In Berlin hat es sich ein Tierheim, wie die „Bild“-Zeitung berichtet, zum Grundsatz gemacht, „Welpen oder junge Hunde nicht an Interessenten im Rentenalter“ abzugeben. Man möchte, so die Begründung, auf diese Weise verhindern, daß die Tiere ihre Besitzer überleben. Sicherlich ist damit nicht allein intendiert, den Hunden psychische Belastungen zu ersparen. Man hat wohl auch an die Hinterbliebenen gedacht. Da die Null- bis Ein-Kind-Familie unterdessen schon eine deutsche Tradition geworden ist, häufen sich die Fälle, in denen beruflich eingespannte Menschen mittleren Alters oder auch Rentner mit bereits eingeschränkter Mobilität durch eine Vielzahl von Haushaltsauflösungen überfordert werden, die sie in relativ kurzer Zeit bei Verstorbenen aus der näheren oder entfernten Verwandtschaft zu leisten haben. Es zeugt von Mitmenschlichkeit, daß man sie wenigstens von der Sorge um das Schicksal herrenlos gewordener Zweibeiner entbindet. Die Einwände, die dennoch gegen die Praxis des Berliner Tierheims erhoben werden, mögen zwar im einzelnen begründet sein. Zu allererst zeigen sie jedoch, daß man die Erfordernisse der Zeit nicht verstanden hat. So meint ein von der „Bild“-Zeitung befragter Diplompsychologe, daß insbesondere ein junger Hund für alte Leute „ein wahrer Gesundbrunnen“ sei. Es gebe sogar wissenschaftliche Belege dafür, „daß Hunde das Leben verlängern“. So schön das auch klingen mag: Der vermeintliche Experte unterstellt einen gesellschaftlichen Konsens, der längst im Schwinden begriffen ist. Niemand plant, ohne Not das Leben alter Menschen künstlich zu verkürzen. Man wird aber – außer vielleicht bei einigen Betroffenen – auf wenig Zustimmung für eine Politik stoßen, die das Gegenteil bewirken soll. Dahinter steht kein böser Wille und auch nicht der Neid auf Menschen, die es schon geschafft haben, ihr Berufsleben hinter sich zu bringen. Es ist vielmehr die Erkenntnis, daß nicht allein der Staat sich dem Kriterium der Effizienz zu stellen hat, sondern wir alle uns an ihm messen lassen müssen, die immer weitere Kreise zieht. Ihr werden sich auch jene Menschen nicht verschließen können, die mit der sozialen Marktwirtschaft alt geworden sind und daher meinen, gewisse Bereiche des menschlichen Zusammenlebens seien der ökonomischen Rationalität aus gutem Grund entzogen. Natürlich sind es vor allem Rentner, die sich fragen müssen, ob sich bestimmte Konsumausgaben oder gar Zukunftsinvestitionen wirklich lohnen. Aber auch junge Leute stehen vor vergleichbaren Problemen: Warum soll man zum Beispiel die Kosten und die Mühe einer anspruchsvollen Ausbildung auf sich nehmen, wenn man danach sowieso arbeitslos wird? Oder Zeit und Geld in eine vermeintliche Lebenspartnerschaft investieren, wenn mehr und mehr Ehen per se kostspielig scheitern? Ökonomische Rationalität mag zwar „unmenschlich“ sein. Sie bewahrt aber davor, Lebenschancen zu wittern, die gar nicht vorhanden sind.
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