Herr Kuhl, welche Rolle spielen Sie in der Affäre um die Finanztransaktionen, die Jürgen W. Möllemann vergangenes Jahr in Bedrängnis gebracht haben? Kuhl: Dazu möchte ich nichts sagen, weil ich mich zu einem laufenden Verfahren nicht äußere. Welche Konsequenzen hatte Möllemann mit Blick auf eine etwaige Verurteilung befürchtet? Kuhl: Es lief ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen ihn und andere. Nach meinem Kenntnisstand wäre er da mit einer Geldbuße herausgekommen. Hat er nicht gefürchtet, eine Haftstrafe zu erhalten? Kuhl: Nicht daß ich wüßte. Das Problem war wohl vielmehr, daß er sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, daß er härter verfolgt werden würde als vergleichbare oder gar schwerwiegendere Fälle. Angeblich waren bei Möllemann keine Anzeichen für einen geplanten Selbstmord festzustellen. Sie haben ihn Stunden vor seinem Tod zuletzt gesehen, ist Ihnen tatsächlich nichts aufgefallen? Kuhl: Nein, wir haben am Mittwoch, also am Tag zuvor, noch zusammengesessen und Zukunftspläne geschmiedet. Wir wollten beide im August Urlaub machen und dann durchstarten. Durchstarten? Kuhl: Er wollte bis dahin seine endgültige Entscheidung hinsichtlich der Gründung einer neuen Partei treffen. Wir hatten inzwischen 60.000 Adressen von Menschen, die sich an uns gewandt hatten, gesammelt. Das entspricht ungefähr der Mitgliederzahl der FDP. All diese Menschen haben uns aufgefordert, eine neue Partei zu gründen. Zudem versicherten uns viele, die noch in der FDP waren, daß sie zu uns kommen wollten, wenn das Projekt soweit gediehen sei. Und auch aus den anderen Parteien haben wir mit Zugängen gerechnet. Wolfgang Kubicki, FDP-Chef in Schleswig-Holstein, behauptet, daß Möllemann lediglich geplant habe, mit Teilen der zerstrittenen Thüringer FDP einen einzigen Landtagswahlkampf – noch nicht einmal selbst als Kandidat – zu bestreiten. Kuhl: Darüber war noch nicht endgültig entschieden, es stand Spitz auf Knopf. Richtig ist, daß gerade Thüringen in all unseren Überlegungen eine besondere Rolle gespielt hat. In Thüringen gab es sehr viele begeisterte Menschen, die mit Möllemann einen neuen Schritt wagen wollten. Dort wäre es bei den Landtagswahlen 2004 für uns wohl relativ leicht gewesen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Was haben Sie konkret geplant? Kuhl: Die Struktur einer neuen Partei und die Wahltermine hatten wir bereits weitgehend analysiert. Was wären die politischen Inhalte gewesen? Kuhl: Vor allem Bildungs- und Gesundheitspolitik, Wirtschaft und Arbeit. Damit kann man sich nicht wirklich von den Etablierten abheben, sollte es kein politisches Alleinstellungsmerkmal geben? Kuhl: Darüber haben wir nachgedacht. Zu welchem vorläufigen Ergebnis sind Sie damals gekommen? Kuhl: Das erfahren Sie, wenn die neue Partei doch noch gegründet wird. Eine Möllemann-Partei ohne Möllemann? Kuhl: Zugegeben, das ist schwierig, aber angesichts des Zuspruchs aus der Bevölkerung nicht undenkbar. Wir verzeichnen derzeit täglich über 10.000 Besuche auf unserer Internetseite! Wer könnte der personelle Kristallisationspunkt werden? Kuhl: Kein Kommentar. Ein Quereinsteiger oder ein prominenter FDP-Übertreter? Kuhl: Kein Kommentar. Wußte die FDP-Spitze von diesen Planungen, und hatte sie Angst davor? Kuhl: Wenn man bedenkt, wie oft die Neugründung dementiert worden ist und wie oft ihr der Mißerfolg vorausgesagt wurde, dann glaube ich durchaus, daß die FDP-Spitze Angst vor unseren Planungen gehabt hat. Wie stehen Sie zu der These, die Partei habe Möllemann in den Tod getrieben? Kuhl: Das ist für mich persönlich eine schwierige Frage. Auch wenn sich die Argumente verdichten, daß es ein Selbstmord war, dann möchte ich daran nicht glauben. Ich will Jürgen Möllemann so in Erinnerung behalten, wie ich ihn gekannt habe. Ich glaube deshalb lieber an einen Unfall. Sollte es aber tatsächlich Selbstmord gewesen sein, dann trägt die Partei natürlich eine große Mitschuld. Er hat die FDP immer als seine liberale Familie angesehen. Bringt sich ein Macher wie Jürgen Möllemann um, weil die politische Karriere scheitert? Kuhl: Ich denke nicht. Aber man weiß auch nie, was in einem Menschen vor sich geht. Für wie plausibel halten Sie die Mordthese, die seit Möllemanns Tod herumspukt? Kuhl: An Mord wage ich gar nicht zu denken. Ich weiß, daß es eine Anzeige wegen Mord gibt, und man bezieht sich da auf irgendwelche Mitarbeiter von Möllemann. Ich kann dazu nichts sagen, und ich habe dazu bislang auch keinerlei Äußerung gemacht. Hat Möllemann sich in irgendeiner Form bedroht gefühlt? Kuhl: Nein. Was meinte Wolfgang Kubicki, als er bei der Trauerrede Freitag letzter Woche sagte, er sähe sich gezwungen, „zu der Überzeugung kommen zu müssen“, daß es sich um einen Freitod handelt? Kuhl: Ich weiß nicht, ich habe zwar diese Sätze selbst vor Ort gehört, aber mir ist nicht klar, was Kubicki meint. Ich weiß nur, da ich selbst Fallschirmspringer bin, was dabei passieren kann. Und ich möchte an einen Unfall glauben. Warum wurde Hans-Dietrich Genscher zur Beerdigung eingeladen, nach allem, was Möllemann über ihn in seinem Buch „Klartext“ geschrieben hat? Kuhl: Das war wohl ein Schritt, den Carola Appelhoff-Möllemann aus Respekt vor der langen Freundschaft ihres Mannes mit Genscher getan hat. Trotz aller Kritik hat Möllemann immer wieder davon gesprochen, daß er Genschers außenpolitisches Verdienst hoch achtet und ihn als Vater der deutschen Einheit und eines geeinten Europas sieht. Er wollte nie, daß dieser Nimbus Schaden nimmt. Seit dem Tod Möllemanns soll es reihenweise Austritte aus der FDP geben. Kuhl: Ja, mir wurde von vielen ehemaligen Parteifreunden – ich bin ja seit Anfang 2003 nicht mehr Mitglied – mitgeteilt, daß sie jetzt aus der FDP ausgetreten sind. Am Freitag zum Beispiel – am Tag der Beerdigung von Jürgen Möllemann – ist der Vorsitzende des FDP-Kreisverbandes Hamm ausgetreten. Ebenfalls Ludger Stratmann, ein bekannter Kabarettist mit einer eigenen Fernsehsendung. Warum treten diese Leute jetzt aus der Partei aus, schließlich hat es durch den Tod Möllemanns keine politische Veränderung in der FDP gegeben? Kuhl: Dennoch war sein Tod ausschlaggebend, aber ebenso die Haltung, die Guido Westerwelle dabei an den Tag gelegt hat. Der hatte ihn doch schon im vergangenen Oktober fallengelassen. Kuhl: Am Tag nach dem Tod Möllemanns wollte der Bundesvorsitzende noch einen Staatsakt beantragen. Am Montag darauf hieß es nur noch, man würde sich dem nicht entgegenstellen. Das sind Dinge, die einfach nicht zusammenpassen. Man gewinnt den Eindruck, als habe die FDP aus dem Staatsakt noch politisches Kapital schlagen wollen. Wenn jetzt so viele Vertreter der unteren und mittleren Funktionärsriege der Partei austreten, dann stellt sich die Frage, wie Möllemanns politische Basis im vergangenen Herbst so schnell zusammenbrechen konnte. Schließlich war doch ein Großteil der FDP in NRW auf seiner Seite. Kuhl: Es war bekanntlich nicht der Druck aus NRW, sondern der aus Berlin, der zum Ende seiner Parteikarriere geführt hat. Ich glaube, er wollte aber auch durch den ersten Rücktritt als stellvertretender Bundesvorsitzender deutlich machen, daß er für das Ergebnis bei der Bundestagswahl einen Teil der Schuld auf sich nimmt. Der Rücktritt als Landesvorsitzender kam dann erheblich später. Der nächste logische Schritt, nämlich der Austritt aus der Landtagsfraktion, ist dann nicht erfolgt. Statt dessen hat es mehrere Abstimmungen gegeben, die Möllemann alle gewonnen hat. Wie beurteilen Sie Möllemanns Nachfolger als FDP-Landesvorsitzender, Andreas Pinkwart? Kuhl: Ich kenne ihn aus meiner früheren Arbeit recht gut. Meiner Ansicht nach ist er nicht der Mann, der die NRW-FDP nach vorn bringen kann. Und zudem ist er der Mann, dem Möllemann das Parteiausschlußverfahren zu verdanken hat. Das war es, was ihn besonders tief getroffen hat. Wenn ich mir dann gleichzeitig die Todesanzeige des FDP-Landesverbandes in Erinnerung rufe, dann stehen mir nur die Haare zu Berge. Da feiert man ihn als einen der Besten, welche Heuchelei! War Möllemann denn wirklich jener Rächer am Establishment, als der er sich zuletzt gerierte? Kuhl: Nun, er war ein Kämpfer, bis zum Schluß. „Kämpfen, Jürgen, kämpfen!“ Das sind die Worte von ihm, die ich noch immer im Kopf habe. Er war doch kein Rebell, war er nicht nur ein aus dem Nest gefallener Etablierter? Kuhl: Ganz und gar nicht, denken Sie nur an seine Zeit als Bildungspolitiker oder als Wirtschaftsminister, stets hat er mit neuen Ideen viel weitreichendere Ziele bewältigt als andere. Ihm ist es gelungen, einen populistischen Stil zu entwickeln, weit entfernt von den Inhalten der Rechtspopulisten. Erinnern Sie sich, wie er Bildungs- und Verkehrspolitik im NRW-Landtagswahlkampf populistisch aufbereitet hat, ohne dabei politische Schlagseite zu bekommen? Hat er je etwas über die unverhältnismäßig starke mediale und moralische Stellung des Zentralrats der Juden in Deutschland gesagt? Kuhl: Nur im privaten Kreis. Und was hat er da gesagt? Kuhl: Das war privat. Die vielen Bürger, die Möllemann so begeistert geschrieben haben, haben dies doch nicht wegen seiner Position zum Nahostkonflikt getan, sondern weil er gewagt hat, etwas zu sagen, was sie nie zu sagen gewagt hätten. Kuhl: Er trat dafür ein, daß es in einer freiheitlichen deutschen Demokratie künftig eine andere Diskussions- und Streitkultur gibt. Einerseits beschwerte er sich, ins rechte Eck gestellt zu werden, andererseits belegte er Schill und dessen Partei selbst mit diesem Vorwurf. Ist das nicht unredlich? Kuhl: Wer scharf angeschossen wird, der schießt auch scharf zurück – so ist das in der Politik. Hans-Joachim Kuhl ist seit Dezember 2002 Leiter der Büros von Jürgen W. Möllemann in Berlin und Düsseldorf. Der ehemalige FDP-Landtagsabgeordnete und Landesgeschäftsführer der Partei in NRW verließ die Freien Demokraten Anfang 2003. Zusammen mit Möllemann organisierte er die Gelder für das umstrittene Scharon/Friedman-Flugblatt für den Bundestagswahlkampf im vergangenen Herbst. Geboren wurde der ehemalige Werkzeugmacher und Berufsfeuerwehrmann 1949 in Krefeld. Foto: Kuhl, Möllemann (2002): „Die FDP-Spitze hatte Angst vor unserer Planung“ weitere Interview-Partner der JF
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