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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Die Rückkehr des Dichters

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Du bist ein Metaphysiker und genauso ein Beobachter von gesellschaftlichen Fluktuationen, Wandlungen und Stagnationen, die bis in Nervliche des Menschen hineinwirken“, schreibt der Theaterregisseur Luc Bondy, der viele Theaterstücke von Botho Strauß auf die Bühne brachte, in seinem vorige Woche in der Wochenzeitung Die Zeit veröffentlichten Geburtstagsbrief an den Freund Botho Strauß, der am 2. Dezember 60 Jahre alt wird. Strauß, dieser scharfe Beobachter mit seismographischem Gespür, ist dessenungeachtet bis heute ein „Feind des öffentlichen Lebens“ geblieben, obwohl er spätestens mit seinem „Bocksgesang“ zu einer festen Größe ebenjenes öffentlichen Lebens geworden ist. Zutreffend schreibt Stefan Willer in seiner im Jahre 2000 erschienenen Einführung über Botho Strauß, daß sich „jede auch nur oberflächliche Beschäftigung mit dem Schriftsteller Botho Strauß mit einer Formel konfrontiert sieht, die Standardassoziation, Etikett und Drohwort in einem ist: Anschwellender Bocksgesang“. Dieser Essay, der zunächst in einer gekürzten Fassung am 8. Februar 1993 im Hamburger Wochenmagazin Der Spiegel erschien, führte insbesondere in den Feuilletonspalten deutscher Zeitungen zu heftigen Reaktionen, die von entschiedener Ablehnung bis hin zu vorsichtig formuliertem Verständnis reichten. Das Ausmaß der Erregung, das Strauß bei der „kritisch-sozialen Intelligenz“ auslöste, kam nicht von ungefähr. Sein „Bocksgesang“ liest sich in der Tat in vielen Passagen wie eine Absage an die intellektuellen Konventionen der Bundesrepublik. So stellt Strauß fest, daß das „Unsere“ kein Gewicht mehr habe. Das „Unsere“, damit dürfte der deutschsprachige Anteil an der Kultur des Abendlandes gemeint sein, die für Botho Strauß von Homer bis Hölderlin reicht. Ohne Gewicht sei das „Unsere“, weil die „Hypokrisie der öffentlichen Moral“ die Demontage des „Unseren“ tolerierte oder gar mitbetrieb. Demontiert wurde und wird das „Unsere“, weil es mit „dem Bösen“ in Verbindung stehen soll, das Auschwitz angeblich erst ermöglicht habe. Deshalb, so Steffen Damm in seiner Dissertation über Botho Strauß („Die Archäologie der Zeit“, 1998), sei „der unbedingte, aufklärerische Wille zur Bewältigung der historischen Altlasten erste Bürgerpflicht“. Gegen diese Konvention soll Strauß nach Meinung vieler Kritiker aus dem linksliberalen juste milieu verstoßen haben. Vielen dieser Kritiker dürfte entgangen sein, daß Strauß keineswegs die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Vergangenheit zu relativieren sucht, sondern in erster Linie Gestus und Habitus der Wortführer kritisch reflektiert. Als Beispiel mag hier eine Passage aus dem (von der Kritik ebenfalls häufig mißverstandenen) Roman „Der junge Mann“ (1984) dienen, die im übrigen veranschaulicht, daß Strauß‘ „Bocksgesang“ in einer Kontinuität steht und keineswegs das Dokument einer grundsätzlichen intellektuellen Wende darstellt: „Denn hinter dem letzten Schergen des alten Regimes“, so schrieb Strauß damals, „strömte nun gleich die schlichte Nachwelt hinterdrein, quoll jene herrenlose Gesellschaft durch das Portal, welche vom bittersten Erbe des Frevlers (gemeint ist Hitler, d. V.) belastet, nämlich die unsere war, die ungefüge, die mutlose und unverschämte, die reiche und ausgezehrte, offene und heimtückische, verrückte und biedere, tatenlose und überbeschäftigte, freie und durch und durch befangene Gesellschaft.“ Sachwalter der Dauerbewältigung der jüngeren deutschen Geschichte war aus der Sicht von Strauß zunächst vor allem die deutsche Nachkriegsintelligenz und ihre, wie es Strauß nennt, „Thersites-Kultur“. Thersites, eine Figur aus der „Ilias“, aus niedrigem Geschlecht stammend und von der Oberschicht verachtet, war nach Homer der häßlichste Mann, der vor Troja kämpfte. Von dieser Art, so Strauß provokativ, seien die kulturellen Hervorbringungen der deutschen Nachkriegsintelligenz. Beispielhaft für das, was Strauß hier im Blick hat, dürfte die „Gruppe 47“ sein, deren primäres Anliegen die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und die Bestimmung der eigenen Position in der Gegenwart war. An die Stelle des Dichters, um dessen Wiedereinsetzung es Strauß vor allem zu tun ist, trat der „kritisch-soziale“ Aufklärer, für den Literatur letztlich nichts anderes als ein Mittel der Volkspädagogik ist. „Unablässig nur mit dem Ungeist beschäftigt“, so Strauß bereits Mitte der 1980er Jahre in einer allegorischen Schilderung über das geistige Klima in der Bundesrepublik, „hatten sie (die „kritisch-sozialen Aufklärer“, d. Verf.) selbst schon eine recht geisttötende Intelligenz um sich verbreitet und waren eigentlich nur noch in der Lage, Andersdenkende zu bezichtigen, aufzuspüren und zu umzingeln. Auf diese Musterdemokraten und Berufsantifaschisten waren zwei Gruppen zumeist jüngerer Menschen fixiert, die ihnen denn auch gleich auf dem Fuß folgten.“ Komplementär zu den „kritisch-sozialen Aufklärern“ ist eine volkspädagogische Therapieindustrie entstanden, die Strauß wie folgt charakterisiert hat: „Und neben dem Zug (der den „Kadaver des größten Frevlers und schlimmsten Deutschen“, also Hitlers, allegorisch zu Grabe trägt, d. Verf.), entlang aller Bereiche, verteilten sich die unzähligen Betreuer, Psychagogen, Animateure, die Sozialpfleger, der pädagogische Versorgungsdienst und andere wahre Stützen der Gesellschaft. Unzählig auch und allgegenwärtig: die Kaltschnauzen, das Mediengeschmeiß, die Epochen-Löcher, durch die die Zeit abfließt, blubbernd wie im Gully.“ Dieses Bild, das offen lassen muß, ob es sich hier um ein „karnevalistisches Zwischenspiel oder einen Kehraus für immer handelt“, illuminiert den „verklemmten deutschen Selbsthaß“, der heute am Ende der Überlieferungsgeschichte der „Negationen“ und des „Vaterhasses“ steht. Dieser Selbsthaß ist die „häßliche Frucht der Vereinigung eines verordneten mit einem psychopathischen Antifaschismus“. Dieser hat, in seiner „letzten Progenitur“, nicht nur „eine ziemlich aufgezehrte Substanz von Jugendlichkeit“ hervorgebracht, sondern auch den „brutalen Haß“ der Skinheads. Die „Schamverletzungen der anarcho-fidelen Erst-Jugend“, so Strauß, seien „nun von rechts beerbt worden“ – wobei die Jugendlichen von heute nichts anderes tun als die Generationen, die ihnen vorausgingen: Sie betreiben „Initiation durch Tabuzertrümmerung“. Diese Tabuzertrümmerung hat die in der abendländischen Geistesgeschichte angelegte Entwertung aller Werte in der Bundesrepublik erheblich forciert, die über die Zwischenstation Kulturrelativismus heute endlich beim Kulturnihilismus angelangt ist. Ob sich dieser Nihilismus, wie der Osnabrücker Soziologe Robert Hepp angemerkt hat, nun als „Postmodernität“, „Pluralismus“ oder „multikulturelle Gesellschaft“ manifestiert, ist im Grunde genommen nebensächlich. Botho Strauß beharrt in seinem Werk auf einem normativen Kulturbegriff, der in der Kontinuität der deutschen Geistesgeschichte steht. Der Dichter hat explizit betont, daß er ein „nationaler Schriftsteller“ sein wolle. „Außerhalb des Dichters“, so Strauß kategorisch in seinem Buch „Beginnlosigkeit“ (1992), „kann eigentlich nichts mehr deutsch sein.“ Dieses Selbstverständnis muß deshalb zwangsläufig mit ostentativer Widerständigkeit und Abgrenzung gegenüber der bundesdeutschen Kulturwüste einhergehen, in der mittlerweile alles gleich gültig ist. In dieser Abgrenzung liegt wohl für viele „Gegenwartsnarren“ (Strauß), die Strauß gerne des „ästhetischen Fundamentalismus“ oder des „Elitismus“ bezichtigen, der eigentliche Stein des Anstoßes. Zu hoffen bleibt, daß Strauß noch viele weitere Jahre ein Stein des Anstoßes bleiben wird. Michael Wiesberg veröffentlichte 2002 in der Edition Antaios die Monographie „Botho Strauß. Dichter der Gegen-Aufklärung “ (JF 5/03). Foto: Schriftsteller Botho Strauß: Die Entwertung aller Werte ist heute in Deutschland bei einer Form von Kulturnihilismus angelangt

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