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Christentum: Zweites Vaticanum: Ein heilsamer Schock für die katholische Kirche

Christentum: Zweites Vaticanum: Ein heilsamer Schock für die katholische Kirche

Christentum: Zweites Vaticanum: Ein heilsamer Schock für die katholische Kirche

Vor 60 Jahren ging das Zweites Vatikanische Konzil zu Ende. Es markierte eine Zäsur für die katholische Kirche.
Vor 60 Jahren ging das Zweites Vatikanische Konzil zu Ende. Es markierte eine Zäsur für die katholische Kirche.
Die Bischöfe ziehen 1963 zur Fortführung des Zweiten Vatikanischen Konzils in den Petersdom ein: Das Konzil begann am 11. Oktober 1962 und endete am 8. Dezember 1965. Foto: picture-alliance / dpa | ANSA
Christentum
 

Zweites Vaticanum: Ein heilsamer Schock für die katholische Kirche

Vor 60 Jahren endete das Zweite Vatikanische Konzil und paßte die Kirche dem Zeitgeist an. Auf den ersten Blick ein schwerer Fehler. Doch was, wenn ausgerechnet die Krise den Blick auf den wahren Glauben freigelegt hat?
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Zum Zweiten Vaticanum ist viel Tinte geflossen, und es dürfte schwer sein, wirklich Neues zur Debatte beizutragen. Auf der einen Seite stehen diejenigen, welche die Öffnung der Kirche der Modernität und der Welt hin verteidigen und sich etwa die lebendige Präsenz des Christentums in Afrika und Asien auch nach dem Ende des Kolonialismus zugute halten; auf der anderen Seite jene, die einen Verlust an Gehalt und Form beklagen und das Konzil für den rasanten Verfall von Kirche und Glauben in der westlichen Welt verantwortlich machen. Beide haben im Rückblick mit ihrem Standpunkt zweifellos nicht ganz Unrecht, wenn es auch schwer ist, aus dem üblichen „Ich habe es doch schon immer gesagt“ der einen wie der anderen eine glaubwürdige Möglichkeit abzuleiten, es damals besser gewußt zu haben. 

Man muß sich in den geistigen Horizont der 1960er versetzen, als der Krieg mitsamt seiner Bankrotterklärung des alten Kontinents erst 15 Jahre vergangen war, die Zukunft dem Konflikt zwischen liberalem Materialismus und sozialistischem Materialismus mit ihrem jeweiligen Fortschrittsoptimismus zu gehören schien, eine gesamte Generation sich in Aufruhr gegenüber den Eltern befand und die Emanzipationsbewegungen im Osten wie im Süden den Stolz auf die religiösen Traditionen totgeglaubter oder geringgeschätzter indigener Zivilisationen wiederaufleben ließen. 

Viele wollten Neuaufbau der Kirche

Kein Wunder, daß auch in der Kirche viele die große Destabilisierung des Abendlands mit einem ebenso grundlegenden Neuaufbau der Kirche beantworten wollten und diesen im Zeitalter von Brutalismus, Wolkenkratzern, Gulags und Mondraketen eher im Sichtbeton der Moderne, der Predigtkultur der Selbstrechtfertigung und der Nestwärme von Pfadfindergitarren suchten als in der hergebrachten Form der ecclesia triumphans, die die meisten Menschen nicht mehr mit der Ewigkeit, sondern einem zunehmend unverständlichen 19. Jahrhundert verbanden. 

Und gerade darin lag, wenn man so will, der Fehler des Zweiten Vaticanums. Denn was bisher wie eine Apologie klingen mochte, ist in Wirklichkeit eine Anklage: Gerade der Mangel an historischem Verständnis, auch wenn er sich die mildernden Umstände des guten Willens und des Engagements auf die Fahnen und in die Breviere schrieb, war die Ursünde des Konzils. Das Konzil von Trient benötigte ganze 18 Jahre, um eine Antwort auf die Gefahr der Reformation zu suchen, und fand die Lösung auf diese Frage nicht etwa in der Selbst-Protestantisierung, sondern in der Gegenreformation, welche in der Klärung, Selbstbestätigung und Sublimierung der vom konfessionellen Gegner angeprangerten Punkte bestand, nicht in einer Aufgabe all dessen, was in den letzten Jahrhunderten organisch gewachsen war. 

Die Messe wurde damals vereinheitlicht, nicht nationalkirchlich fragmentiert; Kunst wurde bewußt als ebenso würdiger wie prachtvoller Rahmen für die Gottesschau gepflegt und nicht durch einen bilderfeindlichen Asketismus ersetzt; die Lehre der Kirche wurde theologisch geschärft und nicht relativiert; die Mission richtete sich vor allem darauf, die verlorenen Schafe erneut zu überzeugen anstatt „jeden nach seiner Façon selig“ werden zu lassen; der Ritus erlangte erst jetzt seine voll durchkomponierte Symbolik, anstatt dem Ruf nach Reduktion auf ein angeblich Wesentliches zu folgen; Orden wurden neugegründet und nicht aufgelöst; der Klerus wurde erneut strengster Kontrolle unterworfen und nicht sich selbst überlassen. 

Vaticanum war Folge innerer Verunsicherung

Das Gegenteil davon geschah 1965, und daß eine solche in jeder Hinsicht unkatholische Hast die gesamte Weltkirche anstecken konnte, ja daß die Konzilsväter überhaupt fähig und willens waren, eine solche Selbstrevolutionierung zu beschließen und meist noch radikaler durchzuführen, als die Vorgaben es verlangten, spricht Bände für etwas, das viele Katholiken ungern hören wollen: daß der Wurm bereits 1965 im Apfel war und das Zweite Vaticanum dementsprechend nicht als Voraussetzung, sondern als Folge einer tiefen inneren Verunsicherung gesehen werden muß.

Genauso wie 1789 nicht etwa den Anfang vom Ende der politisch-gesellschaftlichen Relevanz der Kirche darstellte, sondern die weiträumige Zerstörung von Heiligtümern und Ermordung von Priestern ohne eine viel tiefer greifende Krise des kirchlichen Ancien régimes nicht denkbar war, so wäre es auch falsch, dem Konzil die Alleinverantwortung für die gegenwärtige Implosion zuzuschreiben, welche ja bezeichnenderweise auch die anderen Konfessionen betrifft. 

Denn jede Zivilisation kennt in ihrer Spätphase einen eklatanten Niedergang der angestammten religiösen Überzeugungen und Strukturen: Ob es sich nun um das spätrepublikanische antike Heidentum handelt, den chinesischen Ahnenkult der „Kämpfenden Staaten“ oder den ägyptischen Götterkult des Neuen Reichs – immer wieder erstarrt und schwindet eine alte Volksreligion, die zuerst zur staatstragenden Macht geworden ist und dann durch Rationalismus, Modernismus, Exotismus und Nihilismus relativiert wurde, bis es so aussieht, als würde sie ganz untergehen oder von anderen Religionen verdrängt werden.

Christentum ist mehr als Europa

Diese generelle Tendenz spricht die Verantwortlichen nicht von der Fehlerhaftigkeit und Kurzsichtigkeit ihrer Entscheidungen frei, zeigt aber, daß die Geschichte der Kirche, insoweit sie mit der Entwicklung des Abendlands verknüpft ist, gewissen historischen Notwendigkeiten unterworfen ist, die sich so oder so ihre Bahn gebrochen hätten. Freilich: Das Christentum ist mehr als Europa und wird jenes wohl höchstwahrscheinlich in einer ähnlichen Weise überleben, wie zum Beispiel auch der Buddhismus sich in China, Südostasien und Japan einen neuen Lebensraum erschlossen hat, wo er noch lange, nachdem er in Indien untergegangen ist, florierte.

Dies ist für uns Abendländer aber nur ein schwacher Trost und entbindet uns keineswegs der Verantwortung, den uns angestammten Glauben zu jener neuen, gleichsam augusteischen und restaurativen Spätblüte zu führen, wie eine jede Zivilisation sie in ihrer Schlußphase kennt. Gerade aus dieser Perspektive aber könnte sich das Zweite Vaticanum als eine Art List der Geschichte – oder des Heiligen Geistes – herausstellen, da es eine Hermeneutik des Bruchs auf die Wege gebracht hat, aus der nur das bewußte Anknüpfen an die Tradition herausführen kann.

Anders ausgedrückt: Wie kaum ein anderes kirchengeschichtliches Ereignis haben die Fehler des Konzils den Blick für das geschärft, was an Kirche und Glauben wahrhaftig ewig ist und auch sein soll: nicht sozialrevolutionärer Aktivismus, sondern der Weg des Einzelnen zu Gott; nicht permanenter theologischer Neuanfang, sondern jahrhundertealte Kontinuität; nicht peinliches Anpassen an den kulturellen Zeitgeist, sondern Pflege einer überzeitlichen und überpersönlichen Form; nicht hysterische Emotionalität, sondern ruhige Besinnung auf die Unwandelbarkeit. 

Der „alten Messe“ gehört die Zukunft

Kein Wunder, daß dieser Schnitt gerade heute dabei ist, sich vor unseren Augen zu vollziehen: In der Konzilskirche mochten sich noch Teile der sogenannten Boomer wiederfinden; die gleichsam eingefrorene Fixierung der Kirche auf Ästhetik, Rhetorik und Inhalte jener Generation hat sie aber für jüngere Menschen nicht nur katholischer Herkunft weitgehend unverständlich gemacht, die sich, wenn sie sich denn überhaupt auf die Suche nach der christlichen Transzendenz begeben, eher im alten als im neuen Ritus wiederfinden und generell erheblich konservativer und patriotischer als ihre Eltern sind. Dementsprechend voll besetzt ist meist die sogenannte „Alte Messe“, während die neue Liturgie, trotz oder eher gerade wegen ihres krampfhaften Strebens nach politisch-medialer Anschlußfähigkeit, nur spärliche Kirchgänger anzieht.

Kein Wunder, daß die Kirche sich in einem Dilemma wiederfindet, hat ein Großteil des Klerus die Konzilskirche doch mehr oder weniger enthusiastisch mitgetragen. Eine Normalisierung des alten Ritus ist – noch – schwer denkbar, weshalb es nicht nur zu den altbekannten Abspaltungen der „Tradis“ gekommen ist, sondern die alte Messe auch innerhalb der Kirche in die denkbar ungünstigsten Räumlichkeiten verbannt wurde. Die Statistik aber zeigt deutlich: Nur noch wenige Jahrzehnte, und ein Großteil nicht nur der Gläubigen, sondern auch der Priester wird die Messe wieder ad orientem feiern – mit allem, was dies auch für die zivilisatorische Orientierung der Una Sancta bedeutet.
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Prof. Dr. David Engels war Professor für Römische Geschichte in Brüssel und lehrt jetzt am Catholic Institute of Higher Studies (ICES) in der Vendée Weltgeschichte.

Aus der JF-Ausgabe 50/25.

Die Bischöfe ziehen 1963 zur Fortführung des Zweiten Vatikanischen Konzils in den Petersdom ein: Das Konzil begann am 11. Oktober 1962 und endete am 8. Dezember 1965. Foto: picture-alliance / dpa | ANSA
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