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Marc Jongen, ESN Fraktion

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Totgesagte leben länger. Schon oft hatte man Udo Lindenberg abgeschrieben. Sein groß angekündigtes Comeback mit dem „Exzessor“ vor zwei Jahren verlief im Sande. Er wechselte häufig die Plattenfirmen und war zuletzt mehr als platter Antifa-Agitator wahrzunehmen, denn als Sänger, Komponist und Arrangeur hochwertiger deutscher Rockmusik. Dies soll sich jetzt ändern, denn Udo – inzwischen auf die 60 zugehend – hat erstmals seit 1987 („Feuerland“) eine neue Rockrevue inszeniert. „Atlantic Affairs“ heißen Album (BMG-Berlin), Film und Liveprogramm, mit denen Lindenberg Lieder von Künstlern, die während des Dritten Reiches Deutschland verlassen mußten, den Fans ins Gedächtnis zurückruft. Seit Beginn seiner Karriere verbeugt sich der Hamburger Paniker häufig mit Rockfassungen von Schlagern der zwanziger und dreißiger Jahre vor den großen Komponisten und Textern vergangener Zeiten. So gab es schon 1973 eine knackige Fassung von „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“; 1981 verrockte er „Kann denn Liebe Sünde sein“ in vorzüglicher Manier. Gleiches geschah 1985 mit „Ich brech‘ die Herzen der stolzesten Frauen“, bevor er 1988 mit „Hermine“ erstmals ein ganzes Album mit Gassenhauern, Operettenmelodien und Schlagern der zwanziger Jahre veröffentlichte. Auch „Atlantic Affairs“ beinhaltet, von vier Ausnahmen abgesehen, neue Versionen von Klassikern des deutschen Liedgutes, denen Lindenberg, gemeinsam mit Studiomusikern und vielen Gästen, ein frisches Gewand verleiht. Die Aktualisierung dieser einst eher sanften Lieder und Schlager gelingt Lindenberg oft – aber nicht immer paßt das Arrangement des Jahres 2002 zu den ursprünglichen Kompositionen. Sehr gelungen ist zum Beispiel die Neufassung der Paul-Abraham-Komposition „Bin nur ein Johnny“, der Lindenberg ein für ihn typisches, melancholisches Rockgewand verleiht: Helge Schneider bläst das Saxophon und Lindenberg nölt wie in seinen besten Tagen. Auch „Kannst Du pfeifen, Johanna“, zuletzt von Ralph Bendix Ende der sechziger Jahre zu einem Hit gemacht, kommt ironisch und „typisch-Udo“ rüber. Das englisch gesungene „My Ship“, geschrieben von Kurt Weill und Ira Gershwin, behält durch das trockene Pianoarrangement auch 2002 genauso seinen Charme wie „Es sind die finsteren Zeiten“ des Komponisten Hanns Eisler. Auch ein paar andere Neubearbeitungen sind durchaus ansprechend; aber einige nerven einfach. So paßt das kalte Synthi-Rock-Arrangement von „Ich bin von Kopf bis Fuß…“ überhaupt nicht zur lasziven Erotik des Friedrich-Hollaender-Klassikers, zumal auch die Stimme der Gastsängerin Natalie Dorn bei weitem nicht an das Original einer Marlene Dietrich heranreicht. Richtig peinlich wird es bei Lindenbergs eigener Komposition „Niemandsland“, bei der Yvonne Catterfield, bekannt als „Julia“ aus „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“, ein durchaus ansprechendes Lied mit ihrer nicht tragfähigen Stimme zu einer Schnulze zwischen Veronika Fischer und Wencke Myhre degradiert. Allgemein hat Lindenberg bei seinen diesjährigen Gastsängerinnen Pech gehabt. „Lili Marleen“ etwa wird von der Holländerin Ellen ten Damme derart verhunzt, daß man sich nach nur wenigen Sekunden über alle Maßen nach Lale Andersen sehnt … Auch wenn Lindenbergs Anliegen, Lieder aus der Zwischenkriegszeit ins Jahr 2002 zu retten, honorige Motive zugrundeliegen mögen, wirken ein paar von seinen Neuaufnahmen trotz allem, als wolle er die Lieder ins Lächerliche ziehen. Baßlastiger Funk, neuzeitlicher Grunge und kalter, seelenloser Maschinenrock passen einfach zu den meisten dieser Lieder nicht. Und die Gastsängerinnen mögen zwar wie auch immer geartete Vorzüge haben; den Mund zum Singen sollten sie künftig besser nicht mehr öffnen.

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