Der Schatten, in dem der Journalist Jakob Schirrmacher steht, zieht sich weit hin. Es ist der seines Vaters Frank Schirrmacher, der als Feuilletonchef und späterer Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von 1989 bis 2014 zuverlässig neue Stichworte in die deutschen Debatten schleuderte.
Sei es die Überalterung der Gesellschaft, sei es die Gefahr des digitalen Kapitalismus: mit geradezu „dämonischer Geschicklichkeit“ habe der „konservative Revolutionär“ – dessen Helden Ernst Jünger, Stefan George und Rudolf Borchardt hießen – „Probleme erahnt, Positionen gewechselt und Alternativen zugespitzt“, wie die Süddeutsche Zeitung in einem Nachruf auf den im Juni 2014 an einem Herzinfarkt gestorbenen Schirrmacher schrieb. Der Blattjongleur wurde 54 Jahre alt.
Blogger im Dienste der Meinungsfreiheit
Sein Sohn Jakob versucht nun, an dessen Erbe anzuknüpfen, ohne dabei vom Gewicht des eigenen Namens erdrückt zu werden. Mit „Schirrmacher 2.0“ betreibt er seit Anfang 2025 ein Weblog, auf welchem er sich hellwach über den Zustand der Presse- und Meinungsfreiheit äußert. Die Spannweite seiner Beiträge reicht von klassischem Medienjournalismus über die Aufarbeitung der Corona-Pandemie bis hin zu den letzten Fragen der Philosophie.

Im Ton lesen sich die Artikel unversöhnlich: Meinungsfreiheit liegt für den Blogger im Widerspruch, im kleinen Wörtchen „aber!“. Manchmal brauche es Mut, um sie zu leben, manchmal mache sie einsam.
„Recht auf Dissens, auf spekulative Irrtümer, auf unbequeme Gedanken“
Der „Dozent für Medienbildung, Digitalisierung und Sozialstrukturwandel“, wie er sich nennt, hat beides am eigenen Leib erfahren – er kämpft auf eigene Faust. Mit „Desinformiere dich!“ hat er die Summe seiner Polemik im Selbstverlag gezogen. Das im April veröffentlichte Buch sei den großen Literaturhäusern „zu heikel“ gewesen, begründet der junge Schirrmacher das gewagte Manöver im Gespräch mit der Berliner Zeitung.
Die rund 150 Seiten Taschenbuch – das Cover mit einem kleinen Seitenhieb auf Nancy Faeser ist Marke Eigenbau, KI sei Dank – legen dar, wie aus dem Ansinnen der modernen Demokratie, sich vor Propaganda zu schützen, eine Art Propaganda zweiter Ordnung geworden ist. „Wenn in der Gegenwart eines gewiß ist, dann, daß wir in einer Epoche leben, in der das Wort Wahrheit allzu leicht als politische Waffe geschwungen wird“, so der Junior. Seine bestechend einfache Antwort: „Wir brauchen das Recht auf Lügen.“ Wenn Wahrheit zum gesellschaftspolitischen Schwitzkasten werde, müsse man eben ihr Gegenteil „das Recht auf Dissens, auf spekulative Irrtümer, auf unbequeme Gedanken“ erkämpfen.
Schirrmacher Junior geht über den Senior hinaus
Mit dem Vorstoß könnte der Junge über den Alten hinausgehen, schreckte dieser doch noch davor zurück, mit seiner Zeitung die publizistischen Fühler nach rechts auszustrecken. Anders der Sohn: „Ich wünsche mir, daß sich der Diskursraum wieder öffnet – in alle Richtungen.“ Nur eine Generation später ist man sich näher als gedacht.
Früher in seiner „jugendlichen Sturm-und Drang-Phase“ habe er oft mit seinem Vater gestritten. Seit dessen Ableben führt er das Gespräch als inneren Dialog weiter, nennt es „eher diskutieren als streiten“. Heute wäre der Senior so besorgt wie der Junior darüber, was in der Welt geschieht, ist sich Jakob Schirrmacher sicher – dann hätte der Vater noch etwas vom Sohn gelernt.