Deutschland wird inzwischen nicht nur „am Hindukusch“ verteidigt – das mögliche Ein-satzgebiet für die Bundeswehr sei inzwischen „die ganze Welt“. So ließen sich Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) und der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, am Dienstag vergangener Woche in einer Pressekonferenz vernehmen. Deshalb müßten die bisher nicht vorhandenen Teilfähigkeiten der Bundeswehr wie „strategische Verlegung, weltweite Aufklärung sowie leistungsfähige und interoperable Führungssysteme und -mittel“ mit Priorität hergestellt werden. Die Bundeswehr sei entsprechend in Eingreif-, Stabilisierungs- und in Unterstützungskräfte zur Unterstützung aller Einsätze und für den Grundbetrieb der Bundeswehr umzustrukturieren. Etwa zeitgleich sickerte durch, daß Bundeskanzler Gerhard Schröder sich zumindest ein „humanitäres Engagement“ Deutschlands im Irak nun plötzlich doch vorstellen könne. In Kreisen der Nato wurde diese Wendung laut FAZ „mit großer Aufmerksamkeit“ zur Kenntnis genommen. Diese Äußerung sei als ein erstes Signal für eine Änderung der bisher strikt ablehnenden deutschen Haltung gewertet worden. Die veränderte französische Einstellung, so die Mutmaßungen, könnte in der rot-grünen Bundesregierung die Befürchtung ausgelöst haben, bei Beibehaltung der bisherigen Position bald alleine dastehen zu können. Von dem im letzten Jahr heftig diskutierten „deutschen Weg“, mit dem die deutsche Weigerung, aktiv am Irak-Abenteuer der USA teilzunehmen, entweder verklärt oder als vermeintliche Rückkehr zum „deutschen Sonderweg“ verdammt wurde, ist zu Jahresbeginn 2004 wenig mehr als nichts übriggeblieben. Kanzler Schröder, der beispielsweise von dem Politologen und Brandt-Biographen Gregor Schöllgen (siehe JF 42/03) deshalb zum Visionär heraufgeschrieben wurde, weil er den USA im Vorfeld des Irak-Krieges „die Stirn bot“, ist wieder auf Normalmaß geschrumpft. Und schon gar nicht mehr ist die Rede von einer Achse Paris-Berlin-Moskau als Gegengewicht zur „einzigen Weltmacht“. Die deutsche Außenpolitik – deren Notwendigkeit von maßgeblichen „intellektuellen Kreisen“ in Deutschland, allen voran aber von dem amtierenden grünen Außenminister Joseph Fischer in Frage gestellt wird, der bestenfalls noch „europäische Interessen“ kennen will – ist wieder in ihren Objektcharakter zurückgefallen. Objektcharakter meint hier den weitgehenden Verzicht auf souveräne Entscheidungen. Ein Staat kann nach den Worten des Staatsrechtlers Carl Schmitt dann nicht mehr als souverän bezeichnet werden, wenn er entweder auf eine eigenständige Bestimmung der Feindes verzichtet oder sich von einer internationalen Organisation oder einem anderen Staat vorschreiben läßt, wer sein Feind zu sein hat. In die „Sphäre des Politischen“ trat Deutschland vorübergehend wieder ein, als es im Hinblick auf einen möglichen Krieg gegen den Irak seine Interessen selbst definierte und danach handelte. Allerdings gehen die Auffassungen darüber, was denn nun diese „deutschen Interessen“ im einzelnen genau sein sollen, weit auseinander. Die Auskünfte, die in diesem Zusammenhang erteilt werden, drehen sich in der Regel um vier angeblich „überragende“ Topoi: die „europäische Integration“, das „transatlantische Verhältnis“, die „Einbindung Rußlands“ und die Verhinderung von kriegerischen Konflikten in und um Europa. Nun hat der zurückliegende Irak-Krieg gezeigt, daß sowohl das „transatlantische Verhältnis“ als auch das Verhältnis zu den angeblichen Freunden in Europa nur dann ohne Irritationen bleiben, wenn sich Deutschland mehr oder weniger bereitwillig in die Rolle des politischen Objekts fügt. Diese Rolle soll, so die offiziöse Sicht, vor allem deshalb vorteilhaft sein, weil Deutschland ökonomisch profitiere. Die hinter dieser Sicht durchscheinende „Ökonomisierung des Politischen“, von der der 1998 verstorbene griechische Philosoph Panajotis Kondylis sprach, bedeutet heute die „Verflechtung des politischen Begriffs des Gemeinwohls mit ökonomischen Fragen vor dem Hintergrund einer massenhaft produzierenden und … konsumierenden Gesellschaft“. Allerdings hat diese „Ökonomisierung des Politischen“ nach Kondylis bisher weder die „souveräne Alleinherrschaft des Ökonomischen“ noch „den Fortfall des Politischen“ herbeigeführt. Statt dessen befänden wir uns heute in einem Zustand, bei dem sich „Politik ständig und systematisch mit ökonomischen Fragen befassen“ müsse. Das Ökonomische stehe im „Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit“. Entsprechend werden die politischen Eliten in ihrer Leistung nicht zuletzt aufgrund der Ergebnisse ihrer Tätigkeit im Hinblick auf die Wirtschaft beurteilt. Globalisierung zerstört die Fundamente von Nationen Die „Ökonomisierung des Politischen“ verschränkt sich mit der Unterwerfung politischen Handelns unter bestimmte Normen, die „universelle Anerkennung“ beanspruchen. Diese Normen definierten Mächte, so schreibt Kondylis, die planetarische Politik in dieser oder jener Intensität treiben könnten. Damit sind die zwei Hauptdeterminanten heutiger deutscher Außenpolitik identifiziert: einmal das Primat des Ökonomischen, mit dem ein weitgehender Verzicht auf souveräne politische Entscheidungen begründet wird, und zum anderen die Unterwerfung unter „universelle Normen“, die von den „Subjekten planetarischer Politik“, also insbesondere den USA, festgelegt werden. Nirgendwo zeigen sich die Folgen dieser Politik dramatischer als bei der Bundeswehr, die von einer Armee, deren Auftrag sich auf die Landesverteidigung bezog, zu einer global agierenden „Eingreiftruppe“ zur Durchsetzung „universeller Normen“ (sprich: fremder Interessen) herabgewürdigt worden ist. Angesichts dessen müßte die Gelöbnisformel – „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen!“ – konsequenterweise abgeändert werden. Nun wird immer wieder darauf verwiesen, daß diejenigen das Wesen der Globalisierung mißverstünden, die von einem Fortbestand des Politischen ausgingen. Mit der Globalisierung habe ein schleichender Prozeß der Aushöhlung des Politischen eingesetzt, die letztlich auch den Staat erfasse und erodiere. Dieser Prozeß zerstöre diejenigen Fundamente, auf denen Nationen und Völker bisher fußten. Der Zeitgeschichtler Rolf Peter Sieferle von der Universität Mannheim sprach 1994 in seinem Buch „Epochenwechsel“ davon, daß der Globalisierungsprozeß dem Nationalstaat immer mehr die Verfügungsmacht über die für seine Existenz wesentlichen Bedingungen entwinde. Die relevanten ökonomischen Strukturen würden entterritorialisiert und entnationalisiert. Diese Strukturen formierten sich zu einem globalen Netzwerk, das sich einer nationalen Steuerung entziehe. Dieser Verlust wirtschaftlicher Autarkie zieht zwangsläufig den Verlust politischer Souveränität nach sich. Dies gilt im übrigen für Europa insgesamt, das aufgehört hat, der Motor der Weltgeschichte zu sein. Vor diesem Hintergrund wäre die EU jene „kollektive Einheit“, die im Ringen um die knappen Ressourcen die Rolle der Nation übernehmen müßte. Hier läge nun die vorrangige Interessensphäre deutscher Außenpolitik. Interessenwahrnehmung hieße, der EU einen deutschen Stempel aufdrücken zu wollen. „Stempel aufdrücken“ bedeutet in diesem Zusammenhang natürlich mehr als die Alimentierung Süd- und Osteuropas mit deutschen Finanztransfers -die dann aus „Dankbarkeit“ doch im Zweifel an der Seite der USA und Großbritanniens stehen, wie vergangenes Jahr die Haltung von Spanien, Portugal, Polen oder Ungarn zum Irak-Krieg offenbart hat. Deutsche Außenpolitik müßte statt dessen darauf hinwirken, zumindest im europäischen Raum politisches Subjekt zu werden. Bei einer politischen Klasse, für die es im Grunde keine deutsche Außenpolitik mehr gibt, erübrigen sich derartige Gedanken freilich von selbst.