Konfetti lag bunt unter dem Fürstenzug im wieder aufgebauten historischen Zentrum Dresdens. Ein Dutzend jugendlicher Punker spielte Karneval und stieß fröhlich mit Sekt an. Wenige hundert Meter entfernt, am „Haus der Presse“ zog derweil ein ganz anderer Demonstrationszug entlang. An seiner Spitze marschierten Mitglieder der ehemaligen Jugendorganisation der Landsmannschaft Ostpreußen, Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO). Eine Organisation, der der Verfassungsschutz rechtsextreme Tendenzen nachsagt. Diesem Zug schlossen sich knapp tausend Dresdner an. Schließlich bekundeten die von der JLO mitgeführten Plakate das, was die Bewohner der Elbmetropole genauso empfanden: Nie wieder Krieg und das trauernde Gedenken an die zigtausend Toten des alliierten Bombenangriffs, der das alte Dresden vor 58 Jahren – wenige Wochen vor Kriegsende – sinnlos in Schutt und Asche versinken ließ. Der 13. Februar 2003 war aber anders als die Gedenktage vorangegangener Jahre. Für die Dresdner war jeder Jahrestag der Zerstörung ihrer Stadt ausschließlich ein Tag der stillen Trauer. Das bekamen sowohl der SED-Staat als auch sogenannte Andersdenkende zu spüren, die die vor der Ruine der Frauenkirche Versammelten für ihre jeweilige Sache zu mobilisieren versuchten. Was den Einheitssozialisten und ihrer blauuniformierten Jugendorganisation seinerzeit nie gelungen war, wird jetzt mehr und mehr traurige Wirklichkeit. Der 13. Februar und das an diesem Tag seit Jahrzehnten übliche Anzünden von Kerzen an der Ruine der jetzt weitgehend wiederaufgebauten Frauenkirche, das stille Gedenken an die Opfer des Krieges wird instrumentalisiert, wird von extremistischen Gruppierungen für ihre Ziele mißbraucht. Zwar legten auch an diesem Tag mehrere hundert Menschen traditionell auf dem Heidefriedhof, wo die meisten der Bombenopfer ihre letzte Ruhe fanden, Kränze nieder. Auch verneigten sich am Ehrenhain nicht nur der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt und Landtagspräsident Erich Iltgen (beide CDU), sondern auch der US-amerikanische Botschafter Daniel Coats sowie Vertreter Großbritanniens und Frankreichs. Und wie immer versammelten sich am Abend die Christen zu einem ökumenischen Gottesdienst, der diesmal in der katholischen Hofkirche stattfand. Gleichzeitig glich Dresden aber einer belagerten Stadt. Mehrere Polizeihundertschaften hatten in der Innenstadt Position bezogen. Überall standen Einsatzfahrzeuge der Sicherheitskräfte, darunter sogar gepanzerte Wasserwerfer. Angesichts von Demonstrationsankündigungen sowohl vom linken als auch vom rechten Spektrum der Gesellschaft befürchteten die Stadtväter das Schlimmste. Vorsorglich hatte das Rathaus mit Ausnahme der offiziellen Gedenkfeier und der von der JLO angemeldeten Demonstration alle Veranstaltungen der Allgemeinverfügung verboten. Begründet wurde diese Maßnahme mit „einer besonders schutzwürdigen religiösen und traditionellen Veranstaltung, die die stille Trauer um die Bombenopfer in den Mittelpunkt rückt“. Derweil braute sich im Internet Unheil zusammen. Nach der Mitteilung der JLO, sich gegen 18.30 Uhr hinter der Semperoper zu einem Trauermarsch unter dem Motto „Gegen das Vergessen“ zu versammeln, riefen linksextremistische Autonome zu einem „Karneval kontra Geschichtsrevisionisten und Neofaschisten“ auf. Sie kündigten an, „inmitten des Dunstes von Betroffenheitsgetaumel und deutschen Selbstmitleids“ andere Akzente setzen zu wollen. Wie diese aussehen, war am Abend gegen 21.45 Uhr am Lennéplatz zu erleben. Zur selben Zeit, in der alle Glocken der Stadt läuteten und die Gottesdienste zu Ende gingen, stürmten rund 70 Autonome eine von mehr als hundert Personen besetzte Straßenbahn. „Ein wahrer Hagel von Steinen demolierte die Bahn komplett“, berichtete ein Polizeioffizier. Nahezu alle Scheiben seien zu Bruch gegangen. Erst nach einem 30minütigen Einsatz hatten die Sicherheitskräfte die Situation wieder im Griff. 18 der Angreifer wurden in Gewahrsam genommen. „Wenn Linksautonome die friedlich vor der Frauenkirche Versammelten erst verhöhnend mit Konfetti bewerfen und später eine Straßenbahn, in der Menschen sitzen, mit einem Hagel von Steinen zertrümmern, demonstrieren sie, was sie unter Frieden verstehen“, empörte sich der CDU-Landtagsabgeordnete und frühere sächsische Innenminister Heinz Eggert in seiner Kolumne in der Morgenpost am Sonntag. Engagement für den Frieden sei aber nicht durch politische Trittbrettfahrer von links oder rechts zu entwerten. Eggert mochte es als Vater der polizeilichen Spezialgruppe Soko Rechtsextremismus besonders schmerzen, daß ausgerechnet vor den Toren seines ehemaligen Amtssitzes eine Kundgebung abgehalten wurde, auf der der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt und Reinhard Rupsch (Republikaner) zu mehr als tausend Demonstranten sprachen. Die Mehrheit der Dresdner versuchte, sowohl die Einvernehmungsversuche von linker wie von rechter Seite zu ignorieren. Sie zogen sich in ihre Wohnungen zurück. Angesichts der sich abzeichnenden Auseinandersetzungen zwischen Extremisten und Staatsmacht verzichtete ein nicht kleiner Teil der Einheimischen, an diesem Abend überhaupt in die Innenstadt zu kommen. Sie öffneten dafür um 21.45 Uhr, dem Zeitpunkt des ersten Bomberangriffs auf die barocke Stadt an diesem Schicksalstag des Jahres 1945, die Fenster ihrer Wohnungen, um den Glocken zu lauschen. Diese läuteten genau eine Viertelstunde. Foto: Gedenken an die Opfer der Dresdner Bombennacht auf dem Heidefriedhof: „Karneval kontra Geschichtsrevisionisten und Neofaschisten“