des Wortes „chumur“ „Gürtel“ ist. Diese Erkenntnis wird von der Tatsache gestützt, daß das ebenfalls fragwürdige Wort „schlagen“ in der syro-aramäischen Literatur stets in Verbindung mit „Gürtel“ verwendet wurde. Die dunkle Stelle lautet nach diesen Bereinigungen: „Sie sollen ihren Gürtel über ihre Taschen schlagen“, womit das letzte noch zu untersuchende Wort klar hervortritt. Auch hier zeitigt die akribische philologische Arbeit Luxenbergs eine Neuübersetzung: Aus „Taschen“ wird „Lenden“, so daß aus dem Gebot, ein Kopftuch zu tragen, der Hinweis wird: „Sie sollen ihre Gürtel über ihre Lenden schlagen“! Daß sich diese Neulesung auch auf historische Tatsachen berufen kann, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß es im Koran zahlreiche Stellen gibt, in denen Frauen das Umbinden eines Gürtels geboten wird, da dieser als Zeichen der Sittsamkeit galt; ebenso dürfen auch Männer nur mit umgebundenem Gürtel zum Gebet erscheinen. Die hohe Bedeutung des Gürtels ist übrigens nicht nur auf den Islam beschränkt: auch im christlich geprägten Europa hatte (und hat) er Bedeutung. So etwa als fester, die Askese betonender Bestandteil der Mönchskleidung, da er das geistige Oberteil des Menschen von seinem als verderbt empfundenen Unterleib trennt. Andererseits war Prostituierten das Tragen eines Gürtels bei Strafe verboten, da sie sich eben nicht mit dem Zeichen der Sittlichkeit schmücken durften.
Luxenberg kommt zu dem Schluß, daß zumindest die Sure 24.31 den Frauen kein Kopftuch vorschreibe, und vertritt die Meinung, diese sollten sich gegen das jahrhundertealte Diktat der Glaubenswächter stellen. Auch wenn fraglich bleiben muß, inwieweit die von einem einzelnen Wissenschaftler durchgeführte philologische Analyse eines als heilig betrachteten Textes Einfluß auf die konkrete Ausgestaltung des Glaubens nehmen kann, so könnten sich damit dennoch neue Aspekte für die deutsche Rechtsprechung ergeben. In jedem Fall aber kann die Arbeit Luxenbergs zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen und eine Neubewertung unseres Umganges mit religiösen Dogmen herausfordern. Christoph Luxenberg: Die syro-aramäische Lesart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache. 2., überarb. Neuauflage 2004. Der von Luxenberg in der Zeitschrift „imprimatur“ veröffentlichte Text kann unter https://www.phil.uni-sb.de/projekte/imprimatur nachgelesen werden. Fotos: Demonstration gegen das Kopftuchverbot im Oktober 2003 in Darmstadt: Diktat der Glaubenswächter Verbot für alle Die hessische CDU will nicht nur muslimischen Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs im Dienst verbieten, sondern allen Beamtinnen. Das sieht ein Gesetzentwurf vor. Hessen zieht damit die weitreichendste Konsequenz aus dem Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

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