KARLSRUHE. Das Bundesverfassungsgerichts hat die gesetzlichen Vorgaben zur sogenannten Triage im Infektionsschutzgesetz für nichtig erklärt. Die Richter gaben den Verfassungsbeschwerden von 14 Ärzten statt, die sich gegen Eingriffe in ihre Berufsfreiheit gewandt hatten. Der Bund habe für den 2022 eingefügten Paragraphen 5c IfSG keine Gesetzgebungskompetenz besessen. Damit sind sämtliche Regelungen, die das Vorgehen von Ärzten bei der Verteilung knapper Intensivbetten festlegen sollten – einschließlich des Verbots der sogenannten Ex-post-Triage –, aufgehoben.
Unter Ex-post-Triage versteht man den Abbruch einer laufenden Behandlung, wenn ein neu eingetroffener Patient deutlich bessere Überlebenschancen hat. Dieses Vorgehen sollte das Gesetz ausdrücklich untersagen.
Das Gericht begründete seinen Beschluß damit, daß die Triage-Vorschriften nicht der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienten, sondern allein deren Folgen regelten. Der Artikel 74 des Grundgesetzes, auf den sich der Gesetzgeber gestützt hatte, erlaube dem Bund jedoch nur Maßnahmen zur Eindämmung oder Vorbeugung von Infektionen. Ein sogenanntes „Pandemiefolgenrecht“ falle in die Zuständigkeit der Länder. Zugleich stellten die Richter klar, daß die Regelungen in die Therapiefreiheit der Ärzte eingriffen, die vom Grundrecht auf freie Berufsausübung geschützt werde.
Bundestag untersagte Triage anhand von Behinderung
Mit dem im Dezember 2022 beschlossenen Gesetz hatte der Bundestag auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021 reagiert. Damals hatten mehrere Menschen mit Behinderung geklagt, weil sie während der Pandemie Benachteiligungen bei möglichen Triage-Entscheidungen befürchteten. Karlsruhe hatte daraufhin den Staat verpflichtet, Vorkehrungen zum Schutz vor Diskriminierung in einer Knappheitssituation zu treffen.
Der Paragraph 5c IfSG legte fest, daß Ärzte in einer Triage ausschließlich nach der kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit entscheiden durften. Eine Benachteiligung aufgrund von Alter, Behinderung, Gebrechlichkeit oder Lebensqualität war ausdrücklich untersagt. Zudem schrieb das Gesetz vor, daß mindestens zwei erfahrene Intensivmediziner gemeinsam über die Zuteilung entscheiden und den Vorgang dokumentieren mußten. Krankenhäuser wurden verpflichtet, interne Verfahren zur Umsetzung festzulegen und Triage-Fälle den Landesbehörden zu melden.
Gesetz war Lehre aus der Covid-Pandemie
Nach Darstellung des Bundestages war die Regelung ausdrücklich als Reaktion auf die Erfahrungen der Covid-Pandemie gedacht. In der Gesetzesbegründung wird mehrfach auf das während der damaligen Zeit entwickelte „Kleeblatt-System“ zur Verlegung von Intensivpatienten verwiesen. Ziel sei es gewesen, Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig Rechtssicherheit für Ärzte zu schaffen.
Das Bundesverfassungsgericht kam nun zu dem Schluß, daß diese Regelungen weder der Pandemiebekämpfung dienten noch für die öffentliche Fürsorge erforderlich seien. Sie griffen vielmehr in die Berufsausübungsfreiheit der Ärzte ein und beträfen Fragen der Krankenhausorganisation, die in die Verantwortung der Länder fielen. Die Entscheidung erging mit sechs zu zwei Stimmen.
Beschlußdatum ist der 23. September 2025, veröffentlicht wurde er am 4. November. Das Urteil hat zur Folge, daß es derzeit keine bundesrechtlichen Vorgaben für Triage-Entscheidungen gibt. „Nach der aktuellen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes tragen die Länder maßgeblich die Verantwortung für diskriminierungssensible Allokationsregeln im Sinne reiner Pandemiefolgenregelungen“, heißt es in der Mitteilung. Das bedeutet, daß die Länder nun eigene Regelungen schaffen müssen, um für mögliche Knappheitssituationen gerüstet zu sein. (sv)





