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Aufstand ohne Stillstand: „Weg mit Macron“, ruft nicht nur Frankreichs linke Jugend

Aufstand ohne Stillstand: „Weg mit Macron“, ruft nicht nur Frankreichs linke Jugend

Aufstand ohne Stillstand: „Weg mit Macron“, ruft nicht nur Frankreichs linke Jugend

Eine junge Frau sitzt in Marseille auf einer umgekippten Mülltonne. Frankreichs Präsident Macron ist angezählt.
Eine junge Frau sitzt in Marseille auf einer umgekippten Mülltonne. Frankreichs Präsident Macron ist angezählt.
Eine junge Frau in Marseille: Die landesweiten Proteste gegen die französischen Regierungen waren dezentraler Natur. Foto: picture alliance / MAXPPP | ICI Provence
Aufstand ohne Stillstand
 

„Weg mit Macron“, ruft nicht nur Frankreichs linke Jugend

„Alles blockieren“ lautete der Schlachtruf auf den landesweiten Protesten, die Frankreich lahmlegen sollten. Doch während Straßen brannten, wurde zum Regierungswechsel Champagner gereicht. Präsident Macron ist angezählt.
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Frankreich erlebte am 10. September eine Protestwelle, die sich auf ein einziges Ziel zuspitzte: den Staatspräsidenten. Unter dem losen Motto „Bloquons tout“ („Alles blockieren“) versammelten sich im ganzen Land Hunderte Kundgebungen und Blockaden (JF berichtete).

Was in den sozialen Netzwerken als Aufruf zur Lähmung Frankreichs begann, mündete in eine bunte Mischung aus Protestmärschen, Straßenaktionen und symbolischen Besetzungen. Der Anspruch war revolutionär, die Wirkung begrenzt, das Land blieb in Bewegung. Das Innenministerium sprach von knapp 200.000 Teilnehmern, der Allgemeine Gewerkschaftsbund CGT von 250.000, die kommunistische Partei La France insoumise gar von 500.000.

Demonstranten in Lyon. Foto: picture alliance / Hans Lucas | Matthieu Delaty

Was als Generalmobilmachung angekündigt war, wurde zum ersten Härtetest für den neuen Regierungschef Sébastien Lecornu, kaum 24 Stunden im Amt. In den Abendnachrichten prallten dann auch die Kontraste aufeinander: Während sich in Paris die politische Nomenklatura für den Champagner-Empfang zum Regierungswechsel versammelte, probte draußen auf den Straßen jenes Frankreich die Revolution, das unter den Staatsschulden und der Inflation leidet, mit den Folgen der Masseneinwanderung ringt, dessen Renten in Gefahr sind und dessen Jugend ihre Zukunft bedroht sieht.

Der Alltag machte den Protesten einen Strich durch die Rechnung

Trotz der ambitionierten Revolutionspläne kam das Land nicht vollständig zum Stillstand. Frankreich wurde nicht lahmgelegt, sondern allenfalls ausgebremst. Hinter dem Pathos von „Bloquons tout“ verbargen sich halbherzige Blockaden, schnell geräumte Barrikaden und improvisierte Feuerstellen, die mehr nach Pyrotechnik als nach Generalstreik rochen.

Pyrotechnik explodiert in Reihen der Polizei. Foto: picture alliance / Hans Lucas | Matthieu Delaty

Der revolutionäre Anspruch scheiterte am Alltag: Die Metro fuhr weiter, die Supermärkte blieben geöffnet, selbst der morgendliche Stau auf dem Périphérique löste sich auf. Der von Macron eingesetzte Polizeipräsident von Paris blieb dann im Fernsehsender CNews gelassen und sprach von einem Mißerfolg der Mobilisierung.

Gleichwohl war es ein Tag der Unruhe, wie das Innenministerium mitteilte: 540 Festnahmen, verkohlte Fassaden in Paris, ein verbrannter Bus in Rennes, Konfrontationen in Toulouse. 80.000 Sicherheitskräfte waren mobilisiert, um das Land funktionsfähig zu halten. Die Bilder von Feuer, Rauch und Schlagstöcken gingen um die Welt und trafen mitten ins Herz einer Nation, die schon zwei Tage zuvor ihren Premier François Bayrou hatte fallen sehen.

Linke Hochburgen wie Rennes erlebten heftige Gewalt

Die Mobilisierung war vielgestaltig. Entstanden aus sozialen Netzwerken, ohne gewerkschaftliche Koordinierung wie beispielsweise am 1. Mai, vereinte sie heterogene Unzufriedenheiten: urbane Jugend, prekär Beschäftigte, alte Gelbwesten, Gewerkschafter und Bauern.

Linke Hochburgen wie Rennes sahen heftige Szenen, während in konservativeren Gegenden lediglich die Gelbwesten auf Kreisverkehre zurückkehrten. Einig waren sich alle in der Losung: „Macron doit partir“ – Weg mit Macron! In 18 Monaten finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt.

Die politische Deutungsschlacht lief sofort an. Altkommunist Jean-Luc Mélenchon sprach von einem „Erfolg“ und feierte die „unüblichen“ Aktionsformen. Marine Le Pen hingegen prangerte eine „Konfiszierung durch Kommunisten und Zerstörer“ an, verantwortlich für Gewaltbilder und Sachbeschädigungen. Der Parteichef der Sozialdemokraten Olivier Faure hob die starke Präsenz junger Menschen hervor und warnte die Regierung: Wer die Straße ignoriere, riskiere im Parlament die Zensur.

Macron ist angezählt

Frankreichs wichtigster Nachrichtensender CNews nahm den Protest überwiegend kritisch auf. Im Vordergrund standen Berichte über Gewalt, Ausschreitungen, öffentliche Störungen und das relative Scheitern, da die angekündigten Blockaden aus Sicht mehrerer Kommentatoren nicht zustande kamen.

Besonders betont wurde die Spaltung der Gesellschaft: auf der einen Seite die Minderheit, die blockiert und zerstört, auf der anderen Seite „das stille oder mehrheitliche Frankreich“, das darunter leide oder zuschaue. Die Verantwortung für die Gewalt wurde den Ultralinken zugeschrieben, die Teile der Bewegung delegitimieren und radikale Strömungen isolieren wollte.

Die Polizei greift durch und verhaftet zahlreiche Personen wie hier in Paris. Foto: picture alliance / abaca | Lafargue Raphael/ABACA

Der 10. September war kein Generalstreik, sondern ein Protestlabor: dezentral, taktisch beweglich, getragen von Zorn und Hoffnung zugleich. Für Präsident Emmanuel Macron bleibt die bittere Erkenntnis: Seine Gegner sind zwar nicht geeint, aber sie haben sich auf ihn eingeschossen. Und für seinen neuen Regierungschef Lecornu war der erste Tag im Amt eine Nagelprobe im Ausnahmezustand.

Aus der JF-Ausgabe 39/25.

Eine junge Frau in Marseille: Die landesweiten Proteste gegen die französischen Regierungen waren dezentraler Natur. Foto: picture alliance / MAXPPP | ICI Provence
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