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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Vertrauen ist gut, Kontrolle aber besser

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Alfredo mißt mindestens einen Meter neunzig, und wenn sein schwarzes Gesicht lacht, entblößen die Lippen eine Reihe strahlend weißer Zähne. Er arbeitet als Barkeeper in einem der vielen kubanischen Hotels, in denen Spanier, aber auch zahlreiche Deutsche, Italiener und Engländer ihre Ferien verbringen. In diesem Augenblick sitzen nur noch wenige Gäste an der Theke, denn die Bar hat seit einer Viertelstunde geschlossen, und Alfredo wartet ungeduldig darauf, daß die extranjeros endlich gehen, damit er seinen Feierabend antreten kann.

Und dann geschieht ganz beiläufig etwas – der baumlange Barkeeper dreht sich um, verdeckt mit seinem breiten Rücken das, was seine flinken Hände nun bewerkstelligen: Sie greifen nach einer Whiskyflasche und füllen zwei Fingerbreit des Inhalts in eine kleinere Flasche um. Wir sind soeben Zeuge einer merma geworden, so nennt man auf Kuba den plötzlichen Schwund von staatlichem Eigentum zugunsten des privaten, und der sympathische Alfredo ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall.

In den Devisenläden wird mit Dollar statt Pesos bezahlt

Während er den Whiskybestand von Fidel Castros sozialistischem Regime minimiert, schnappt sich sein Freund, der als Koch Zugang zu den Lebensmittelbeständen des Hotels hat, ein halbes Hühnchen und ein ordentliches Stück Schweinefleisch, um es nach Hause zu schmuggeln.

"Man geht davon aus, daß jeder Angestellte, der im touristischen Sektor arbeitet, jeden Tag Waren im Wert von durchschnittlich zwei Dollar für sich, seine Familie und seine Freunde abzweigt", erklärte ein spanischer Geschäftsmann der angesehenen Madrider Tageszeitung El País, die der alltäglichen Korruption auf der Karibikinsel einen langen Artikel gewidmet hat.

Der Geschäftsmann, der seit vielen Jahren auf Kuba arbeitet und die Verhältnisse der verlotterten Insel-Republik kennt, verkehrt normalerweise im Meliá-Cohiba-Hotel, einer Nobelherberge mit fünf Sternen. "Hier arbeiten etwa 500 Bedienstete, und wenn die Zahl von zwei Dollar tatsächlich stimmt, dann kann man sich vorstellen, welchen immensen Schaden der kubanischen Wirtschaft Tag für Tag allein in diesem Hotel zugefügt wird." Und dann erklärte er: "Der Diebstahl öffentlichen Eigentums und die Korruption sind für das herrschende System eine sehr viel größere Bedrohung als die USA, die von Florida aus die Zähne fletschen."

Vierzig Jahre sozialistischer Mangelwirtschaft haben die Fantasie der Kubaner so richtig auf Trab gebracht, und findig wie sie sind, sind auch die Einfälle, das System zu überlisten. Unter dem Titel "Ali Baba kommt aus dem Geschäft" veröffentlichte die Zeitschrift Bohemia eine ausführliche Reportage, und das Panorama, das sie vor dem Leser ausbreitet, spricht Bände.

So stehen in der Nähe der staatlichen Devisenläden (Tiendas de Recaudación de Divisas/TRD), in denen man nicht mit dem heimischen Peso, sondern nur mit US-Dollar oder Euro einkaufen kann, Männer, die potentiellen Kunden Fernsehgeräte, Kühlschränke, Möbel und andere Waren anbieten, um dann mit verschwörerischer Stimme zu flüstern: "Die gleichen Waren wie im Geschäft, aber bei mir gibt es sie billiger." Geschäftsführer verteuern willkürlich das Angebot, um für sich selbst noch etwas herauszuschlagen, oder Kaufwillige in die Arme von Komplizen zu treiben.

Daß es so nicht weitergehen konnte, hat inzwischen auch die Regierung begriffen. In einer großangelegten Kampagne und mit zahlreichen Kontrollen versucht sie dem Krebsgeschwür der Korruption zu Leibe zu rücken, das sich immer tiefer in die kubanische Gesellschaft frißt und die Revolution zu ersticken droht. Nach dem vorliegenden Zahlenmaterial wurden von Januar bis Oktober letzten Jahres 316.000 Kontrollen durchgeführt – Schwerstarbeit für Polizisten, Parteifunktionäre und Blockwarte, die in jeder Stadt und in jeder Siedlung zu finden sind und die wie kaum ein anderer über die täglichen Gewohnheiten der Menschen Bescheid wissen.

Die Kontrolleure wurden fündig: Sie entdeckten 181 illegale Werkstätten, 525 heimliche Fabriken, die vorzugsweise gestohlene staatliche Rohstoffe weiterverarbeiteten, 315 Lagerstätten, die am Gesetz vorbei Kaufhäuser belieferten. Die Kontrollen galten aber auch offiziellen Firmen, deren Buchhaltung man untersuchte. So wurden vom 3. bis 14. November 11.000 Büros überprüft, und das Ergebnis, das dabei herauskam, ist niederschmetternd – über ein Drittel arbeitete "schlecht oder mangelhaft".

Es fehlt an Medikamenten, Ersatzteilen und Erdöl

Während die Kampagne bis in die Gegenwart weiterläuft und versucht, die Menschen nach ihrem sozialistischen Vorbild zu formen, so daß sie ihren Egoismus ablegen und sich ausschließlich dem allgemeinen Wohl verpflichtet fühlen, rollten Anfang des Jahres Köpfe. Das ist nicht wörtlich zu nehmen, denn Todesstrafen werden vom Castro-Regime vor allem dann verhängt, wenn Kubaner die tägliche Mangelwirtschaft nicht mehr aushalten und gewaltsam den Weg ins Freie suchen. So wurden vor ziemlich genau einem Jahr drei Kubaner standrechtlich erschossen, die eine Fähre gekapert hatten, um in die USA zu flüchten.

Nach Angaben der Zeitschrift Bohemia mußten infolge des großen moralischen Reinemachens 450 leitende Funktionäre und schätzungsweise 1.900 Angestellte ihren Hut nehmen, 1.500 sogenannte Arbeitszentren erhielten als Strafe für gesetzeswidriges Verhalten und Schlamperei drei Monate lang keinerlei staatliche Unterstützung mehr.

Ob der harte Kurs der Regierung, der sich an dem leninistischen Grundsatz orientiert, daß Vertrauen zwar gut, Kontrolle aber besser sei, langfristig zum Erfolg führt, ist fraglich, denn die katastrophale wirtschaftliche Lage macht die Menschen von Tag zu Tag unzufriedener. Es fehlt fast an allem – an Medikamenten, an Ersatzteilen für Maschinen und Autos, an Erdöl und an einer ausreichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln vor allem der Menschen, die in der Stadt leben.

Hoffnungslosigkeit und Armut haben auf der Karibikinsel zu einem weiteren sichtbaren Symptom gesellschaftlichen Verfalls geführt – der Prostitution. War die Regierung Fidel Castros vor 40 Jahren mit dem Anspruch angetreten, den käuflichen Sex aus dem Straßenbild Havannas und anderer Städte zu verbannen, so kehrt er jetzt mit den Touristenströmen aus Europa zurück.

Im spanischen Fernsehen konnte man unlängst ein Video sehen, das in Hotels und in Diskotheken mit versteckter Kamera aufgenommen worden war. Wer auf ein entsprechendes Abenteuer aus war, dem boten sich genügend Möglichkeiten, sich mit einer der vielen jineteras (Reiterinnen, wie sie auf Kuba genannt werden) zu treffen.

Sex-Tourismus nicht nur im fernen Thailand, sondern auch im sozialistischen Inselparadies Kuba, das dürfte das letzte sein, was sich die Heroen der glorreichen Revolution von 1959 gewünscht haben. Aber das starre Festhalten an einer vollkommen maroden Wirtschaftsordnung, die seit 1989 von der Geschichte klar widerlegt worden ist, läßt die Menschen nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel werden, um sich dennoch den einen oder anderen materiellen Vorteil zu ergattern.

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